Bohren, fräsen, nähen
In der chirurgischen Ausbildung werden angehende Mediziner auf komplizierte Eingriffe am menschlichen Körper vorbereitet. Um das Training möglichst realitätsnah zu gestalten, setzt die Universität Leipzig auf elektronische Simulationssysteme.
10:25 Uhr in einem Operationssaal an der Leipziger Universitätsklinik. Auf dem OP-Tisch liegt Patient Horst, und der Chirurg fräst hinter dem Ohr am sogenannten Felsenbein herum, dem härtesten Knochen des menschlichen Schädels. Das Felsenbein ist anfällig für Entzündungen, die mit Medikamenten schwer zu behandeln sind, und deshalb muss operiert werden. Aber eine Operation an dieser Stelle ist ziemlich heikel, denn das Felsenbein umgibt nicht nur das menschliche Innenohr samt Gleichgewichtsorgan, sondern mitten hindurch verläuft auch noch der Gesichtsnerv. Und der darf natürlich auf keinen Fall verletzt ...
Doch da ist es schon passiert. Der Chirurg hat nicht nur den Gesichtsnerv von Horst durchtrennt, sondern ist mit der Fräse auch noch ins Gehirn geraten. Zwischen zwei und sechs Prozent der Operationen am Felsenbein gehen schief.
Aber Horst macht das nichts aus. Horst hat die Operation schon viele hundert Male über sich ergehen lassen und regt sich nicht auf. Denn Horst ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein nachgebildeter Schädel mit einem USB-Kabel, das ihm gewissermaßen zum Hals heraus hängt. Das Kabel mündet in einen handelsüblichen Laptop.
"Wir hatten ihm nen Namen gegeben, das war Horst, aber das ist eher unser interner Name und der offizielle war eben ElePhant, also das elektronische Phantom."
Hendrik Möckel ist einer der Väter des elektronischen Phantoms Horst, eines Simulationssystems für die Chirurgie hinter dem Ohr. Der studierte Wirtschaftsingenieur und Elektrotechniker hat sich am Leipziger Innovationszentrum "Computerassistierte Chirurgie" auf die Entwicklung chirurgischer Simulatoren spezialisiert. Mit seinem Kollegen, dem Medizinphysiker Ronny Grunert und einem weiteren Kommilitonen ist gerade der Sprung in die Selbstständigkeit gelungen, die Firma Phacon stellt Simulatoren für das Training von Medizinern her.
"Der Chirurg hat hier die Möglichkeit, sehr real, unter sehr realen Gegebenheiten diese OP durchzuführen, damit er dann eben auch das Flair, das ihn beim Patienten erwartet, dann hier schon direkt spüren kann."
Der Kopf auf dem OP-Tisch hat Farbe, Form und Gewicht eines echten Totenkopfes. Hergestellt wurde Horst aus einem speziellen mineralischen Pulver, das der menschlichen Knochensubstanz äußerst ähnlich ist.
Der große Vorteil des Systems aus Leipzig ist die Möglichkeit, echte chirurgische Instrumente zu benutzen, sagt Ronny Grunert:
"Da gibt es ja auch die rein virtuellen Systeme, wo das Instrument ne Art Joystick ist. Für uns war wichtig, dass die Chirurgen die realen chirurgischen Instrumente nutzen können, dass sie dadurch auch die Handhabung mit den Instrumenten erlernen und auch, wie sie dann am Patienten mit dem Instrument umgehen, das war für uns im Entwicklungsprozess sehr wichtig."
Das Gefühl für den angehenden Chirurgen bei der simulierten Operation sei sehr real, bestätigen Ärzte:
"Wir hatten einen sehr erfahrenen Chirurgen, der schon über 10.000 Ohren operiert hat, der auch an unserem Modell operiert hat, und der hat gesagt, dass sogar das Geräusch stimmt. Also nicht nur die Eigenschaften des Fräsens, sondern sogar das Geräusch ist original."
Wenn angehende Chirurgen lange genug im Felsenbein fräsen, ist der Gesichtsnerv irgendwann kaputt, oder wichtige Blutgefäße sind durchtrennt. Dann braucht man aber nicht jedes Mal einen neuen Schädel, ausgetauscht wird nur das betroffene Teil. Horst bekommt ein neues Modul hinter dem rechten Ohr und weiter geht’s.
"Dieser Schädel, der ja eins zu eins nachgedruckt wurde, hat die OP bestimmt schon sechs- oder siebenhundert Mal über sich ergehen lassen, das Teil wird dann einfach aus dem Schädel entnommen, und man setzt danach eben ein neues Teil ein."
Um das Training noch realer zu machen, können in den Modulen typische krankhafte Veränderungen eingebaut werden:
"Wir können eben gezielt jetzt Krankheitsherde einbringen, was die Ärzte wünschen, so dass die Mediziner eine große Bandbreite an Variationen haben, an denen sie auch trainieren können."
Nicht bei allen Menschen verläuft der Gesichtsnerv an der gleichen Stelle. Auch die Blutversorgung für das Gehirn ist bei allen Menschen unterschiedlich. Die Module können mit dem Felsenbein des realen Patienten nahezu identisch sein.
Etwa 2500 Euro kostet das gesamte System, dessen Software auf jedem Computer läuft, der nicht älter als zwei Jahre ist. Wenn ein Hals-Nasen-Ohren-Chirurg für die Operation am Felsenbein trainieren möchte, bekommt er per Post ein handliches Paket, und da ist alles drin, was er braucht:
Da kommt dann so n kleines Köfferchen, wo sich der Schädel darin befindet, die ganzen Anschlusskabel und ein Grundsatz an Modulen, an denen gleich operiert werden kann.
Ein gutes System ist immer noch verbesserungsfähig. Die Software spricht zurzeit nur englisch und soll mehrsprachig werden. Bislang hat Horst nur ein rechtes Felsenbein, aber auch hinter dem linken Ohr kann ja mal was sein. Und: die Entwickler denken längst daran, dem Schädel auch Trainingsmodule für Operationen an Augen und Nasen zu spendieren:
"Das nächste Projekt sind eben die Nasennebenhöhlen, dass die Nasennebenhöhlen-Chirurgie trainiert werden kann, aber die Gedanken gehen auch dahin, damit wir den Schädel komplettieren können, dann eben auch ein System für die Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie anzubieten, so dass auch Operationen am Kiefer simuliert werden können."
Horst muss also noch einiges über sich ergehen lassen. Auf seinem weiteren Lebensweg wird ihm wohl noch oft der Gesichtsnerv durchtrennt werden. Wie schön für ihn, dass er immer wieder einen neuen bekommt.
Doch da ist es schon passiert. Der Chirurg hat nicht nur den Gesichtsnerv von Horst durchtrennt, sondern ist mit der Fräse auch noch ins Gehirn geraten. Zwischen zwei und sechs Prozent der Operationen am Felsenbein gehen schief.
Aber Horst macht das nichts aus. Horst hat die Operation schon viele hundert Male über sich ergehen lassen und regt sich nicht auf. Denn Horst ist kein Mensch aus Fleisch und Blut, sondern ein nachgebildeter Schädel mit einem USB-Kabel, das ihm gewissermaßen zum Hals heraus hängt. Das Kabel mündet in einen handelsüblichen Laptop.
"Wir hatten ihm nen Namen gegeben, das war Horst, aber das ist eher unser interner Name und der offizielle war eben ElePhant, also das elektronische Phantom."
Hendrik Möckel ist einer der Väter des elektronischen Phantoms Horst, eines Simulationssystems für die Chirurgie hinter dem Ohr. Der studierte Wirtschaftsingenieur und Elektrotechniker hat sich am Leipziger Innovationszentrum "Computerassistierte Chirurgie" auf die Entwicklung chirurgischer Simulatoren spezialisiert. Mit seinem Kollegen, dem Medizinphysiker Ronny Grunert und einem weiteren Kommilitonen ist gerade der Sprung in die Selbstständigkeit gelungen, die Firma Phacon stellt Simulatoren für das Training von Medizinern her.
"Der Chirurg hat hier die Möglichkeit, sehr real, unter sehr realen Gegebenheiten diese OP durchzuführen, damit er dann eben auch das Flair, das ihn beim Patienten erwartet, dann hier schon direkt spüren kann."
Der Kopf auf dem OP-Tisch hat Farbe, Form und Gewicht eines echten Totenkopfes. Hergestellt wurde Horst aus einem speziellen mineralischen Pulver, das der menschlichen Knochensubstanz äußerst ähnlich ist.
Der große Vorteil des Systems aus Leipzig ist die Möglichkeit, echte chirurgische Instrumente zu benutzen, sagt Ronny Grunert:
"Da gibt es ja auch die rein virtuellen Systeme, wo das Instrument ne Art Joystick ist. Für uns war wichtig, dass die Chirurgen die realen chirurgischen Instrumente nutzen können, dass sie dadurch auch die Handhabung mit den Instrumenten erlernen und auch, wie sie dann am Patienten mit dem Instrument umgehen, das war für uns im Entwicklungsprozess sehr wichtig."
Das Gefühl für den angehenden Chirurgen bei der simulierten Operation sei sehr real, bestätigen Ärzte:
"Wir hatten einen sehr erfahrenen Chirurgen, der schon über 10.000 Ohren operiert hat, der auch an unserem Modell operiert hat, und der hat gesagt, dass sogar das Geräusch stimmt. Also nicht nur die Eigenschaften des Fräsens, sondern sogar das Geräusch ist original."
Wenn angehende Chirurgen lange genug im Felsenbein fräsen, ist der Gesichtsnerv irgendwann kaputt, oder wichtige Blutgefäße sind durchtrennt. Dann braucht man aber nicht jedes Mal einen neuen Schädel, ausgetauscht wird nur das betroffene Teil. Horst bekommt ein neues Modul hinter dem rechten Ohr und weiter geht’s.
"Dieser Schädel, der ja eins zu eins nachgedruckt wurde, hat die OP bestimmt schon sechs- oder siebenhundert Mal über sich ergehen lassen, das Teil wird dann einfach aus dem Schädel entnommen, und man setzt danach eben ein neues Teil ein."
Um das Training noch realer zu machen, können in den Modulen typische krankhafte Veränderungen eingebaut werden:
"Wir können eben gezielt jetzt Krankheitsherde einbringen, was die Ärzte wünschen, so dass die Mediziner eine große Bandbreite an Variationen haben, an denen sie auch trainieren können."
Nicht bei allen Menschen verläuft der Gesichtsnerv an der gleichen Stelle. Auch die Blutversorgung für das Gehirn ist bei allen Menschen unterschiedlich. Die Module können mit dem Felsenbein des realen Patienten nahezu identisch sein.
Etwa 2500 Euro kostet das gesamte System, dessen Software auf jedem Computer läuft, der nicht älter als zwei Jahre ist. Wenn ein Hals-Nasen-Ohren-Chirurg für die Operation am Felsenbein trainieren möchte, bekommt er per Post ein handliches Paket, und da ist alles drin, was er braucht:
Da kommt dann so n kleines Köfferchen, wo sich der Schädel darin befindet, die ganzen Anschlusskabel und ein Grundsatz an Modulen, an denen gleich operiert werden kann.
Ein gutes System ist immer noch verbesserungsfähig. Die Software spricht zurzeit nur englisch und soll mehrsprachig werden. Bislang hat Horst nur ein rechtes Felsenbein, aber auch hinter dem linken Ohr kann ja mal was sein. Und: die Entwickler denken längst daran, dem Schädel auch Trainingsmodule für Operationen an Augen und Nasen zu spendieren:
"Das nächste Projekt sind eben die Nasennebenhöhlen, dass die Nasennebenhöhlen-Chirurgie trainiert werden kann, aber die Gedanken gehen auch dahin, damit wir den Schädel komplettieren können, dann eben auch ein System für die Mund-, Kiefer-, Gesichtschirurgie anzubieten, so dass auch Operationen am Kiefer simuliert werden können."
Horst muss also noch einiges über sich ergehen lassen. Auf seinem weiteren Lebensweg wird ihm wohl noch oft der Gesichtsnerv durchtrennt werden. Wie schön für ihn, dass er immer wieder einen neuen bekommt.