Eine Stadt im ewigen Strukturwandel
Bochum ist eines der fünf Zentren im Ruhrgebiet. Bekannt für Kohle und Stahl. Und bis vor kurzem für Opel. Wie entwickelt sich die Stadt ohne den Autobauer?
Rentenversicherung. Bochum ist heute ein Dienstleistungszentrum, mit allen Vor- und Nachteilen, wie der Chef der Bochumer Wirtschaftsentwicklung, Rolf Heyer, einräumt:
"Das große Problem in Bochum ist, dass wir zu gut gewesen sind beim Strukturwandel. Wir haben zu viele Dienstleistungsarbeitsplätze, in Branchen, die keine Gewerbesteuern zahlen. Das ist ein Problem für die Stadtfinanzen, weil Hochschulen, Kliniken, die Rentenversicherung keine Gewerbesteuer zahlt."
Mit dem Opelwerk ist jetzt nochmal ein großer Gewerbesteuerzahler weggebrochen. Aber der Oberbürgermeister will nicht klagen. Der Sozialdemokraten Thomas Eiskirch kann nur Optimismus:
"Klar, es ist für die Menschen, die ihre Arbeitsplätze verlieren, ein hartes Schicksal. Aber gleichzeitig sind wir auch die einzige Stadt, die eine große zusammenhängende Fläche hat mitten in einem Ballungsraum, die man mit einer neuen Wirtschaftsstruktur entwickeln kann. Eine solche Chance hat ja kaum eine andere Stadt oder Kommune, und die muss man dann eben auch nutzen. Man muss aus dem, was passiert, auch das Beste machen, und genau auf den Weg begeben wir uns im Moment."
Doch ganz so einfach ist es auch nicht. Am Rande des Opel-Geländes steht die ehemalige Presshalle, in der früher die Auto-Karosserien in Form gebracht wurden. Mit 800 Metern Länge ist die Presshalle eine der größten geschlossenen Hallen in Europa und sollte als Ganzes verkauft werden. Man könnte dort locker zehn Fußballspiele gleichzeitig austragen, und hätte noch genug Platz für die Zuschauer. Aber niemand will dort Fußballspiele austragen und auch sonst hat sich bisher niemand gefunden, der mit dem Schmuckstück etwas anfangen könnte. Irgendwann wird die Halle dann vermutlich doch abgerissen, und der ganze Neuanfang wird sich etwas verzögern.
Bürgerkonferenz in der Ruhrkongresshalle. 371 Bürger hat die Stadtverwaltung eingeladen, jeweils einen für 1000 Bochumer. An knapp 60 Tischen sitzen sie in Arbeitsgruppen zusammen und entwerfen Bochums Zukunft.
Auch so eine Idee von Oberbürgermeister Eiskirch:
"Wir haben uns überlegt wie soll Bochum im Jahr 2030 aussehen. Also, wenn ihr Sohn in der Zukunft ihnen eine Postkarte schickt und ihnen sagt, ich bin hier in Bochum im Jahr 2030, das ist riesig toll, hier müssten eigentlich alle sein. Was müssen wir dazu tun, damit dieses Gefühl entsteht, dass die Menschen gerne hier sind, und die die noch nicht hier sind, unbedingt hierhin wollen?"
Werden wirklich alle Bochumer mitgenommen?
"Dass das Ruhrgebiet endlich ein einheitlicher Regierungsbezirk ist, spürbar zum Beispiel bei den Verkehrswegen, wie zum Beispiel Radwegen, den Rad-Schnellweg würde ich mir als Bürgerin wünschen. Ich würde mir aber auch wünschen, dass jede Stadt ihre persönliche individuelle Note behalten darf."
Die Teilnehmer der Bürgerkonferenz finden es gut, dass sie gefragt werden. Manche bleiben skeptisch:
"Es sind hochtrabende Ziele, es ist eine ambitionierte Wunschliste, und es ist natürlich wünschenswert, wenn sich die Stadt dahin entwickelt. Ich frag mich, ob auch alle mitgenommen werden. Denn ohne Schaffung einfacher Arbeitsplätze kann man nicht alle mitnehmen. Man kann nicht nur ne Uni-Stadt mit High-Tech machen, und den Focus darauf setzen, oder auf Leuchtturm-Kulturprojekte, das macht eine Stadt noch nicht alleine lebenswert."
Das Musikforum in der Bochumer Innenstadt ist so ein Leuchtturmprojekt - und der neue Stolz der Stadt. Seit Jahren geplant, seit Jahren umstritten, vor vier Monaten eröffnet. Der größte Teil der 38 Millionen Euro kam durch Spenden und Europäische Zuschüsse zusammen. Die Stadt musste nur noch ein paar Millionen drauflegen. Wir haben mit wenig öffentlichem Geld etwas Großes bekommen, schwärmt Christiane Peters von den Bochumer Symphonikern, die Bochumer hätten ihr Musikforum inzwischen angenommen:
"Das merken wir daran, dass wir sehr sehr viele ausverkaufte Veranstaltungen haben, dass wir überhaupt nicht nachkommen mit Führungen. Jeder möchte gucken, wir haben, auch, sobald die Kasse hier öffnet, sofort Menschen hier stehen, die fotografieren und das ganze Forum schon als ihr Haus begreifen."
Ein paar Kilometer weiter, an der Wittener Straße. Die Einfahrt zum früheren Opelgelände ist durch einen Bauzaun versperrt. Davor steht ein Auto, Motor abgeschaltet, der Fahrer schaut auf die Trümmerlandschaft. Das sieht man hier öfter. Meist sind es ehemalige Opel-Arbeiter, die keinen neuen Job gefunden haben. Die meisten wollen nicht mehr drüber reden, nicht mit Fremden.
Reiner Einenkel kommt oft mit dem Fahrrad hierher. Einenkel war früher Betriebsratsvorsitzender bei Opel, jetzt ist er arbeitslos, mit 62. Er findet es gut, dass die Stadt nach vorne schaut, in die Zukunft. Aber für ihn ist die Vergangenheit noch nicht vorbei. Er packt die Kamera aus, fotografiert in die untergehende Sonne:
"Also direkt vor uns sehen wir jetzt das Verwaltungsgebäude, aber jetzt die Rückseite, die man früher nie sehen konnte, weil nämlich davor die Fertigmontage, wie auch die Lackiererei, eine der modernsten Lackierereien Europas stand. Die ist mittlerweile abgerissen. Egal, wo wir hier schauen, sieht man immer wieder das Opel-Werk und man befindet sich eigentlich immer in Sichtweite dieses Werkes."