"Es überwiegt die Wut"
Heute ist Schluss: Die letzte Air-Berlin-Maschine fliegt von München nach Berlin. Es sei, als wenn man ein Familienmitglied beerdige, sagt ein Bodenpersonal-Mitarbeiter, der anonym bleiben möchte und sich Paul nennt. Er fühlt sich von der Politik hängen gelassen.
Wenn das letzte Air-Berlin-Flugzeug heute Abend in Tegel landet, wird "Paul" auf dem Vorfeld stehen und Abschied nehmen. Über 20 Jahre hat er für die Fluggesellschaft gearbeitet. Was Air Berlin für ihn ausmachte: ein "unglaublicher Zusammenhalt", wie eine "große Familie". Umso stärker der Schock über das Ende - und die Enttäuschung über das Management und die Politik, "die uns hängen lässt", wie "Paul" sagt: "Sich jetzt hinzustellen und zu sagen: Ach, wir haben es ja versucht mit einer Transfergesellschaft (...) und sind leider gescheitert (...). Eigentlich überwiegt die Wut mehr."
Die Flugzeuge wollen sie, die Mitarbeiter nicht
Die Teil-Übernahme durch die Lufthansa werde auf dem "Rücken der Mitarbeiter" ausgetragen; er selbst habe das Gefühl, er sei nichts wert: "Sie bekommen das, womit man gut Geld verdienen kann - Flugzeuge und die Slots - aber den Mitarbeiter, den wollen sie nicht." Die 3.000 Stellen, die für Air-Berlin-Mitarbeiter angeblich geschaffen worden seien, hörten sich zunächst gut an. Doch diese Stellen seien auf dem freien Markt, jeder könne sich darauf bewerben - allerdings nur beim Billigableger Eurowings in Österreich. "Das Versprechen, die Arbeitsplätze in Deutschland zu halten, konnte die Politik dann auch nicht halten."
"Paul" spricht von einem "abgekarteten Spiel": Am 15. August habe Air Berlin Insolvenz angemeldet - "und da hat Lufthansa schon den kompletten Plan. Wie soll denn das gehen, wenn man nichts davon vorher weiß?" Selbstverständlich habe auch Air Berlin falsche Entscheidungen getroffen: "Fehler wurden ohne Ende gemacht." So sei die Fluggesellschaft durch Übernahmen quasi "explodiert". Dennoch sei man überrascht, wie das Ende nun ablaufe.
Gekündigt ist "Paul" bisher nicht: "Ich weiß nicht, wann eine Kündigung kommt. Ich weiß nicht, ob ich dann freigestellt bin oder nicht. Ich weiß nicht, was kommt." (bth)
Das Interview im Wortlaut:
Dieter Kassel: Heute Abend startet in München der definitiv letzte Air-Berlin-Flug, um 22:45 Uhr landet er am Flughafen Tegel, und dann ist Schluss. Und dann sind Tausende Mitarbeiter von Air Berlin arbeitslos, denn eine große Transfergesellschaft wird es mit Sicherheit nicht geben, weil der Bund, Berlin, Nordrhein-Westfalen, Bayern und die Lufthansa sich nicht einigen konnten – eine kleine vielleicht, das weiß man noch nicht. Tatsache ist, die Lufthansa kriegt, was sie will, der Firmenchef kriegt so viel er will, und die Mitarbeiter kriegen die Kündigung – auch der Mann, mit dem wir sprechen. Er arbeitet in Berlin beim Bodenpersonal und ist seit 1996 Mitarbeiter von Air Berlin. Er möchte anonym bleiben, wir beide haben uns drauf geeinigt, dass wir ihn Paul nennen. Schönen guten Morgen, Paul!
Paul: Guten Morgen!
Kassel: Wo werden Sie heute Abend sein, wenn dieser letzte Flug in Berlin landet?
Paul: Ich werde selbstverständlich dabei sein, schließlich trägt man ein Familienmitglied selten zu Grabe, und so fühlt es sich ein bisschen an. Ich werde auf dem Vorfeld mit vielen, vielen Kollegen stehen und den letzten Flieger begrüßen, annehmen und wie gesagt auch so ein bisschen zu Grabe tragen.
Kassel: Was mich daran schon seit Tagen wundert, so wie Sie das beschreiben, es scheint ja jetzt bis zum Schluss eine unglaubliche Solidarität und – Sie haben ja von Familie gesprochen – ein familiäres Verhältnis immer noch zwischen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu geben.
Paul: Das ist unglaublich, und das ist auch das, was die Fliegerei und Air Berlin so im Besonderen ausmacht – das ist der Zusammenhalt, schon immer. Man ist eigentlich bis zur Vorstandsspitze immer per du gewesen, auch wenn man dann erst hinterher leider mitgekriegt hat, was da oben alles verbockt wurde, und das ist halt wie eine große Familie. So ist es einfach.
Kassel: Aber ganz ehrlich, heute Abend dann in Tegel wird es wahrscheinlich Wehmut sein, auch ein bisschen Trost durch die Kollegen, aber insgesamt, was ist denn im Moment eigentlich ihr stärkstes Gefühl – Trauer, Verzweiflung oder doch eher Wut?
Paul: Ich glaube, inzwischen ist es hauptsächlich die Wut, die immer mehr hochkommt, die Wut, wie man das zu Ende gebracht hat, die Wut aufs Management, die Wut auf die Politik, die uns einfach mal hängen lässt. Sich jetzt hinzustellen und zu sagen, och, wir haben's ja versucht mit einer Transfergesellschaft, Entschuldigung, fünf für zwölf?, nee, es ist eigentlich schon drei nach zwölf, und sich dann hinzustellen und zu sagen, wir machen das aber und sind leider gescheitert, aber das Land Berlin hat's versucht, nee, also eigentlich überwiegt die Wut mehr.
Kassel: Ich finde das so erstaunlich, es ging ja bei einer echten großen Transfergesellschaft, die nicht zustande gekommen ist, um 50 Millionen, das ist ja auch die Summe, die man zwischendurch mal zur Verfügung gestellt hat, nur damit die Urlauber aus dem Urlaub zurückgeflogen werden können. Wenn Sie sehen, 50 Millionen, da sagt die Lufthansa, da geben wir nichts zu, Bayern, Nordrhein-Westfalen sagen, tun wir auch nicht, dann haben Sie doch als Mitarbeiter schon das Gefühl, irgendwie bin ich nichts wert, oder?
"Es ist eine Farce"
Paul: Nee, bin ich auch nicht. Diese ganze Übernahme wird auf dem Rücken der Mitarbeiter komplett ausgetragen. Die Lufthansa hat sich hingestellt, hat gesagt, Mensch, wir sind der Retter, als es immer schlechter ging mit Air Berlin, haben uns Flugzeuge abgenommen, haben gesagt, ja, ihr könnt ja für uns fliegen. Jetzt übernehmen sie Teile der Air Berlin, sie übernehmen uns ja nicht. Sie bekommen das, wo man dann gut Geld verdienen kann – Flugzeuge und die Slots –, aber den Mitarbeiter, den wollen sie nicht. Und sich hinzustellen und zu sagen, wir haben aber 3.000 Stellen bereits geschaffen für Air-Berlin-Mitarbeiter, hört sich gut an, verkauft sich ganz toll, aber diese 3.000 Stellen sind auf dem freien Markt, auf die sich jeder bewerben kann, auch die Air-Berlin-Mitarbeiter, und dann werden natürlich auch nur die genommen, die man gerne haben möchte.
Für Berlin zum Beispiel gibt es, glaube ich, von der Eurowings, und da ist der Kern dabei … Es ist ja eigentlich nicht die Lufthansa, es ist die Eurowings, die uns übernimmt, und es ist die Eurowings Österreich, die uns übernimmt. Also das Versprechen, die Arbeitsplätze in Deutschland zu halten, konnte die Politik leider auch nicht halten. Die Arbeitsplätze gingen dann nach Österreich, stehen also dem Herrn Schäuble – obwohl das ist er ja nicht mehr, unser Finanzminister –, stehen die Einnahmen dann auch nicht mehr zur Verfügung. Ja, es ist halt einfach eine Farce, was da abgeht.
Kassel: Haben Sie denn das Gefühl, der Politik ist das entglitten und irgendwann konnte man die Lufthansa nicht mehr stoppen, oder haben Sie das Gefühl, lange bevor dann klar wurde, was die Lufthansa kriegt und dass sie dann doch der Hauptkäufer sein wird, war das eigentlich schon ein abgekartetes Spiel, dass es so kommt?
Paul: Ich bin der festen Überzeugung, dass es absolut abgekartetes Spiel war – da muss man vor dem Lufthansa-Konzern wirklich den Hut ziehen. Es sind ja Leute abgestellt worden, die das ganze Szenario durchgespielt haben. Wir haben Anfang des Jahres einen neuen Vorstandsvorsitzenden bekommen, der, wie man jetzt auf Neudeutsch sagt, bester Buddy vom Carsten Spohr ist, der wird beim Konkurrenten reingesetzt – kungelt, okay, für viereinhalb Millionen, fast fünf Millionen Euro Gehalt kann man das schon mal machen, klar, Geld zieht.
Dann fliegt der Herr Spohr mit der Kanzlerin nach Saudi-Arabien, spricht mit Etihad, im Mai war das, und wir sind kurz vor den Bundestagswahlen in den Ferien, am 15. August melden wir Insolvenz an, und da hat Lufthansa schon den kompletten Plan. Ich meine, wie soll denn das gehen normalerweise, wenn man nichts davon vorher weiß? Also ich glaube, das ist ein abgekartetes Spiel, und Lufthansa hat noch nie einen innerdeutschen Konkurrenten akzeptiert und hat sie versucht platt zu machen, zu kaufen oder wie auch immer. Und genau so war es jetzt bei uns wohl auch.
"Fehler wurden ohne Ende gemacht"
Kassel: Aber trotzdem noch mal die andere Seite: Sie arbeiten wie gesagt seit 1996 für Air Berlin, das heißt, Sie haben noch die Zeiten erlebt, als das im Wesentlichen ein Shuttleflieger nach Mallorca war, und dann hat sich immer ganz viel verändert. Inlandsflüge kamen dazu, neue Strecken in Europa, Überseeflüge durch die LTU-Übernahme – haben Sie denn überhaupt nicht das Gefühl, dass Air Berlin auch selber doch auch Fehler gemacht hat und dass das wahrscheinlich gar nicht mehr zu retten gewesen wäre am Ende?
Paul: Fehler wurden ohne Ende gemacht. Wir sind ja mit der Übernahme der DBA und der LTU – da sind wir ja nicht gewachsen, wir sind ja explodiert. Wir hatten plötzlich fast das Doppelte an Menschen und an Flugzeugen und sind aber in der Verwaltung so schnell gar nicht nachgekommen, deswegen sage ich explodiert. Das heißt, jeder hatte plötzlich das Zehnfache der Arbeit zu tun gehabt. Wir haben es gestemmt, weil wir es konnten, weil wir Lust drauf hatten, weil wir Spaß an unserem Job haben, wir sind ans Limit gegangen, absolut.
Aber es wurden natürlich auch im Management Fehler gemacht. Leasingverträge wurden geschlossen, die zu horrenden Preisen liefen, Flugzeuge wurden verkauft, das Tafelsilber wird verkauft, und dann Flugzeuge zurückleasen ist immer schlecht. Und dann sich so über den Tisch ziehen lassen – klar wurden Fehler gemacht, klar hat man gesehen, dass es immer schlechter wird und dass die Perspektiven des Überlebens irgendwie dahinschwinden, aber dass es dann doch so krass wird … Ja, jetzt sagen die Hörer, huch, jetzt ist er überrascht – ja, wir sind überrascht, dass das so abläuft, wie es gerade abläuft.
Kassel: Ich bin auch zum Teil überrascht, es hätte ja auch wie bei den Banken dieses "too large to fail"-Ding passieren können, ist es nun nicht. Zum Schluss: Was bedeutet das eigentlich für Sie persönlich, womit rechnen Sie – Arbeitslosigkeit, doch irgendeine Art kleine Auffanggesellschaft oder ein ähnlicher Job für weniger Geld, was ganz anderes?
Paul: Erst mal muss ich sagen, befinde ich mich Stand jetzt immer noch in ungekündigter Anstellung.
"Psychokrieg!"
Kassel: Sie haben Ihre Kündigung noch immer nicht gekriegt von Air Berlin?
Paul: Wir haben die Kündigung noch nicht bekommen. Psychokrieg! Man will, dass sich die Crews bei der Eurowings bewerben, auf Teufel komm raus. Die Eurowings kann ihre Flugzeuge nicht berädern, also wird Druck ausgeübt. Ich weiß nicht, wann meine Kündigung kommt, ich weiß nicht, ob ich dann freigestellt bin oder nicht, ich weiß es nicht, was kommt. Ich kann es Ihnen ehrlich nicht sagen, ich weiß es nicht. Wenn die Kündigung kommt, müssen wir sehen. Der Arbeitsmarkt in der Luftfahrt, der ist dicht. Wir haben als Air Berlin nicht die große Kohle verdient, wie man immer glaubt, aber die Preise, die sind schon nicht mehr zu kriegen.
Und ein Berliner Senat, der sich hinstellt und sagt, wir haben 4.000 Stellen, die wir besetzen können, das ist schön und gut, aber die 3.800 Stellen davon sind beschrieben mit einem Bachelor, Minimumanforderung, Bachelor irgend weiß ich was – den gab es, als ich vor 30 Jahren in die Luftfahrt gegangen bin, noch gar nicht, einen Bachelor. Also schwer! Es wird schwer, sich auf dem Markt zurechtzufinden. Vielleicht geht man aus der Fliegerei raus, was leider sehr viele machen, wir wissen es noch nicht. Man guckt, man sondiert den Markt, man schreibt Bewerbungen, aber Fakt ist, Standpunkt jetzt, ich bin noch nicht gekündigt.
Kassel: Ich werde jetzt nicht versuchen, Sie zu trösten, weil ich das nicht auf irgendeine unpeinliche Art und Weise tun könnte, aber eins kann ich sagen: Ich bin Ihnen sehr dankbar, dass Sie mit uns gesprochen haben, vielen Dank für Ihre Zeit!
Paul: Gerne, gerne.
Kassel: Ein Mitarbeiter von Air Berlin war das, der seit 1996 bei Air Berlin arbeitet. Wir wissen, wer er ist und wie er heißt, keine Angst, das ist sehr seriös hier, aber weil er anonym bleiben wollte, haben wir ihn jetzt in dieser Sendung Paul genannt.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.