Bomben, Bollywood und Bangalore
Die verheerende Attentatsserie in Bombay hat den Krisenherd Indien einmal mehr in das Weltinteresse gerückt. Das Land gehört zu den Staaten der Welt, die am heftigsten von Terroranschlägen betroffen sind. Allein 2007 wurden 2300 Menschen bei Anschlägen getötet, von militanten Nationalisten, vor allem aber auch von Islamisten. Auch die Attentäter von Bombay, die der bis dahin unbekannten Gruppe "Deccan Mudschaheddin" angehören, werden dem islamistischen Umfeld zugerechnet.
Ein solcher Anschlag – zudem gezielt auf ausländische Gäste – zeugt von einer neuen Qualität des Terrorismus. So sieht es auch der Asienexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik Dr. Christian Wagner.
"Es war vermutlich abzusehen, da es in Indien eine Reihe von sozialen Konflikten gibt. Dass der Terror solch eine Dimension annimmt, war jedoch nicht abzusehen. Es gab und gibt einfach eine wachsende Unzufriedenheit bei den ärmeren Bevölkerungsgruppen, die nicht an den Früchten der Entwicklung der letzten Jahre beteiligt waren. Das stellt die indischen Sicherheitskräfte vor völlig neue Herausforderungen. Denn es gibt eine Vielzahl solcher Terrorgruppen, die nicht zu Verhandlungen bereit sind."
Der Politikwissenschaftler ist derzeit ein gefragter Gesprächspartner, schließlich gehört Indien zu den Wachstumsregionen der Welt: Mit 1,2 Milliarden Einwohnern ist es – nach China – das zweit bevölkerungsreichste Land der Welt, die IT-Branche boomt, viele europäische Firmen verlegen Zweigstellen auf den Subkontinent.
Trotz dieser wirtschaftlichen Aufbruchstimmung verweist der Asienexperte aber auch auf die Defizite des Vielvölkerstaates:
"Mit Indien verbinde ich – und damit erstaune ich auch immer bei meinen Vorträgen – eine gewaltsame Gesellschaft. Da möchten Sie nicht leben … In den letzten Jahren leben die Inder von einem Medienhype, aber irgendwann wird das Pendel zurückschlagen. Da gibt es ganz große Erwartungen: Indien als das Land der wirtschaftlichen Superlative, und nicht wenige fragen: Können die Inder das überhaupt leisten? Ich bin da immer ganz entspannt: Es gibt in Indien das Phänomen der großen Zahl. Wenn mich Unternehmer fragen, würde ich sagen: Gehen Sie nach Indien, weil Sie dort 40 Jahre lang Geld verdienen können. Aber: Nicht mehr als 10 Prozent der Inder gehören der Mittelklasse an, das sind 100 bis 150 Millionen Menschen. Damit ist das weltweit automatisch eine große Zahl. Wie die mit ihren 900 Millionen armen Menschen umgehen, kann uns hier egal sein. Insofern können 10 Prozent völlig ausreichen, um international Eindruck zu machen."
Die Zahlen – so Christian Wagner – sprächen eine deutliche Sprache:
"Wenn ich Vorträge halte, nenne ich gern drei Zahlen: 10, 40, 60.
10: Lediglich 10 Prozent der Inder sind im organisierten Bereich beschäftigt, 90 Prozent arbeiten in der Schattenwirtschaft. 40: Auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit sind noch 40 Prozent der Inder Analphabeten. Und 60: 60 Prozent der Inder sind in der Landwirtschaft tätig, die meisten davon sind Tagelöhner."
Pankaj Chattopadhyay schaut in diesen Tagen mit ganz anderen Augen auf Indien.
"Die erste Reaktion war Bestürzung, aber auch Angst und Zorn. Was wollen die Leute, glauben Sie dass Sie mit solchen Terroranschlägen die Welt verändern können? Wenn man das liest, sieht man, dass das ganz traurige Biographien sind
Der, der überlebt hat, wollte ein kriminelle Karriere machen, aber die sind Kanonenfutter, die bewusst in diese Situation gebracht wurden, damit die ganze Welt von diesen Taten erfährt."
Der Journalist ist 1950 in der Nähe von Kalkutta geboren, er kam 1973 zum Studium nach Berlin und ist heute Trainer für interkulturelle Kommunikation. Er berät deutsche Manager, die in Indien Fuß fassen möchten, aber auch Inder, die mit Deutschen arbeiten möchten. Denn die kulturellen Hürden sind hoch:
"Die Unterschiede in der Kommunikation sind riesig. Wir kommunizieren ganz anders: Deutsche sind sehr sachlich, Inder bauen erst einmal eine Beziehung auf, sie sind Menschen– und Beziehungsorientiert. Das sind sehr gravierende Unterschiede. Während Deutsche gleich über die Sache redet, denkt der Inder, wir müssen doch erst einmal eine Beziehung aufbauen, da ist doch noch gar kein Vertrauen da. Das hat auch ganz handfeste Gründe: Deutsche sind Entdecker und Gestalter, sie sind produktorientiert. Sie denken, wenn wir ein gutes Produkt haben, Qualität, dann reicht das, dann kann man das verkaufen. Die Inder sagen: Qualität kann jeder herstellen, aber nicht jeder kann sie verkaufen, dafür braucht man Vertrauen."
Pankaj Chattopadhyay liegt aber auch daran, die kulturelle Vielfalt Indiens zu vermitteln: Die Religionsvielfalt, die Eigenarten der indischen Küche, das Phänomen der Bollywood-Filme - und die beeindruckende Sprachenvielfalt:
"Zurzeit gibt es in Indien 18 offizielle Sprachen, das sind anerkannte Amtssprachen, daneben gibt es 200 anerkannte Dialekte und ca. 2500 Mundarten. In Indien werden täglich in 48 Sprachen Zeitungen heraus gegeben und ca. in 60 Sprachen Gedichte und Literatur geschrieben. In Indien sagt man: Alle fünf Kilometer ändert sich die Mundart und alle 25 Kilometer ändert sich die Sprache in einen Dialekt."
"Bomben, Bollywood und Bangalore – Die verschiedenen Gesichter Indiens".
darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit den Indienexperten Pankaj Chattopadhyay und Christian Wagner. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800–22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen über Christian Wagner im Internet:
http://www.swp-berlin.org
"Es war vermutlich abzusehen, da es in Indien eine Reihe von sozialen Konflikten gibt. Dass der Terror solch eine Dimension annimmt, war jedoch nicht abzusehen. Es gab und gibt einfach eine wachsende Unzufriedenheit bei den ärmeren Bevölkerungsgruppen, die nicht an den Früchten der Entwicklung der letzten Jahre beteiligt waren. Das stellt die indischen Sicherheitskräfte vor völlig neue Herausforderungen. Denn es gibt eine Vielzahl solcher Terrorgruppen, die nicht zu Verhandlungen bereit sind."
Der Politikwissenschaftler ist derzeit ein gefragter Gesprächspartner, schließlich gehört Indien zu den Wachstumsregionen der Welt: Mit 1,2 Milliarden Einwohnern ist es – nach China – das zweit bevölkerungsreichste Land der Welt, die IT-Branche boomt, viele europäische Firmen verlegen Zweigstellen auf den Subkontinent.
Trotz dieser wirtschaftlichen Aufbruchstimmung verweist der Asienexperte aber auch auf die Defizite des Vielvölkerstaates:
"Mit Indien verbinde ich – und damit erstaune ich auch immer bei meinen Vorträgen – eine gewaltsame Gesellschaft. Da möchten Sie nicht leben … In den letzten Jahren leben die Inder von einem Medienhype, aber irgendwann wird das Pendel zurückschlagen. Da gibt es ganz große Erwartungen: Indien als das Land der wirtschaftlichen Superlative, und nicht wenige fragen: Können die Inder das überhaupt leisten? Ich bin da immer ganz entspannt: Es gibt in Indien das Phänomen der großen Zahl. Wenn mich Unternehmer fragen, würde ich sagen: Gehen Sie nach Indien, weil Sie dort 40 Jahre lang Geld verdienen können. Aber: Nicht mehr als 10 Prozent der Inder gehören der Mittelklasse an, das sind 100 bis 150 Millionen Menschen. Damit ist das weltweit automatisch eine große Zahl. Wie die mit ihren 900 Millionen armen Menschen umgehen, kann uns hier egal sein. Insofern können 10 Prozent völlig ausreichen, um international Eindruck zu machen."
Die Zahlen – so Christian Wagner – sprächen eine deutliche Sprache:
"Wenn ich Vorträge halte, nenne ich gern drei Zahlen: 10, 40, 60.
10: Lediglich 10 Prozent der Inder sind im organisierten Bereich beschäftigt, 90 Prozent arbeiten in der Schattenwirtschaft. 40: Auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit sind noch 40 Prozent der Inder Analphabeten. Und 60: 60 Prozent der Inder sind in der Landwirtschaft tätig, die meisten davon sind Tagelöhner."
Pankaj Chattopadhyay schaut in diesen Tagen mit ganz anderen Augen auf Indien.
"Die erste Reaktion war Bestürzung, aber auch Angst und Zorn. Was wollen die Leute, glauben Sie dass Sie mit solchen Terroranschlägen die Welt verändern können? Wenn man das liest, sieht man, dass das ganz traurige Biographien sind
Der, der überlebt hat, wollte ein kriminelle Karriere machen, aber die sind Kanonenfutter, die bewusst in diese Situation gebracht wurden, damit die ganze Welt von diesen Taten erfährt."
Der Journalist ist 1950 in der Nähe von Kalkutta geboren, er kam 1973 zum Studium nach Berlin und ist heute Trainer für interkulturelle Kommunikation. Er berät deutsche Manager, die in Indien Fuß fassen möchten, aber auch Inder, die mit Deutschen arbeiten möchten. Denn die kulturellen Hürden sind hoch:
"Die Unterschiede in der Kommunikation sind riesig. Wir kommunizieren ganz anders: Deutsche sind sehr sachlich, Inder bauen erst einmal eine Beziehung auf, sie sind Menschen– und Beziehungsorientiert. Das sind sehr gravierende Unterschiede. Während Deutsche gleich über die Sache redet, denkt der Inder, wir müssen doch erst einmal eine Beziehung aufbauen, da ist doch noch gar kein Vertrauen da. Das hat auch ganz handfeste Gründe: Deutsche sind Entdecker und Gestalter, sie sind produktorientiert. Sie denken, wenn wir ein gutes Produkt haben, Qualität, dann reicht das, dann kann man das verkaufen. Die Inder sagen: Qualität kann jeder herstellen, aber nicht jeder kann sie verkaufen, dafür braucht man Vertrauen."
Pankaj Chattopadhyay liegt aber auch daran, die kulturelle Vielfalt Indiens zu vermitteln: Die Religionsvielfalt, die Eigenarten der indischen Küche, das Phänomen der Bollywood-Filme - und die beeindruckende Sprachenvielfalt:
"Zurzeit gibt es in Indien 18 offizielle Sprachen, das sind anerkannte Amtssprachen, daneben gibt es 200 anerkannte Dialekte und ca. 2500 Mundarten. In Indien werden täglich in 48 Sprachen Zeitungen heraus gegeben und ca. in 60 Sprachen Gedichte und Literatur geschrieben. In Indien sagt man: Alle fünf Kilometer ändert sich die Mundart und alle 25 Kilometer ändert sich die Sprache in einen Dialekt."
"Bomben, Bollywood und Bangalore – Die verschiedenen Gesichter Indiens".
darüber diskutiert Dieter Kassel heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit den Indienexperten Pankaj Chattopadhyay und Christian Wagner. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der kostenlosen Telefonnummer 00800–22542254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.
Informationen über Christian Wagner im Internet:
http://www.swp-berlin.org