Böhmer: Schulen sollen ihre Probleme offen legen

Moderation: Hanns Ostermann |
Die Bundesbeauftragte für Migration, Integration und Flüchtlinge, Maria Böhmer, hat es begrüßt, dass Schulen ihre Probleme mit gewaltbereiten Schülern offen legen. Dieser Schritt nach vorne sei wichtig, sagte die CDU-Politikerin im Deutschlandradio Kultur. Zugleich sprach sie sich dafür aus, die Eltern stärker in die Verantwortung zu nehmen, vor allem mit Blick auf den Erwerb der deutschen Sprache.
Hanns Ostermann: Wie groß ist die Not an den Schulen? Der Brandbrief einer Berliner Hauptschule hat bundesweit auf ein Problem aufmerksam gemacht, das die Fachleute vorher schon kannten. Jetzt allerdings wird offen darüber diskutiert, dass nicht selten überforderte und alleingelassene Lehrer vor ihren Klassen stehen, dass die Gewaltbereitschaft teilweise erschreckende Ausmaße annimmt und dass ganz offensichtlich auch die Zusammenarbeit von Lehrern und Eltern alles andere als optimal verläuft. Es gibt strukturelle Probleme und ganz sicher auch Defizite bei der Vermittlung von Werten, die für unsere Gesellschaft wichtig sind. Über dieses Problem möchte ich mit Maria Böhmer von der CDU sprechen. Sie ist Staatsministerin im Bundeskanzleramt und Beauftragte für Migration, Integration und Flüchtlinge. Guten Morgen, Frau Böhmer.

Maria Böhmer: Guten Morgen, Herr Ostermann.

Ostermann: Um keinen falschen Eindruck entstehen zu lassen, natürlich gibt es auch Schulen, die funktionieren, aber was machen die anders?

Böhmer: Es ist sicherlich auch abhängig vom Umfeld der Schule. Liegt also die Schule in einem sozialen Brennpunkt, dann ist die Ausgangssituation eine völlig andere, als wenn wir es mit einer sozialen Situation zutun haben, wo die Elternhäuser ihre Verantwortung auch wirklich wahrnehmen können. Das macht einen deutlichen Unterschied und die Schulen treten heute eher nach außen, machen deutlich, dass Gewalt an ihren Schulen herrscht. Früher hat man das eher etwas kaschiert, weil man die Sorge hatte, dass den Lehrern selbst die Probleme angelastet werden. Ich glaube, der Schritt nach vorne ist wichtig, denn nur wenn wir genau wissen, wie es um Gewalt an den Schulen gestellt ist, können wir auch besser darauf reagieren, Lehrerinnen und Lehrern stärkere Hilfestellung geben, aber vor allen Dingen auch die Elternhäuser entsprechend motivieren und Erziehungskompetenz wieder vermitteln. Denn im Elternhaus wird die Grundlage gelegt und wenn die Zusammenarbeit zwischen Elternhaus und Schule nicht klappt, dann stehen Lehrerinnen und Lehrer oft auf einsamen Posten.

Ostermann: Sie haben eben auch auf die sozialen Brennpunkte hingewiesen. Haben Sie eine Idee, wie man die Mischung verändern kann? Oder lässt sich das nicht steuern?

Böhmer: Ich halte nichts von Ansätzen, wie wir sie aus den USA kennen, dass Schüler von einer Schule zur anderen transportiert werden, sondern man muss das Problem vor Ort in der Schule, im Stadtteil lösen. Ich kenne gute Beispiele durch Quartiersmanagement, wo man sich im Stadtteil selbst der Fragen und Probleme angenommen hat, gemeinsam mit der Schule. Wo die Schulen auch durch Unterstützung von Sozialarbeitern, aber auch durch eine enge Zusammenarbeit mit den Eltern und mit den Schülerinnen und Schülern einen eigenen Weg gefunden haben. Das heißt, man muss der Gewalt klare Grenzen setzen. Schüler und Schülerinnen brauchen eine klare Ansage, welche Grenzen gesetzt sind und dass sie nicht überschritten werden dürfen und wenn sie sie überschreiten, dass dann auch Konsequenzen da sind.

Wir müssen aber auch sehen, dass gute Erfahrungen gemacht worden sind, beispielsweise mit Schülern, die zu Streitschlichtern an ihrer Schule ausgebildet worden sind, so dass sie sehen, die Verantwortung muss auch von ihnen selbst mitwahrgenommen werden.

Und wir brauchen eine engere Vernetzung mit der Polizei im präventiven Bereich. Es gibt in etlichen Bereichen eine enge Zusammenarbeit auch schon, wenn hier Präventionsbeauftragte der Polizei da sind, also es gibt eine Fülle von Ansätzen. Aber die Schulen, die das noch nicht praktizieren, denen muss dringend geholfen werden.

Ostermann: Ja, aber die Frage ist ja, wie ihnen geholfen werden kann. Denn Konfliktlotsen beispielsweise oder Mediatoren gibt es ja an einigen Schulen. Allerdings erfreuen sich diese Einrichtungen nicht allzu großer Unterstützung. Was kann man also tun, um diesen "ehrenamtlichen Bereich" zu fördern?

Böhmer: Wir brauchen natürlich nicht nur den ehrenamtlichen Bereich, sondern wir brauchen darüber hinaus die Unterstützung von Schul-, Sozialarbeitern, wirklich in der Schule verankerte Hilfemöglichkeiten. Meines Erachtens muss man auch sehen, wir leben heute in einer Welt, wo die Medien einen gewaltigen Einfluss haben und bei dem Phänomen der Gewalt an Schulen haben wir gesehen, dass die Gewaltbereitschaft einhergeht mit einer zunehmenden Brutalisierung. Hier spielt auch die Frage der Computerspiele, zuletzt auch das, was auf Handys sich abspielt und was Schüler ja selbst dann auch an Gewalttätigkeiten aufnehmen, eine große Rolle. Das heißt, wir müssen hier auch aufklären über die neue Entwicklung in den Medien. Aber wichtig ist es, dass Schulen nicht allein gelassen werden, dass sie personelle Unterstützung haben, um die Probleme zu lösen und dass hier deutlich auch mit dem Elternhaus zusammengearbeitet wird und Eltern auch in die Verantwortung genommen werden.

Ostermann: Die Eltern, dass haben sie gesagt, in einigen Fällen kommen sie der Verantwortung nicht nach. Was ist da eigentlich in der Vergangenheit schief gelaufen? Vor allem auch bei Eltern oder bei Kindern mit einem Migrationshintergrund?

Böhmer: Also wir stehen ja vor dem Problem, bei vielen der zweiten oder der dritten Generation, die zu uns gekommen sind, dass wir zum einen Defizite beim Erwerb der deutschen Sprache haben. Ich habe mit vielen jungen Menschen in der letzten Zeit gesprochen, die sagten, unsere Eltern sind selbst bildungsfern, unsere Großeltern waren Analphabeten, sie waren nicht vertraut mit dem schulischen Bildungsangebot hier in unserem Land und wir hatten Glück, dass uns Lehrerinnen und Lehrer geholfen haben auf unserem Weg. Das zeigt, zum einen ist es nicht damit getan, dass wir jetzt sagen, Spracherwerb für Kinder, sondern wir müssen auch den Spracherwerb, für diejenigen, die schon länger in unserem Land leben, forcieren. Das gehört einfach dazu.

Und zum Zweiten glaube ich, dass in Kombination Spracherwerb und Vermittlung der Bildungsmöglichkeiten und von Erziehungskompetenzen gerade mit Blick auf Eltern ausländischer Herkunft, es ein wichtiger Brückenschlag ist, wenn sie wissen, welche Angebote bei uns existieren, aber auch welche Erziehungsvorstellungen wichtig sind, damit ihre Kinder ihren Weg gehen können. Denn sie tragen ganz wesentlich die Verantwortung mit, nicht allein die Schule. Und die Schule darf nicht immer nur zum Reparaturbetrieb werden.

Ostermann: Ausgesprochen kontrovers wird derzeit über eine einheitliche Schulkleidung diskutiert. Könnte sie mit dazu beitragen, Spannungen abzubauen oder lenkt sie mehr von eigentlichen Problemen ab?

Böhmer: Die Frage der Schulkleidung muss eingebettet sein in eine Vereinbarung in der Schule, dass man sich auf bestimmte Grundsätze verständigt, was eine Schulordnung anbetrifft, was das Verhältnis untereinander, das heißt Respekt, Höflichkeit, ein faires Miteinander angeht, dann macht es sicherlich auch die Vereinbarung über eine Schulkleidung einen Sinn. Wenn man aber glaubt, mit der Schulkleidung alleine wäre es getan, dann glaube ich, ist man auf einem Irrweg. Aber hier sie als ein hilfreiches Instrument anzunehmen in der Schule, die sagt, wir verständigen uns darauf, zwischen der Schulleitung, zwischen Lehrerinnen und Lehrern, Schülerinnen und Schülern und Eltern, dann kann das ein wichtiger Schritt sein, wo man sagt, wir wollen alles dazu tun, dass im präventiven Bereich Gewalt verhindert wird. Und insofern haben wir vielleicht auch noch einen Nebeneffekt. Wir wissen, dass es bei den Schülerinnen auch und Schülern zu einem Wettbewerb geradezu kommt, welche Marke man trägt. Das könnte ein Stück gemildert werden, durch Schulkleidung.