Bogdan Wojdowski: "Brot für die Toten"

Eines der bedeutendsten Werke der Holocaustliteratur

05:27 Minuten
Cover von "Brot für die Toten"
Der Roman "Brot für die Toten" ist eine erschütternde Lektüre, so unser Kritiker. © Deutschlandradio / Wallstein
Von Jörg Plath |
Audio herunterladen
Der erste Band der "Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur" ist Bogdan Wojdowskis 1971 erschienenes Opus Magnum "Brot für die Toten". Der dokumentarisch wirkende Roman beruht auf seinen erschütternden Erfahrungen im Warschauer Ghetto.
Bogdan Wojdowskis Roman "Brot für die Toten" ist eine erschütternde Lektüre. Der polnische Schriftsteller schildert zwei Jahre des äußerst schwierigen Überlebens im Warschauer Ghetto, in dem er mit Eltern und Schwester ab November 1940 leben musste.
Bogdan hieß damals noch Dawid, die Hauptperson seines Romans heißt David. Dass seine Angehörigen ins Ghetto deportiert wurden, wird erst nach und nach klar. Der Alltag ist beengt, aber abwechslungsreich: Verwandte kommen mit Neuigkeiten zu Besuch, die Frauen kämpfen gegen die Läuse in den zerfetzten Lumpen, der Zehnjährige erhält Unterricht durch Professor Baum.

Jeden Morgen füllen sich die Leichenkarren

Davids Vater beschäftigt den Pädagogen aus sozialen Gründen: Baum hat keine andere Möglichkeit, die tägliche Ration von 200 Kalorien (Deutsche erhalten das 11-fache), die das Verhungern nur verlängert, aufzubessern. Mit Baum lässt sich jedoch diskutieren über Gott und die Deutschen und ob man sich für den Kampf rüsten oder auf die Ausschiffung aller Juden nach Madagaskar hoffen soll. Derweil liegen die gänzlich Mittellosen entkräftet im dichten Gewühl auf den von einer hohen Mauer umschlossenen Straßen, betteln und stehlen einander die kümmerlichen Gaben. Jeden Morgen füllen sich die Leichenkarren.
Wojdowski zeigt verschiedene Reaktionen auf die Nähe des Todes: Ein Sohn tritt dem jüdischen Ordnungsdienst bei und wird von seinem behinderten Vater verstoßen. Weil der Sohn den Vater nicht wie befohlen töten will, exekutieren die Deutschen den Jungen vor den Augen des Alten.
Ein reicher Rechtsanwalt will seine Flucht erkaufen und fällt der Gier des Bestochenen zum Opfer. Jugendliche Banden ziehen stehlend durchs Ghetto. Manche brechen den Toten die Goldkronen aus dem Mund, doch die Hehler bringen einen der Massengrabräuber um. David schließt sich Schmugglern an, die die Mauer überwinden, den Judenstern abstreifen und in entlegenen Bäckereien Warschaus Brot kaufen. Die Schmuggler werden nicht gefangen und ausgeraubt. Manchmal hat ein Deutscher mit dem Spitznamen "Bluthändchen" Dienst.

Der Autor nahm sich das Leben

"Brot für die Toten" wirkt dokumentarisch, weil ein Territorium im Mittelpunkt steht, das Lager in der Stadt, nicht eine Person oder eine Familie. David verschwindet immer wieder für längere Zeit aus der Erzählung, Szenen enden unvermittelt, vorher nicht erwähnte Personen treten plötzlich auf. Den Tätern wird die Ehre der Erwähnung nur zuteil, wenn sie kontrollieren, foltern oder schießen. Wojdowski gibt den Opfern Gesicht und Stimme. Die Flucht Davids – ein Ende, das glücklich zu nennen sich alles sperrt – erzählt er nicht.
Bogdan Wojdowski floh im August 1942 mit seiner Schwester Irena aus dem Ghetto. "Brot für die Toten", 1971 erschienen, gilt als bedeutendstes Werk der polnischen Holocaustliteratur. 1994 nahm sich Wojdowski am 50. Jahrestag des Aufstands im Warschauer Ghetto das Leben.
Sein Opus Magnum ist der erste Band einer auf zehn Bände angelegten "Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur", über die das Nachwort von Lothar Quinkenstein, einem der drei Herausgeber, wenig verrät. Doch die Wiederentdeckung des schon 1974 von Henryk Bereska für den DDR-Verlag Volk und Welt übersetzten Romans "Brot für die Toten" ist ein Paukenschlag.

Bogdan Wojdowski: "Brot für die Toten"
Aus dem Polnischen von Henryk Bereska.
Mit einem Nachwort von Lothar Quinkenstein.
Bibliothek der polnischen Holocaustliteratur. Band 1. Herausgegeben von Ewa Czerwiakowski, Sascha Feuchert und Lothar Quinkenstein.
Wallstein Verlag, Göttingen 2021
464 Seiten, 24 Euro

Mehr zum Thema