Stefan Bollmann: Warum ein Leben ohne Goethe sinnlos ist
DVA, München 2016,
284 Seiten, 19,99 Euro
Den Schul-Goethe vom Interpretationssockel geholt
In acht Spaziergängen führt Stefan Bollmann durch Goethes Leben und Werk und zeigt dabei auf, wie hilfreich die Goethe-Lektüre für das eigene Leben sein kann: ob es um Liebe geht oder den Weg zu sich selbst.
Dass ein Leben ohne Mops sinnlos ist, das weiß man von Loriot. Aber ohne Goethe ist es noch viel sinnloser, sagt Stefan Bollmann. Sein Buch soll weder Biografie noch Goethe-Ratgeber sein. Vielmehr sieht sich der Münchner Autor (der im Hauptberuf Lektor ist) als eine Art "Parkführer" und bietet "acht Spaziergänge durch und zwei Ausblicke auf Goethes Leben (an), jeweils verknüpft mit Goethe-Werken, deren Auswahl völlig subjektiv ist".
Die Tour beginnt mit dem durchaus steinigen Weg zum eigenen Leben, denn Goethe "wollte keine optimierte Version seines Vaters werden", hatte trotzdem mit einem Jurastudium den väterlichen Wünschen entsprochen und sich nur mühsam von dessen Zukunftsplänen lösen können. Wie es Goethe gelingt und wie schwer es ist, ein eigenes Leben zu führen, dass man dafür Freunde und Fürsprecher, auch einen Mentor (wie Johann Gottfried Herder) braucht - darüber schreibt Bollmann kenntnisreich, und es gelingt ihm gleich am Anfang mühelos, eine Verbindung zur Gegenwart, den Wünschen und Mühen heutiger junger Leute zu ziehen.
Vom Rebell zum Geheimen Rat
Überhaupt ist es das Ziel dieses gut geschriebenen Buches zu zeigen, wie hilfreich die Lektüre des großen Dichters für die eigene Existenz sein kann. Liebe und Sex kommen da natürlich genauso vor wie die Fähigkeit Goethes, sich gleichsam immer wieder neu zu erfinden. Vom Rebell und "Wandering Spirit" zum Minister und Geheimen Rat, vom Dichterfürsten der Hofgesellschaft zum – heute würde man sagen - Rucksacktouristen. Goethe als Wanderer, das ist "einer, der sich der Welt aussetzt, sich selbst und seine Kräfte erprobt, offen gegenüber neuen, unvorhergesehenen Eidrücken". Ein Kapitel über die Italienreise ist überschrieben: "Das Leben der Bohème".
Goethe als Wegweiser auf der Suche nach einem erfüllten Leben: Es gibt in diesem reichen und großen Werk natürlich fast alles, wonach man sucht. Vom Werther bis zum Faust. Wie aber Stefan Bollmann (dessen Bücher über "Schreibende Frauen" Bestseller sind) seine Lektüre beglaubigt, wie er den Schul-Goethe vom Interpretationssockel holt und ihn stattdessen hinein stellt in die ratgebergeschulte Existenz unserer Tage, das ist spannend zu lesen.
Am Ende bezieht sich der Autor auf einen kurzen Text aus dem Nachlass, in dem es darum geht, "was dem eigenen Leben förderlich ist und was nicht": ein Plädoyer für einen individuellen Weg. Und eine Absage an allzu große Meisterverehrung. Spätestens hier versteht man eines der Motti dieses Buchs, nämlich Bob Dylans "wiederholter Rat an diejenigen seiner Fans, die die Beschäftigung mit ihm zum Lebensinhalt machen": Go have a life!