Böhmermann-Urteil

"Erdoğan hat sein Klagerecht eigentlich verwirkt"

Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und ZDF-Moderator Jan Böhmermann in verschiedenen Aufnahmen nebeneinander.
Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan und ZDF-Moderator Jan Böhmermann. © dpa / Robert Ghement
Klaus Staeck im Gespräch mit Anke Schaefer |
"Erdoğan ist der Letzte, der sich auf sein persönliches Gut der Unverletzbarkeit der Persönlichkeit berufen kann", so kritisiert der Künstler Klaus Staeck das jüngste Urteil zum Schmähgedicht Jan Böhmermanns. Es sei frech, dass er vor ausländische Gerichte ziehe.
Klaus Staeck, politischer Künstler und ehemaliger Präsident der Berliner Akademie der Künste, sieht das heutige Urteil des Hamburger Landgerichts zum Fall Jan Böhmermann kritisch. Für ihn sei es klar, dass der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan durch sein alltägliches undemokratisches Handeln eigentlich sein Recht auf eine derartige Klage verwirkt habe, sagt Staeck im Deutschlandradio Kultur:

"Erdoğan ist der Letzte, der sich auf sein persönliches Gut der Unverletzbarkeit der Persönlichkeit berufen kann. Jemand, der so die Meinungs- und Kunstfreiheit mit Füßen tritt, Demokratie praktisch abschafft, der ist eigentlich frech, wenn er sich vor ausländischen Gerichten auf sein Persönlichkeitsrecht beruft."

Das Problem mit den Anspielungen unter der Gürtellinie

Er selbst habe es eigentlich immer vermieden, unter die Gürtellinie zu gehen, so Staeck unter Bezug auf die mit sexuellen Anspielungen versehenen Passagen von Jan Böhmermanns Schmähgedicht , die weiterhin verboten bleiben sollen. Ihn störe es allerdings, dass das Gedicht "zerhackt" werde:
"Wenn man es nun einmal tut, dann kann man Teile – so wie es das Gericht es meint – für nicht zulässig erklären. Aber das Ganze ist so seltsam, dass ich denke: Haben wir nicht wichtigere Probleme als über 'Ziegenficker' oder worum es da nun ging zu diskutieren?"

Meinungsfreiheit als höchstes Gut

Das höchste Gut sei die Meinungsfreiheit, stellt Staeck heraus:
"Da gibt es auch gute Richter, wie ich immer erfahren habe, die sie auch sehr, sehr schätzen und immer zum Schluss für die Meinungsfreiheit votiert haben. In dem Falle hätte ich das genau so getan - trotz dieser sexuellen Bezüge, die mich persönlich auch stören. Ich hätte Herrn Erdoğan auch nicht ein Teil-Recht zugesprochen."
Klaus Staeck steht vor Werken aus seiner Sammlung
Klaus Staeck© picture alliance / dpa/ Britta Pedersen
Er sei auch der Meinung, dass solche Diskussionen in die Feuilletons und nicht in den Gerichtssaal gehörten. Doch wenn es sein musste, war Staeck immer kämpferisch:
"Ich habe immer – wenn es denn einmal zu einer juristischen Auseinandersetzung kam – das im Sinne auch der Meinungsfreiheit genutzt. Nämlich zu sagen: 'Leute, seid nicht so feige, so ängstlich!' Sondern man kann viel mehr sagen, als man glaubt – auch als ganz normaler Bürger."

Das Interview im Wortlaut:
Anke Schaefer: Axel Schröder aus Hamburg also zum Urteil des Hamburger Landgerichts in Sachen Böhmermann gegen Erdogan. Und ich bin jetzt mit Klaus Staeck verbunden. Er ist Jurist und politischer Künstler. Lange hat er die Akademie der Künste in Berlin geleitet, hat selbst schon wegen provokanter Plakate vor Gericht gestanden. Guten Tag, Herr Staeck!
Klaus Staeck: Ich grüße Sie, Frau Schaefer!
Schaefer: Was sagen Sie zu dem Urteil? Hatten Sie erwartet, dass das so ausfallen würde?
Staeck: Ich habe es eigentlich so erwartet. Der erste Fehler begann ja, dass Frau Merkel seinerzeit die Ermächtigung erteilt hat überhaupt, dieses Verfahren in Gang zu setzen. Und wenn es was gebracht hat, dann schon mal die Diskussion über diesen unsäglichen Paragrafen 103 des Strafgesetzbuchs, also die Beleidigung von Staatsoberhäuptern, der nun wirklich nicht mehr in die Zeit passt. Und der soll ja wohl demnächst hoffentlich nun abgeschafft werden. Aber wir haben ihn nun noch mal.
Beide Seiten haben ja vorher angekündigt, dass sie bis zum höchsten Gericht gehen werden in der Sache. Ich finde es nicht gut, dass dieses Gedicht, diese Schmähkritik – er hat es ja selbst seinerzeit so bezeichnet, Herr Böhmermann –, dass das auseinandergerissen wird. Ich persönlich habe in meinen vielen Auseinandersetzungen, juristischen Auseinandersetzungen, immer vermieden, unterhalb der Gürtellinie zu gehen. Das ist ein Bereich, wo man tatsächlich in der Nähe der Schmähkritik immer ist. Aber Herr Erdogan ist jemand, der durch all sein undemokratisches Handeln, wie wir ja fast täglich erfahren, keine großen Rechte hat, sich auf seine große Persönlichkeit zu berufen. Das ist der politische Nebeneffekt bei der ganzen Geschichte.

"Die Meinungsfreiheit ist nun mal das höchste Gut"

Schaefer: Da gleich noch mal drauf kommen. Erst noch mal tatsächlich konkret zu dem Gedicht. Es dürfen also nicht wiederholt werden die Passagen mit sexuellem Bezug und diese wirklich Schmähungen, die unter die Gürtellinie gehen, wie Sie sagen. Das, würden Sie aber sagen, ist eigentlich rechtens. Eigentlich dürfte man so was nicht veröffentlichen?
Staeck: Ich finde, wenn man das – wir reden immer von einem Gedicht –, wenn man das zerhackt, das finde ich nicht in Ordnung. Und wenn man es aber dann nun mal tut, dann kann man Teile, so wie das Gericht es meint, für nichtzulässig erklären. Aber das Ganze ist so seltsam auch in meinen Augen, dass ich denke, haben wir nicht wichtigere Probleme, als über "Ziegenficker" oder was es da nun, worum es ging da, zu diskutieren. Die Meinungsfreiheit ist nun mal das höchste Gut. Und da gibt es auch gute Richter, wie ich immer erfahren habe, die sie auch sehr schätzen und immer zum Schluss für die Meinungsfreiheit votiert haben. In dem Fall hätte ich das genauso getan, und das Ganze trotz dieser sexuellen Bezüge, die mich persönlich auch stören, hätte ich Herrn Erdogan auch nicht ein Teilrecht zugesprochen.
Schaefer: Es gab eine lange Unterschriftenliste, Solidaritätsbekundungen für Jan Böhmermann von Künstlerkollegen. Kunst, wird gesagt, muss in einem Klima stattfinden, in dem keine Strafanzeigen drohen. Diskussionen über ein solches Gedicht gehören in die Feuilletons und nicht in den Gerichtssaal. Dem würden Sie also zustimmen?
Staeck: Dem würde ich zustimmen, ja. Und trotzdem, ich habe immer dann auch, wenn es mal zu einer juristischen Auseinandersetzung kam, immer das auch genutzt, im Sinne auch der Meinungsfreiheit zu sagen, Leute, seid nicht so feige und so ängstlich, sondern man kann viel mehr sagen, als man glaubt, auch als ganz normaler Bürger.

Erdogan tritt Meinungsfreiheit mit Füßen

Schaefer: Erdogan macht in seinem eigenen Land eine Politik, die der Pressefreiheit wirklich sehr wenig Raum lässt.
Staeck: Der gar keinen Raum lässt, in Wahrheit…
Schaefer: Gar keinen Raum, genau. Er lässt Oppositionelle verhaften, Journalisten verhaften, und deswegen sagen Sie, darf sich so einer nicht auf Persönlichkeitsrechte berufen. So hat auch übrigens der Anwalt von Böhmermann argumentiert.
Staeck: Ja, ich finde das in Ordnung. Erdogan ist der Letzte, der jetzt sich auf sein persönliches Gut der Unverletzbarkeit der Persönlichkeit berufen kann. Jemand, der so die Meinungsfreiheit, Kunstfreiheit sowieso, mit Füßen tritt, Demokratie praktisch abschafft, der ist eigentlich frech, wenn er sich vor ausländischen Gerichten auf sein Persönlichkeitsrecht beruft. Da finde ich gar keine schärferen Worte.
Schaefer: Aber alles in allem sind wir froh, dass wir die Diskussion haben, weil eben der Majestätsbeleidigungsparagraf 103 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen wird.
Staeck: Einmal das, und dass auch dieses Urteil wieder Anlass sein kann, über – ich sag mal jetzt etwas vulgär – die Machenschaften von Herrn Erdogan wieder neu zu diskutieren. Wir nehmen ja vieles einfach auch nur hin, was da passiert, was nun mit unseren Grundsätzen nicht nur von Meinungsfreiheit absolut nichts mehr zu tun hat.
Schaefer: Klaus Staeck ist es, Künstler und Jurist, lange Jahre der Leiter der Akademie der Künste in Berlin. Vielen Dank, Herr Staeck, für das Gespräch!
Staeck: Ich danke Ihnen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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