Bogenschießen in Südkorea

Medaillenbank und Kulturgut

06:39 Minuten
Sihyeon Lim aus Südkorea beim Bogenschießen in Aktion
Südkorea gehört bei internationalen Wettbewerben im Bogenschießen häufig zu den Favoriten (hier die Schützin Sihyeon Lim). © dpa / picture alliance / Christoph Soeder
Von Felix Lill |
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Beim derzeitigen Weltcupfinale im Bogenschießen in Mexiko gehören die südkoreanischen Schützen wie immer zu den Favoriten. Die Tradition des Sports in dem asiatischen Land ist Jahrtausende alt - und wichtiger Teil der nationalen Kultur.
Als Shin Dong-sul die Spannung loslässt, blickt er dem Pfeil hinterher, durch den Nachmittagshimmel von Seoul. Irgendwo weit vorne, hinter einem Tal, das er gerade überflogen hat, landet er nahe der Zielscheibe. Der Altmeister Shin nickt zufrieden. 
Die Bogenschießanlage Hwanghakjeong, im Zentrum der südkoreanischen Hauptstadt, umzingelt von Wolkenkratzern aus Glas und Stahl, wirkt wie ein Paradoxon einer modernen Metropole. 
Vor einem wild mit Gras und Blumen bewachsenen Hang stellen sich Schützen auf, zielen, soweit ihr Auge reicht. Die Pfeile fliegen rund 150 Meter. Im internationalen Vergleich ist das beachtlich, betont Shin Dong-sul, als er vom Schießstand zurück in sein Büro geht:

"In den meisten anderen Nationen, die eine starke Bogenschießtradition haben, fliegen die Pfeile nicht so weit. In Japan sind es um die 35 Meter, in der Mongolei 80, in westlichen Ländern 70 bis 80 Meter. Bei Olympischen Spielen schießt man heute 70 Meter weit. Unsere alten Pfeile fliegen also die doppelte Distanz."

Zuerst wurden die Bögen zur Jagd eingesetzt

Shin Dong-sul sieht stolz aus, als er das sagt. Er ist Direktor der Galerie des Bogenschießens, ein Museum auf dieser Schießanlage. Wobei sich der Stolz weniger auf den Vergleich mit anderen Ländern zu beziehen scheint als auf den Vergleich mit dem modernen Wettkampfsport.
Shin sagt:

Die Geschichte des olympischen oder wettkampforientierten Bogenschießens ist ungefähr 100 Jahre alt. Aber unsere Tradition im Bogenschießen ist Jahrtausende alt. Zuerst wurden die Bögen zur Jagd eingesetzt, später dann militärisch. Und in Korea wurde es später aber auch ein wichtiger Teil der nationalen Kultur.

Shin Dong-sul, Direktor der Galerie des Bogenschießens in Seoul

Dieser Tage berichten koreanische Medien wieder mal über den modernen Sport. Im mexikanischen Tlaxcala läuft derzeit das Finale des jährlichen Bogenschießen-Weltcup. Wie jedes Mal zählen Schützinnen und Schützen aus Südkorea zu jenen, denen Gold zugetraut wird. 

Südkorea führt hier Olympia-Ranking an

Apropos Gold: Bei Olympischen Spielen führt Südkorea das historische Medaillenranking im Bogenschießen deutlich an. Auch im vergangenen Sommer in Paris reichte es wieder fünfmal für Gold - und damit zum Sieg in jedem der Wettbewerbe. Südkorea ist also das Maß der Dinge. 

Aber traditionelle Schützen sehen beim öffentlichen Fokus auf Bogenschießen als Wettbewerbssport auch ein Kulturgut in Gefahr.

"Eine der wichtigsten Fähigkeiten"

Cho In-souk, Architekturhistorikerin und Mitglied der Schießanlage Hwanghakjeong, erzählt von der großen Bedeutung, die das Bogenschießen schon vor Jahrhunderten hatte:

"Wissenschaftler in der Joseon-Dynastie,  hochrangige Lehrer mussten das Bogenschießen lernen. Sogar der König auch. Es ist eine von sechs Hauptlehren. Deswegen ist Bogenschießen eine der wichtigsten Fähigkeiten!"
Während der Joseon-Dynastie, die von 1392 bis 1910 andauerte, war der aus China stammende Konfuzianismus die Staatsphilosophie. Diese gab in ganz Korea sechs Künste vor: Rechnen, Schreiben, Wagenlenken, Musik, Riten und das Bogenschießen.
Wer diese Disziplinen nicht beherrschte, konnte im Konfuzianismus, der auf Bildung großen Wert legt, auch nicht den höchsten Respekt erwarten. 
Im Umkehrschluss waren gut trainierte Bogenschützen nicht nur in Kriegen gefürchtet, sondern auch im Alltagsleben. 

Cho In-souk übt die Kunst seit rund 15 Jahren. Die ersten Jahre habe sie - auch aus Respekt vor der Tradition – aber nur zugesehen, ehe sie einmal selbst schoss. 
Denn es gehe um so viel dabei.
Der Meister Shin Dong-sul erklärt:

Bogenschießen ist natürlich gut für die Körperspannung, und damit für die Gesundheit. Man muss den Bogen sehr festhalten, um weit und genau schießen zu können. Aber das Bogenschießen macht dich auch demütig. Man zielt immer wieder auf den gleichen Punkt, versucht sich immer wieder in der gleichen Bewegung. Das Ergebnis variiert aber trotzdem. Es ist also auch eine Art Charakterschulung in Bescheidenheit.

Shin Dong-sul

Bogenschützen als Stars in dem Land

Moderne Bogenschützen sind heute Stars im Land. Rund um die Sommerspiele von Paris analysierte der koreanische Auslandssender Arirang die Gründe für die herausragenden Erfolge der Schützen:

"Warum sind sie so gut? Einerseits wird in Südkorea viel Geld für den Sport ausgegeben. Außerdem hat Hyundai Motors über Jahrzehnte das Training mit Präzisionsrobotik gefördert. Die Roboter berechnen den Wind, die Luftfeuchtigkeit und weitere Variablen, die beim Zielen helfen. Die Bögen werden per 3D-Druck angefertigt, damit sie perfekt in der Hand liegen."
Für den im Land heute dominanten Fokus auf Bogenschießen als Wettbewerbssport gibt es übrigens eine deutsche Mitverantwortung. Im Jahr 1899 besuchte Prinz Heinrich von Preußen die koreanische Halbinsel. Bei einer Vorführung dieser traditionellen Kunst schwärmte der Preuße.
Dem koreanischen Kaiser Gojong schlug er vor, einen Sport draus zu machen, durch den viele Menschen Spaß haben und sich stählen könnten. Heinrichs Vorschlag überzeugte. 

Bögen wurden standardisiert, Regeln aufgestellt. Kurz darauf folgte die Olympisierung des Bogenschießens – mit kürzeren Distanzen und später auch Bögen aus Kunststoff.

Traditionelles Bogenschießen an Universitäten

Die alte Tradition, in der es um mehr Werte als Kraft und Präzision ging, geriet in den Hintergrund. 
Heute betont selbst der Bildungssektor fast nur noch den olympischen Sport.
Cho In-souk bedauert das:

"In der Schule lernt man (das) nicht. Einige Schulen als Sonderklassen üben das. Aber nicht alle." 

Rund 20 Universitäten bieten noch Kurse im traditionellen Bogenschießen an. Dass die alte Disziplin mit ihrem Bildungsanspruch aber ausstirbt, glaubt Shin Dong-sul trotzdem nicht:

"Die Tendenz ist zum Glück diese: Die jungen Leute wollen meistens das olympische Bogenschießen lernen. Aber wenn die Menschen älter werden, greifen sie früher oder später zu den alten Bögen aus Horn."

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