Bob Dylan

Texte für die Ewigkeit

Die Schwarzweißfotografie zeigt den jungen Bob Dylan im Jahr 1966 mit Lockenmähne, Sonnenbrille und Stehkragen.
Wilde Mähne, Sonnenbrille und hochgeschlagener Kragen wurden in den 1960er-Jahren zu Bob Dylans Markenzeichen. © IMAGO / TT / Ronny Karlsson / DN
Bob Dylan gilt als genialer Poet, aber auch als unnahbarer Sonderling. Sein Einfluss auf die Pop- und Rockmusik ist unbestritten, nun erzählt ein neuer Film von den Anfängen seiner Karriere. Was macht seine Songs so bedeutend?
Revolutionär, Provokateur, Genie – all das sind Bezeichnungen, die schon für Bob Dylan gefunden worden sind. Als vielleicht bedeutendster Musiker des 20. Jahrhunderts wird Dylan gehandelt. Er hat 38 Studioalben veröffentlicht, weit über 100 Millionen Tonträger verkauft, als erster Musiker überhaupt den Literaturnobelpreis gewonnen.
Unzählige Bücher und Filme gibt es über den Sänger. Nun kommt ein weiterer in die Kinos: „A Complete Unknown“ mit Hollywood-Superstar Timothée Chalamet in der Hauptrolle. Doch warum gilt Dylan als so bedeutend für die Musikgeschichte?
Gitarre, Mundharmonika, schwache Stimme – mit dieser Kombination betritt Bob Dylan Anfang der 1960er-Jahre die Bühnen der Clubs im New Yorker Greenwich Village. Zunächst interpretiert er traditionelle amerikanische Folksongs. Der Durchbruch gelingt ihm dann mit selbst komponierten Stücken.

Fokus auf poetische Texte

Schnell ist klar: Dylan ist in erster Linie ein Geschichtenerzähler, ein talentierter Poet. Kategorisch stellt er die Texte in den Vordergrund. Die Musik gerät im Vergleich zum Inhalt oft eher ins Hintertreffen – auch wegen Dylans eingeschränkten Gesangstalents. Regelmäßig werden Cover-Versionen seiner Songs weitaus erfolgreicher als die Originale.
Wie kaum ein anderer Musiker bringt Bob Dylan seine Hörerschaft dazu, sich mit den Inhalten auseinanderzusetzen. Der Künstlername ist dabei Programm: Robert Allen Zimmermann, wie Dylan mit bürgerlichem Namen heißt, zieht damit eine Referenz zum irischen Dichter Dylan Thomas. Auch sein Anspruch an sich selbst ist hoch. Er wolle Songs schreiben, die „bigger than life“ seien, schreibt Dylan einmal: „größer als das Leben“.
Schon in den frühen Songs des legendären Albums „The Freewheelin' Bob Dylan‘“ wird sein lyrisches Talent erkennbar. Seine Musikerkollegin und zeitweise Partnerin Joan Baez sagt über ihn: „Es gibt für mich keine ausdrucksstärkeren, mächtigeren Songtexte als die von Bob Dylan.“ Von Beginn an setzt er dieses Talent für politische Statements genauso ein wie für romantische Liebeslieder wie „Girl from the North Country“ oder fast brutale Trennungssongs wie „Don’t Think Twice, It’s All Right“.
Was Bob Dylan aber zum Sprachrohr einer Generation macht, sind seine politischen Hymnen. In Songs wie „Blowin‘ in the Wind“, „Masters of War“ oder „The Times They Are A-Changin'“ wendet sich Dylan wortgewaltig gegen Krieg, Gewalt und Ungleichheit und hebt das Genre des Protestsongs auf eine neue Stufe. Frühere Songs dieser Art wirkten im Vergleich dümmlich und frei von Schönheit, sagt Baez. „Im Gegensatz dazu sind Bob Dylans Songs voller Kraft, als Lyrik und als Musik. Bob drückt aus, was all die Kids sagen wollen."

Bob drückt aus, was all die Kids sagen wollen.

Joan Baez

Im August 1963 singt Dylan beim Marsch der Bürgerrechtler um Martin Luther King auf Washington vor über 100.000 Menschen und wird endgültig zur Ikone der US-Bürgerrechtsbewegung. Doch er selbst lehnt diese Rolle ab, sieht sich vielmehr als unabhängigen Beobachter und Kommentator. Durch seine Begabung gelingt es ihm aber wie keinem anderen, die tiefgreifenden Veränderungsprozesse der 1960er-Jahre in Musik und poetische Worte zu fassen.

Dylans Songs beeinflussen die Popmusik bis heute

Auch, wenn sich Dylan vom textlastigen Genre des Folk abwendet, seine Gitarre elektrifiziert und sich im Laufe seiner sechs Jahrzehnte umspannenden Karriere immer wieder musikalisch und thematisch verändert – der Fokus auf die textliche Qualität der Songs zieht sich durch sein gesamtes Schaffen. Damit hat Dylan nach Ansicht vieler Experten die Popmusik revolutioniert. Mit seinen Texten habe er sie „auf eine neue Stufe gehoben und Ansprüche gestellt“, sagt der Autor Alan Posener. Das beflügelte etwa die Beatles zu ihrem textlichen Tiefgang.
Bob Dylan habe in seinem Songwriting alle möglichen Gattungen ausprobiert, meint der Sänger, Songwriter und Dichter Adam Green. Mit dieser Experimentierfreudigkeit habe er so gut wie alle nach ihm kommenden Musikstile beeinflusst. „Bei ihm findet man die Anfänge von Rap und Hip-Hop, auch Indiekultur, sogar ein bisschen Jazz, aber auch Blues und Folk, Pop“, so Green. Auch viele deutsche Musikerinnen und Musiker hat Bob Dylan beeinflusst. Christiane Rösinger, Blumfeld, die Goldenen Zitronen und Knarf Rellöm ließen sich von Dylans Kunst beeindrucken.

Einheit von Poesie und Performance

Einer der bekennenden Dylan-Fans hierzulande ist BAP-Frontmann Wolfgang Niedecken. Gefragt nach Dylans Bedeutung für die Popmusik, zitiert er Bruce Springsteen, der einmal in einer Laudatio auf den Musiker sagte: „Elvis hat dem Rock'n'Roll den Unterleib gegeben und Bob Dylan hat ihm das Gehirn gegeben.“ Niedecken ist überzeugt: Hätte Bob Dylan in den Jahren 1965 und 1966 nicht die Alben „Bringing It All Back Home“, „Highway 61 Revisited“ und „Blonde on Blonde“ geschrieben, sähe die Welt heute anders aus.
Dylans Einfluss wirkt bis in die heutige Popmusik, Songs wie „All Along The Watchtower“ gehören zum Standardrepertoire, unzählige Künstler von Guns’N’Roses bis Adele haben mit Dylan-Coverversionen Erfolge gefeiert oder wurden von seinem Songwriting beeinflusst. „Alles, was eigentlich intellektuell anspruchsvoll ist in Poptexten, führt letztendlich auf Dylan zurück“, sagt Posener.
Im Jahr 2016 wird Bob Dylan für seine Texte mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichnet – als erster Musiker überhaupt. Zu Recht, findet der Literaturwissenschaftler und Dylan-Experte Heinrich Detering. Im 20. Jahrhundert habe sich von den USA ausgehend eine Form der Literatur etabliert, in der die Poesie – ähnlich wie in der Antike – Teil einer performativen Kunst ist, so Detering. Dylan sehe sich als Erbe der amerikanischen Songtradition, in der Musik, Poesie und Performance eine Einheit bilden.

Debatte um Adaption oder Plagiat

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass sich Bob Dylan in seinem Werk an der gesamten Literaturgeschichte bedient – und dabei bei weitem nicht immer Quellen nennt. Dieses Vorgehen hat ihm immer wieder Plagiatsvorwürfe eingebracht – auch von Musikerkolleginnen wie Joni Mitchell.
Von Bibeltexten über Shakespeare-Zitate, Briefe von Ovid oder Brechtsche Dramatik, bis hin zum afroamerikanischen Gospel und Blues – alles fließt in Dylans Musik und Texte ein. „Er klaut, wo er’s nur kriegen kann“, sagt Detering. „Ich stelle es mir so vor, dass Dylan in einer Welt aus Zitaten lebt.“ Selbst seine Nobelpreisrede soll Dylan von einer Schülerhilfe-Plattform abgekupfert haben.
Auch für Alan Posener ist Dylan „eine diebische Elster“. Wenn ihm etwas gefalle, übernehme er es und baue es ein. „Er klaut Melodien, er klaut Vortragsweisen, er klaut Identitäten." So kopierte Dylan in den Anfangsjahren seiner Karriere den Folksänger Woodie Guthrie bis hin zu dessen Kleidungsstil.
Die Schwarzweißaufnahme zeigt Bob Dylan 1965 in einem Tonstudio in New York mit einem E-Bass und mit Mundharmonika um den Hals.
Wortgewaltig in der Kunst, wortkarg im Leben: Bob Dylan kultiviert das Image des unnahbaren Genies© picture alliance / Globe-ZUMA / Dm
Und doch steht für die Experten fest, dass Dylan seine Vorbilder überflügelte und dabei unverwechselbare eigene Werke schuf. „Alle seine großen Lieder hätte niemand außer ihm schreiben können“, sagt der Musikhistoriker Ben Sidran.
Gerade in seinen Adaptionen und Zitaten liege die Einzigartigkeit von Dylans Werk, argumentieren andere. Die Bandbreite dessen, was Dylan anderswo geklaut habe, sei so groß, dass sich den Hörenden ein ganz neues Universum eröffne, betont Detering. Im pausenlosen Zitieren des Nobelpreisträgers liege ein schriftstellerisches Ethos: „Das ist die Vorstellung, es sei geradezu seine Aufgabe, die Stimmen der Toten zu Gehör zu bringen.“ Den Nobelpreis habe Dylan letztlich genau „für seine besonders gute Kunst des Plagiierens“ erhalten, meint Deutschlandfunk-Literaturkritiker Jan Drees.

kau
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