Bonhoeffer als Dichter

Rezensiert von Stephanie von Oppen |
Jürgen Henkys hat sich ausführlich mit den zehn Gedichten Dietrich Bonhoeffers befasst, die dieser im Gefängnis schrieb. Bonhoeffer wurde am 9. April 1945 von den Nazis im KZ Flossenbürg ermordet. Die Gedichte und ihre Interpretation helfen einmal mehr, dem Menschen Dietrich Bonhoeffer hinter der Ikone des christlichen Widerstandes näher zu kommen.
Bonhoeffer-Gedicht "Stationen auf dem Weg zur Freiheit":

Wunderbare Verwandlung. Die starken tätigen Hände
sind die gebunden. Ohnmächtig und einsam siehst du das Ende
deiner Tat. Doch atmest du auf und legst das Rechte
still und getrost in stärkere Hand und gibst dich zufrieden.
Nur einen Augenblick berührtest du selig die Freiheit,
dann übergabst du sie Gott, damit er sie herrlich vollende.


Jürgen Henkys: " So stark anrührende Gedichte konnte ich nur begreifen als in Verse gegossene Theologie, dass Bonhoeffer das, was er in seinen theologischen Briefen und in seiner unvollendeten Ethik geschrieben hat, nun gewissermaßen nochmals Versweise dem Publikum entgegenbringt. Ich war immer der Überzeugung, dass diese seine Gedichte noch etwas Eigenes haben gegenüber dem theologischen Werk und das war meine besondere Interpretationsaufgabe."

Jürgen Henkys hat praktische Theologie an der Berliner Humboldt Universität gelehrt und viel über Dietrich Bonhoeffer geforscht. Sein Buch ist das erste, das sich ausführlich mit den zehn Gefängnis-Gedichten Bonhoeffers befasst. Einen Teil von "Geheimnis der Freiheit" widmet Jürgen Henkys dem Verhältnis Bonhoeffers zu Literatur und Dichtung. Mit Johann Wolfgang Goethe, Gottfried Benn, Matthias Claudius und vor allem mit dem Kirchenlieddichter Paul Gerhardt hat der Theologe sich immer wieder beschäftigt. Eigene poetische Versuche hat er bis zu seiner Haft nicht unternommen.


Im zweiten Teil des Buches folgen die Interpretationen. Es war das letzte und berühmteste Gedicht, das ihn anregte, sich näher mit der Lyrik Bonhoeffers zu beschäftigen: "Von guten Mächten".

Von guten Mächten treu und still umgeben
Behütet und getröstet wunderbar
So will ich diese Tage mit euch leben
Und mit euch gehen in ein neues Jahr


Jürgen Henkys: "Ich kann es mir nur so vorstellen, dass die Situation, in der er sich befand - es war ja das Ende des Jahres 1944 und er war aus dem Militäruntersuchungsgefängnis Berlin Tegel verlegt worden in das SS-Kellergefängnis in der Prinz Albert Straße -, dass diese Situation ihn zu dieser Vereinfachung gebracht hat, dass er die Menschen, die sich um ihn sorgten, trösten wollte und ihnen seine Nähe bezeugen wollte und ihnen helfen wollte, dass er ihnen bezeugte, mir ist Gott nah und das sollt ihr wissen. Da traten alle Fachfragen zurück, da waren die menschlichen Grundbeziehungen und der Glaube an Gottes Führung so einfach ausgedrückt, dass jeder es verstehen kann."

Diese Zuspitzung seiner Theologie lässt sich auch in den anderen Gedichten beobachten. In "Wer bin ich" fragt sich Bonhoeffer nach der Wahrnehmung seiner Person von außen, die ganz im Gegensatz steht zur Verzweiflung, die an ihm nagt. Am Ende stehen die Worte: "Einsames Fragen treibt mit mir Spott. Wer ich auch bin, Du kennst mich, Dein bin ich, o Gott." "Nächtliche Stimmen" wiederum erzählt von Gedanken, nachts einsam in der Zelle.

Unser Auge musste Frevel erblicken,
um uns in tiefe Schuld zu verstricken
dann verschlossen sie uns den Mund
wir wurden zum stummen Hund


In keinem anderen Schriftstück aus dem Gefängnis habe Bonhoeffer die nationalsozialistische Macht so bloß gestellt, schreibt Henkys.

Das erste Gedicht, das er im Sommer 1944 aus dem Gefängnis schmuggeln kann, ist das persönlichste: "Vergangenheit". Darin philosophiert er nicht nur über die Bedeutung der Vergangenheit, er schreibt sich auch von der Seele, wie sehr er seine Braut, Maria von Wedemeyer, vermisst.

Ich möchte den Duft deines Wesens atmen,
ihn einsaugen, in ihm bleiben
wie an einem heißen Sommertag
schwere Blüten die Bienen zu Gast laden
und sie berauchen wie Nachtschwärmer vom Liguster trunken werden
aber ein rauer Windstoß zerstört Duft und Blüten
und ich stehe wie ein Narr
vor dem Entschwundenen, Vergangenen.


Jürgen Henkys: " Dieses erste Gedicht, das er überhaupt geschrieben hat, stammt aus einer tiefen Anfechtung und er, der Mann, der so diszipliniert war, für dessen Bildung, aber auch für dessen Glauben es nicht gehörte von persönlichen Dingen zu sprechen, gibt sich hier ganz offen und spricht radikal aus, wie es ihm mit dieser Trennung geht. Er hatte das Bedürfnis es jetzt einmal rückhaltlos zu sagen und sehr persönlich und dafür bot sich die Form des Gedichtes an."

Als Bonhoeffer dieses an seinen Freund Eduard Bethge schickte, äußerte er Zweifel, ob er überhaupt fähig sei, Gedichte zu schreiben. Er forderte Bethge auf, ihm nötigenfalls zu sagen: "Lass die Finger davon". Und bei seiner Braut befürchtet er, dass sie sich erschrecken könnte und bittet sie, vor allem auf das hoffnungsvolle Ende zu achten. Solche einordnenden Details sind es neben den eindrucksvollen Originaltexten, die das Buch sehr lesenswert machen.

Henkys nimmt die Gedichte auch formal auseinander. Wenn er akribisch deren Aufbau und Rhythmus beschreibt, dann wird die Lektüre allerdings etwas mühsam.

Sehr viel wurde schon über Dietrich Bonhoeffer geschrieben, Persönliches und Theologisches. Die Gedichte und ihre Interpretation helfen einmal mehr, dem Menschen Dietrich Bonhoeffer hinter der Ikone des christlichen Widerstandes näher zu kommen.