Böhmermann und der SPD-Vorsitz

Politologe: "Das ist die billigste Form der Ironie"

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Der Screenshot zeigt den TV-Moderator und Satiriker Jan Böhmermann in einem Youtube-Video vor rotem Hintergrund an einem Rednerpult mit SPD-Logo. (Copyright Jan Böhmermann)
Jan Böhmermann ruft sich in seiner Sendung zum Kandidaten für den SPD-Vorsitz aus. © Screenshot Youtube-Kanal von Jan Böhmermann: Copyright Jan Böhmermann
Albrecht von Lucke im Gespräch mit Nicole Dittmer |
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Jan Böhmermann hat sich in seiner Sendung zum Kandidaten für den SPD-Vorsitz ausgerufen. Politologe Albrecht von Lucke nennt die Aktion ein Armutszeugnis. Einst habe sich Böhmermann an Erdogan gerieben, nun gebe er der darbenden SPD noch einen mit.
Jan Böhmermann stelle sich selbst ein ziemlich dürftiges Zeugnis aus, sagt der Politologe Albrecht von Lucke im Deutschlandfunk Kultur mit Blick auf die neueste Aktion des TV-Moderators: "Denn sich heute über eine SPD amüsieren zu wollen – ein Mann wie Böhmermann, der es davor mit Erdogan aufnahm, der es nun nötig hat, seine Ironie im Falle der SPD noch einmal abzureagieren – das ist doch eine gewaltige Fallhöhe und ein Armutszeugnis."
Lucke, Redakteur der "Blätter für deutsche und internationale Politik", sagt: "Wenn es Böhmermann ernst gemeint hätte, wäre ich der erste Unterstützer. Ich würde sagen: Ja, Herr Böhmermann, stellen Sie sich zur Wahl." Aber gerade die junge Generation wende sich ja in weiten Teilen ab von den Parteien. Früher hätten sich Menschen aus anderen Bereichen des Lebens aufgemacht, in die Politik zu gehen. Das erlebe man in der jungen Generation gar nicht mehr.
"Das ist ein riesiges Problem", sagt Lucke. "Deswegen fände ich es spannend, wenn Leute plötzlich auftauchen würden, gerade in jüngeren Generationen, und sagen würden: Ja, ich bin ein echter Unterstützer."

Den "ironischen Totalangang" hinter sich lassen

Wenn etwa Klaas Heufer-Umlauf sich nicht nur zur SPD bekennen würde, sondern seinen Spaßjob als Ironiker verlassen würde und sagen würde: "Ich mache wirklich Politik". Zu diesem Gedankenspiel sagt Lucke: "Das wäre absolut begrüßenswert, denn die Politik braucht Identifikationsfiguren dieser jungen Generation. Es hätte bloß eine Voraussetzung: Sie müssten ein stückweit ihren ironischen Totalangang hinter sich lassen, sie müssten ernst werden und sie müssten wirklich Partei ergreifen – im wahrsten Sinne des Wortes."
Der Satiriker und Fernsehmoderator Jan Böhmermann hatte am Donnerstagabend in seiner Show "Neo Magazin Royale" angekündigt, er wolle bei der Wahl zum SPD-Vorsitzenden kandidieren. Willy Brandt sei ihm im Traum erschienen und habe ihm gesagt: "Du musst es machen, der Olaf ist 'ne Pfeife." Damit vereinnahmte Böhmermann den 1992 gestorbenen SPD-Ehrenvorsitzenden und einen der Säulenheiligen der Partei für seine mutmaßliche Pseudo-Kampagne. Brandt war 23 Jahre Vorsitzender der Partei. 1976 wählte ihn zudem die Sozialistische Internationale zu ihrem Präsidenten, der er bis kurz vor seinen Tod blieb.
Auf seinem Youtube-Kanal zeigt sich Böhmermann im dunkelblauen Anzug und mit Krawatte, um ihn herum sieht alles nach SPD aus, auf dem Rednerpult prangt das SPD-Logo, darunter #neustart19.
In dieser Farbenwelt fällt dann der Satz, um den nun gestritten wird: "Ich, Jan Böhmermann, möchte Vorsitzender der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands werden. Ich bewerbe mich." Im Vordergrund schwenken junge Menschen Fähnchen mit dem Aufdruck N19. Man kann sich erinnert fühlen an den JU-Parteitag in Bayern, als der CSU-Nachwuchs Markus Söder dabei unterstützte, Horst Seehofer abzulösen.

"Niemanden ernst nehmen, der es selbst nicht ernst nimmt"

Böhmermanns Aktion sei eher Ausdruck der Tatsache, dass ihm mit dieser Form des Ironischen mittlerweile nicht mehr einfällt, wie er mit der Gegenwart umgehen soll. "Das spricht eigentlich eher ein Armutszeugnis aus, über den gegenwärtigen Zustand des momentanen Polit-Entertainments dieser Generation." Albrecht von Lucke meint dazu: "Die Totalität der Ironie, die gebricht sich irgendwann."
Der Politikwissenschaftler spricht sich auch vehement dagegen aus, Böhmermann in diesem Fall auch nur ansatzweise ernst zu nehmen. "Wir dürfen doch niemanden ernst nehmen, der es selbst nicht ernst nimmt." Die ganze Aktion sei allein dazu da, um Aufmerksamkeit zu erheischen.
Da seien andere womöglich weiter. "Wenn beispielsweise Rezo es schafft, mit einem Video, das nicht mehr ironischer Art war, wirklich die CDU zu attackieren, dann ist das weit politischer, als sich jetzt noch einmal über die SPD zu beugen, in einer ganz armseligen Form der Ironie seine Verachtung auszudrücken."
Böhmermann sage vielleicht zu Recht, "hilflos, verletzt ist die SPD." Er wolle nicht länger vorbeigehen, es reiche. Und doch bringe er zum Ausdruck, es sei ihm eigentlich egal, sagt Lucke: "Das ist die billigste Form der Ironie – die genau das Gegenteil von dem, was sie behauptet, meint."

"Ein Phänomen, das alles an sich abprallen lässt"

"Wenn er es ernst meinte", so Lucke, "dann wäre das ein politischer Vorgang, denn wir haben es ja mit einer dramatischen Krise der Parteien zu tun." Ein ernster Kabarettist könnte sich ja auch fragen, ob er was gegen das Anwachsen der AfD tun könnte. "Aber dass sich ein Kabarettist oder Comedian wie Böhmermann noch einmal über die SPD beugt, und ihr einen mitgibt, das ist doch, gelinde gesagt, armselig. Das kann ich nicht politisch finden."
Auch wenn andere sagten, Menschen wie Böhmermann, Joko Winterscheidt und Klaas Heufer-Umlauf setzten sich in kurzen Sports für Seenotrettung ein und seien so politisch, überzeugt Lucke das nicht: "Sie betreiben ansonsten eine Spaßgesellschaft, die mit ihrer Ironie letztlich kaum Einbruchstellen schafft. Ironie ist ein Phänomen, das alles an sich abprallen lässt – und das letztlich keine Empfindlichkeit hat für wirkliche Phänomene, große politische Phänomene."
Lucke kontrastiert das mit einer anderen Haltung: "Deswegen ist zum Beispiel ein anderes Phänomen wie Greta Thunberg absolut unironisch. Wir haben es also gegenwärtig mit einer Durchbrechung des Ironischen zu tun – und das ist eine neue Form des Politischen. Da muss Böhmermann aufpassen, dass er den Anschluss an eine neue, politische Generation nicht verpasst."
(mfu)
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