Bodystyling

Mein Körper – mein Ich?

Rückansicht eine Frau im Fitnesstudio, die auf ihre Smartwatch schaut. Auf der Schulter rechts hat sie mehrere Tätowierungen.
Trainieren mit der Smartwatch: Fitness im Zeitalter der Selbstoptimierung. © imago / Westend61
Überlegungen von Wolfgang Kaschuba · 14.01.2019
Messen, kontrollieren, gestalten. Unser Umgang mit unseren Körpern verändert sich. Das Versprechen ist doppelt attraktiv: Wir sehen gut aus, werden selbstbewusst. Kulturwissenschaftler Wolfgang Kaschuba bezweifelt, dass die Rechnung aufgeht.
Irgendwie wird das Ding mit dem Körper richtig zwiespältig. Denn einerseits macht er uns immer mehr Probleme: "Bin ich nicht zu dick, zu dünn, zu unscheinbar? Lebe ich nicht zu bequem, zu ungesund, zu wenig sportlich? Kann ich mich in mir überhaupt körperlich wohl fühlen?"
Andererseits hat sich um unsere Körper herum längst ein riesiger Markt der Angebote und der Anwendungen entwickelt. Und der macht uns eben auch Hoffnungen. Denn er verspricht uns alles: Gesundheit, Fitness, Attraktivität. Wenn nur die richtige Haartönung, Modemarke, Diät, Gymnastik-App gewählt wird.

Ein attraktives Produkt auf dem Dating Markt

Dann wird daraus ein anderer, ein selbstbewusster Körper: ein attraktives Produkt auf dem Parship- und Dating-Markt, ein sensibler Organismus im Gesundheits- und Medizindiskurs, ein stattlicher Performer in Sport und Mode. Auch diese Bilder sind uns längst vertraut - eben im Sinne von Illusionen und Wünschen.
Weil uns ja auch versprochen wird, dass wir diesen noch unzulänglichen Körper selbst ändern, korrigieren, optimieren können. Dass die Konzepte der Selbstoptimierung uns weiterhelfen auf unserem Weg vom fetten zum fitten Körper.

Digitale Helferlein für die Selbstoptimierung

Und das ist dann der Weg: "Heute morgen bin ich um 6:18 Uhr aufgestanden, nachdem ich um 23:30 Uhr zu Bett gegangen war. In der Nacht bin ich zweimal aufgewacht. Meine Herzfrequenz betrug 64 Schläge pro Minute, mein Blutdruck 122 zu 76. Nach dem Frühstück war ich zu faul zum Messen. Habe dabei 400 Milligramm Coffein und 18 Gramm Zucker konsumiert. Mein Narcissism Personality Index beträgt 0,43. Sehr ok".
Solche Protokolle seines eigenen Innenlebens kann nun jedes Selbst erstellen: Sofern wir die richtige Body-App benutzen und nachts ein Armband oder Stirnband tragen, das Hirn- und Körperaktivitäten auf das Handy überspielt. Sofern wir dies alles für normal und gesund halten: Sensoren am Körper, die Ernährung wie das Training steuernde Programme auf dem Smartphone und die Protokollierung aller Lebensäußerungen auf dem heimischen Notebook. Lauter kleine digitale Helferlein und Kontrolletis, die nur unser Bestes wollen.

Tattoo, Botox und Chirurgie – ein Körper aus dem Katalog

Und der Weg geht weiter. Denn die Arbeit am Körper schließt auch Piercings und Tattoos ein, auch botoxen und plastische Chirurgie: also massive Veränderungen der gesamten körperlichen Erscheinung. Für diese komplette Neu-Modellierung des Körpers stehen Sport- und Tattoo-Studios bereit, Fettabsauger und Schönheitschirurgen.
Längst ist der Körper aus dem Katalog ein normales Geburtstagsgeschenk wohlhabender Kreise: Wenn dem Töchterlein zum 18. auch ein auffälligeres Busenprofil geschenkt wird, wie in amerikanischen und asiatischen Familien längst üblich.

Selbst-Überforderung und Selbst-Entblößung

Soziale Kontrolle und Selbst-Zwang liegen hier motivisch nahe beieinander. Und diese Sucht nach körperlicher Perfektionierung zeigt bereits vielfältige Gesichter: zwanghafte Praktiken von der Selbst-Überforderung über die Selbst-Isolation bis zur Selbst-Entblößung - nur um jünger, fitter, attraktiver zu erscheinen - bis zur nächsten Straffung.
Nicht wenige erhoffen sich von diesem Körperstyling ein erfüllteres und glücklicheres Leben. Oft jedoch scheint es dadurch eher stressiger und inhaltsleerer zu werden: mehr fremde Termine und Zwänge, weniger eigene Interessen und Beziehungen. – Auch darin spiegelt sich eben der Zeitgeist, hin zum Individuellen statt zum Sozialen, zu Formen statt Werten, zu Stilen statt Haltungen.
Ob dies am Ende des Tages ausreicht, um gemeinsam Gesellschaft zu gestalten, das kann dann freilich nicht der Body-Index, das muss der Kopf entscheiden.

Wolfgang Kaschuba, geboren 1950 in Göppingen (Baden-Württemberg), war von 1992 bis 2015 Professor für Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er ist Geschäftsführender Direktor des Instituts für empirische Migrations- und Integrationsforschung der HU und Vorsitzender des Fachausschusses Kultur und des Beirates Vielfalt kultureller Ausdrucksformen der Deutschen UNESCO-Kommission. Zuletzt veröffentlichte er "Tempelhof. Das Feld. Die Stadt als Aktionsraum".

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