Struppiger Herzschmerz
Auf seinem neuen Album "Fallen Angels" besinnt sich Bob Dylan wieder seiner musikalischen Vorfahren. Näselnd, bellend und röchelnd interpretiert er alte Sinatra-Songs. Sie klingen fantastisch, meint unser Kritiker.
Im vergangenen Jahr veröffentlichte Bob Dylan mit "Shadows In The Night" ein ganzes Album mit Liedern, die in den 40er-, 50er- und 60er-Jahren vor allem durch die Interpretationen von Frank Sinatra bekannt geworden sind. Heute erscheint mit "Fallen Angels" eine Art Sequel. "Fallen Angels" ist wieder eine Verbeugung vor der Prä-Rock'n'Roll-Ära, genauer: Dem sogenannten Great American Songbook, und somit auch vor den Komponisten des Tin Pan Alley, die die großen Unterhaltungslieder schrieben, bevor Künstler wie die Beatles und eben Dylan ihr Material selbst schrieben und somit die professionellen Songwriter arbeitslos machten. Und bis auf das in den Vierzigern unter anderem von Anita O'Day und Bing Crosby interpretierte "Skylark" stammen alle Lieder wieder aus dem Repertoire von Sinatra.
Auf das Great American Songbook eingestimmt
Bob Dylan hat sich in kritischen Phasen seiner Karriere immer wieder auf seine musikalischen Vorfahren besonnen. Die Übergänge zwischen Folk, Blues und sogenannter Unterhaltungsmusik waren da immer fließend. Das gilt übrigens auch für die Alben mit eigenen Songs, die er in den vergangenen 15 Jahren veröffentlichte, auf denen er vom archaischen Blues bis zum Torch Song viele Genres der amerikanischen Musik zitierte. Doch es hat schon eine gewisse Komik, dass er für die letzten beiden Alben mit Frank Sinatra einen Paten wählte, der für viele mit der Gegenkultur der 60er-Jahre sozialisierte Dylan-Hörer eine ziemliche Reizfigur ist. Doch Dylan meint es vollkommen ernst. In den vergangenen Jahren hat er seinen Gesang und das Spiel seiner Band ganz auf das Great American Songbook eingestimmt und bei Konzerten auch seine eigenen Songs im Crooner-Stil zelebriert.
Wir würdigen Boby Dylan - mit Songs über Bob Dylan. Die Spotify-Playlist von Deutschlandradio Kultur:
Natürlich hat er nie die gefällige, sich einschmeichelnde Stimme eines Crooners gehabt. Und doch scheint er sein raues Timbre hier noch einmal eine neue Qualität zu offenbaren. So präzise, sanft und prononciert wie auf den letzten beiden Alben hat er noch nie gesungen. Das ist natürlich kein Zufall. Bei Dylan ist jede Form des Gesangs eine stimmliche Maskierung, der charakteristische struppige, näselnde, nölende manchmal auch bellende und röchelnde ebenso wie der Country-Twang auf "Nashville Skyline" und nun das taumelnde, nun ja, Belcanto auf "Shadows in The Night" und "Fallen Angels".
Charakter und Rollenspiel
Der englische Tenor Ian Bostridge hat mal durchaus mit Respekt und Bewunderung über Dylans Fähigkeit geschrieben, Melodien zu dehnen und zu biegen, ohne ihnen zu viel Beachtung zu schenken. Was ihm an technischer Brillanz offensichtlich abgeht, fügt er an Charakter und Rollenspiel hinzu. Man denkt nicht – wie beim Sinatra-Hören – an mondäne Bars im Kerzenlicht, wenn man seine Interpretationen dieser alten Songs hört, sondern eher an dunkle Kaschemmen und einen etwas zerbeulten und heruntergekommenen Film-Noir-Detektiv.
Soweit bekannt, ist "Fallen Angels" Anfang 2014 bei denselben Sessions in den berühmten Capitol Studios in Hollywood entstanden wie der Vorgänger "Shadows In The Night". Es sind also dieselben Musiker – nämlich Dylans aktuelle Tourband und ein kleines Bläserensemble – zu hören, die diese Lieder von gebrochenen Herzen, ungeordneten Gefühlen und unerhörten Gebeten wieder gemeinsam live im Studio gespielt haben. Dass das so fantastisch klingt, ist wohl zu einem großen Teil dem mittlerweile 86-jährigen Toningenieur Al Schmitt zu verdanken, der tatsächlich schon mit den großen Croonern Sinatra, Tony Bennett und Sammy Davis Jr. zusammengearbeitet hat.
Ein leichter Country-Geschmack
"Shadows In The Night" war ein dunkel-romantisches Werk über irdische und himmlische Liebe. "Fallen Angels" scheint diese inhaltliche Geschlossenheit abzugehen, dafür hat es mit "Skylark", "On A Little Street in Singapore" und "That Old Black Magic" die stärkeren Einzeltracks, bei denen auch die Band genügend Platz bekommt, um ihre Klasse zu zeigen. Die Stimmung ist ein wenig heller als auf dem Vorgänger, ab und zu ist eine Fiddle zu hören, was dem Album einen leichten Country-Geschmack gibt, der ein wenig an den End-60er, Anfang-70er Dylan erinnert.
Wem die Blues-lastigen letzten Alben mit Originalsongs zu knarzig und archaisch waren, der könnte Bob Dylan auf "Fallen Angels" neu entdecken – als durchaus respektablen Sänger und anrührenden Interpreten. Wer den bitterzarten Schmelz und den technisch perfekten Gesang von Sinatra oder Bennett schätzt, wird allerdings ein paar Anläufe brauchen.