"Bollywoold and Beyond"

Von Bernd Sobolla |
Der Begriff "Bollywood" ist auch hierzulande kein Fremdwort mehr. Denn die Verbindung der indischen Stadt Bombay mit dem Namen Hollywood steht für beste Kinounterhaltung. Weit über 200 Filme werden jährlich in Bombay gedreht. Darum geht es auch beim 2. Indischen Filmfestival "Bollywood and Beyond", das derzeit in Stuttgart stattfindet.
"Welchen Stellenwert hat Wissen für Sie?/Wissen bedeutet alles. Wissen, das ist Geist, Weisheit, Mut, Licht, Klang. Wissen, das ist meine Bibel – Gott! Wissen, das ist mein Lehrer./Bravo. Gratuliere, Mr. Sahai! Ihre Schülerin gehört jetzt zu unserer Universität."

Michelle ist ein taubstummes und blindes Mädchen, das einst völlig abgeschottet in ihrer eigenen dunklen Welt lebte. Nun kann sie studieren. Dank ihres Lehrers, Dank des exzentrischen Debraj Sahai. "Black", der Eröffnungsfilm des 2. Indischen Filmfestivals in Stuttgart, ist ein typischer Bollywood-Film: Er ist sehr emotional aufgebaut, bietet viel Musik und handelt von Liebe, Sehnsucht, Familie und scheinbar unerreichbaren Zielen. Kein Zweifel, das Indische Kino wird immer beliebter hierzulande. Und so wundert es nicht, dass die meisten Karten für das Festival "Bollywood and Beyond" bereits ausverkauft sind. Angefangen hat alles vor etwa vier Jahren mit dem Film "Lagaan". "Lagaan" handelt von einem indischen Dorf, das im 19. Jahrhundert gegen die Britischen Besatzer in einem Kricket-Spiel um den Erlass ihrer Steuern kämpft und damit ums Überleben. Der Film wurde für den Oscar nominiert und gewann beim Filmfestival in Locarno den Publikumspreis.

In der Folgezeit wagten sich plötzlich Filmeverleiher und TV-Sender an die Werke aus Indien, die aufgrund ihrer etwa dreistündigen Länge früher als Publikumsgift galten. Und siehe da! Tanz und Gesang, farbenprächtige Dekors und Kostüme, ausgeklügelte Choreographien und natürlich die überschäumende Romantik, all das, was das Kino Bollywoods ausmacht, stößt auch in Deutschland auf Interesse. Für Bollywood Superstar Sharukh Khan keine Überraschung.

Sha Rukh Khan: "Wir sind in der Lage der Welt zu zeigen, dass hier eine Filmindustrie existiert. Und so weit ich sehen kann, ist es die einzige, die neben Hollywood überleben kann. Und sie überlebt, weil sie etwas Besonderes hat - und das ist die Musik."

Als Filme wie "Monsoon Wedding" von Mira Nair oder "Sometimes Happy, Sometimes Sad" von Karan Johar in die deutschen Kinos kamen, stießen sie auf großes Interesse. Dabei fällt auf, dass die Werke fast ausschließlich im Milieu der Oberschicht angesiedelt sind. Nicht selten wohnen die Protagonisten gar an Maharadscha ähnlichen Palästen, obgleich Millionen Inder auf der Straße leben. Dazu Stephan Holl, der Geschäftsführer von Rapid Eye Movies, dem ersten deutschen Filmverleih, der sich auf Bollywood-Filme spezialisiert hat.

Stephan Holl: "Bollywood-Filme sind in Indien, oder sagen wir besser, Hindi-Filme haben einen Marktanteil von 95 Prozent. Das ist auch interessant. Der Hollywood-Film kommt gerade mal auf 5 Prozent. Das ist glaube ich, nirgendwo auf der Welt so, dass ein "Spiderman" quasi zu vernachlässigen ist. Also Hindi-Filme sind in Indien extrem populär. Es gehen bis zu 12 Millionen Inder pro Tag ins Kino. D. h. es ist ein Phänomen der Massen. Und für die meisten Menschen ist das Leben eben sehr hart. Und das Kino hat zum einen eine soziale Komponente, aber auch Eskapismus oder Flucht vorm Alltag. Und man möchte sich dann eben nicht schwerwiegende Filme über die harte Arbeit auf dem Lande anschauen, sondern ist dann entzückt, in andere Welten abzutauchen."

In Europa und den USA besteht das Publikum zu fast 70 Prozent aus Frauen. Darunter auch Migrantinnen aus der Türkei, Afghanistan oder Pakistan, die mit dem Indischen Kino aufgewachsen sind. Sie fühlen sich vor allem von den romantischen Liebesgeschichten angezogen. Aber es gibt auch viele andere, die sich am Bollywood-Kino erfreuen.

Stephan Holl: "Das sind Leute oder Cineasten,… die offen sind auch für neue Filmkulturen. Die da auch eine gewisse Neugierde haben. Die vielleicht auch schon eine Affinität zu Indien haben aufgrund von Reisen oder Literatur und Musik."

Kinogänger, die sich fürs Indische Kino begeistern können ohne kritiklos zu sein.

Umfrage: "(Mann) Ich dachte immer: Was Hollywood kann, können die auch, nur die haben viel mehr Spaß daran! (Frau) Der Bollywood-Film gefällt mir im Prinzip nicht. Weil es zu oberflächlich ist und man weiß immer schon: Jetzt fängt er gleich wieder an zu singen, oder jetzt fallen sie ins Wasser, und … wo Probleme, die es in jedem Land ja gibt, mit diesem Film so ein bisschen verkleistert werden./ Sie werden immerhin angesprochen, das hast du sonst in den anderen Filmen nicht./ (Mann) Es macht auch einen Riesenspaß, diese Dinger zu gucken. Weil es ein hemmungsloses und großartig gemachtes Kino ist."

Dass den Indischen Filmemachern gerade jetzt der Sprung ins westliche und damit auch ins deutsche Kino gelungen ist, hat aber auch noch andere Gründe, wie Dorothe Wenner meint. Sie ist als Beraterin für das Filmfestival in Stuttgart tätig, das heute beginnt, und arbeitet als Kuratorin für die Berlinale.

Dorothe Wenner: " Es ist sicherlich so, dass zum einen das amerikanische Kino ein Defizit produziert, was Emotionalität angeht. Ich glaube, dass das, was an großen Filmen aus den USA kommt, sehr auf Technik setzt und auf so eine emotionale Ebene, die 12 - 16-Jährige anspricht. Und dass so die großen Themen von Liebe und Weinen zulassen können und Romantik und so was, dass das etwas ist, wo im Moment die Inder einfach besser sind. Ganz klar. ... Plus kommt das Neuartige hinzu, was für viele Leute immer noch ein wichtiger Faktor ist, wenn sie sich entschließen, einen Bollywood-Film zu sehen."

Dabei bietet Bollywood oft das Gegenteil von Hollywood: Während das US-Kino immer wieder die Heldengeschichte vom Individuum erzählt, dass sich gegen alle anderen durchsetzt – zum Teil gar gegen die eigene Familie -, geht es in den Indischen Filme immer wieder um gesellschaftliche Verantwortung, darum, dass die Helden Opfer bringen müssen, damit es der Familie, den Angehörigen oder dem Dorf besser geht: In "Indian Love Story" z. B. verzichtet Sharukh Khan auf seine große Liebe, weil er der Frau seines Lebens aufgrund seiner Krankheit keine Perspektive bieten kann; in "Dil Se" geht ein Radioreporter mit seiner Geliebten, einer Terroristin, in den Tod, damit keine unschuldigen Menschen sterben müssen, und er nur so mit ihr vereint sein kann. Und in "Veer und Zaara", der ebenfalls in Stuttgart gezeigt wird, setzt sich eine junge pakistanische Rechtsanwältin für einen vermeintlichen indischen Spion ein, der seit 22 Jahren im Gefängnis sitzt.
Veer-Zaara: "Lassen Sie uns mit den Namen anfangen: Ich bin Saamiya Siddique! Und Sie? Wollen Sie, dass ich Sie wie die anderen Gefangener 786 nenne? Ihr Name ist doch wohl nicht so unangenehm, dass Sie eine Nummer bevorzugen - Veer Pratap Singh! Lang her, dass Sie den Namen gehört haben, nicht wahr? 22 Jahre haben Sie geschwiegen, und niemand konnte sie verteidigen. Heute gibt Ihnen Gott eine neue Chance. Sprechen Sie mit mir und ich verspreche, dass Sie zurück in ihr Land kommen."

Bollywood bietet zwar immer viel Musik und Gesang, aber es lässt sich keineswegs darauf reduzieren. Abgesehen davon zeigt das Filmfestival in Stuttgart auch viele Dokumentarfilme, die auf dem Subkontinent produziert werden. Sie laufen unter dem Motto "Beyond", also jenseits von Bombay, und zeigen oft die weniger amüsanten Seiten des Landes. Auch wenn das nicht immer einfach ist, wie Oliver Mahn, der Leiter des Filmfestes unterstreicht.

Oliver Mahn: "Filmemacher müssen an der staatlichen Zensur vorbei. Und manchmal Themen durch die Blume aufgreifen müssen. Wir haben ja z. B. ziemlich brisanten Themen, z. B. den Film "Days and Nights in an Indian Jail". Wo auch die Willkür der ganzen Justiz gezeigt wird. Das sind typische Probleme des Landes, die ungern gesehen werden. "

Aber auch viele der großen Filmemacher setzten sich gerade in letzter Zeit mit der politischen Situation ihres Landes auseinander: Dazu gehören Terrorismus, religiöser Fundamentalismus und die ständigen Auseinandersetzungen zwischen Indien und Pakistan. In "Veer und Zaara" z. B. verarbeitet Bollywood-Regie-Altmeister Yosh Chopra, der 1947 die Teilung des Landes erlebte, seine eigenen Erfahrungen.

Yash Chopra: "Dieser Film ist eine Herzensangelegenheit für mich. Schauen Sie, einst gab es West-Deutschland und Ost-Deutschland, und dann fiel die Mauer. Im Punjab gibt es Ost-Punjab und West-Punjab, eines gehört zu Indien und eines zu Pakistan. … Ich weiß, ich mache vielleicht zu große Worte, und ich weiß, dass diese beiden Ländern wahrscheinlich nie wieder vereint sein werden. Aber durch mein Bemühen können die Menschen vielleicht ihre Einstellung etwas verändern und wenigstens friedlich zusammenleben."


In Stuttgart findet das indische Filmfestival "Bollywood and Beyond" vom 13. bis 17. Juli statt.