80. Todestag
Dietrich Bonhoeffer im Kreise von Studenten im Frühjahr 1932 © Getty Images / ullstein bild
Widerstand gegen Bonhoeffers Vereinnahmung von rechts

Vor 80 Jahren starb der Theologe Dietrich Bonhoeffer. Kurz vor Kriegsende wurde der Widerstandskämpfer von den Nazis hingerichtet. Sein Mut inspiriert Menschen bis heute, jedoch wird Bonhoeffer inzwischen von rechten Kräften vereinnahmt.
Das Kriegsende ist nah, doch Dietrich Bonhoeffer wird es nicht mehr erleben. In den Morgenstunden des 9. April 1945 wird er zusammen mit anderem Mitgliedern des militärischen Widerstandes im KZ Flossenbürg durch Erhängen ermordet. Der Theologe stirbt im Alter von 39 Jahren. Nur zwei Wochen später befreien amerikanische Soldaten das Konzentrationslager.
Bonhoeffers Schicksal, sein Glaube und sein Mut machen ihn zu einer herausragenden Figur des Widerstands, die auch 80 Jahre nach seinem Tod große Beachtung findet. In der Nachkriegszeit wird er jedoch von verschiedenen Seiten vereinnahmt. Ganz aktuell von den Evangelikalen in den USA, die Bonhoeffers Schriften nutzen, um ihren Kampf gegen die liberale Gesellschaft als „Widerstand“ zu verklären.
Wer war Dietrich Bonhoeffer?
Der evangelische Theologe gehörte zu den profiliertesten Gegnern der NS-Diktatur. Er wandte sich von Anfang an gegen die Rassenpolitik und die Gleichschaltung der Gesellschaft insbesondere der Kirche. 1906 in Breslau geboren und in guten Verhältnissen aufgewachsen, entschied er sich für ein Theologiestudium, das ihn zu Auslandsaufenthalten nach Rom, Barcelona und New York führte.
Als junger Pfarrer in Berlin erlebt er die Machtergreifung der Nationalsozialisten und stellt sich gegen den Boykott jüdischer Geschäfte. Bonhoeffer wird Mitglied der „Bekennenden Kirche“, die sich gegenüber den hitlertreuen Deutschen Christen abgrenzt. Schon früh wird er von der NS-Behörden mit Repressalien belegt. Er verliert seine Lehrerlaubnis an der Universität und 1938 erhält er ein Aufenthaltsverbot für Berlin.
Ein Jahr darauf ist er bereits in die USA emigriert um dort eine Pfarrei in New York anzutreten, entschließt sich dann aber aus Überzeugung ins vom NS-Regime geführte Deutschland zurückzukehren. "Ich habe kein Recht, an der Wiederherstellung des christlichen Lebens in Deutschland nach dem Krieg mitzuwirken, wenn ich nicht die Prüfungen dieser Zeit mit meinem Volk teile“, schrieb er einem Bekannten.
Durch persönliche Verbindungen arbeitet Bonhoeffer während des Krieges für den militärischen Auslandsgeheimdienst im Oberkommando der Wehrmacht unter Wilhelm Canaris. Dort kommt er mit Widerständlern in Kontakt und schließt sich konspirativen Kreisen an. Im April 1943 wird er verhaftet. Nach dem gescheiterten Attentat vom 20. Juli 1944 findet sich sein Name in Unterlagen, die mit den Verschwörern in Verbindung gebracht werden. Seine Haft wird verschärft. In dieser Zeit schreibt er sein berühmtes Gedicht „Von guten Mächten treu und still umgeben“ in einem Brief an seine Verlobte. Im April 1945 wird er gemeinsam mit anderen Angehörigen des Widerstands Wilhelm Canaris, Hans Oster, Karl Sack und Ludwig Gehre hingerichtet.
Wie wurde er in der Nachkriegszeit wahrgenommen?
Nach Kriegsende dauerte es in Deutschland, bis Dietrich Bonhoeffer und seine Rolle im Widerstand gewürdigt wurde. Auch die evangelische Kirche tat sich zunächst schwer im Umgang mit Bonhoeffer. Erst mit dem Erscheinen seiner gesammelten Schriften und einer Biographie Ende der 1960er Jahre wandelte sich das Bild nachhaltig. Der ermordete Theologe wurde in der Folge zum Märtyrer erklärt und heroisiert.
Weltweit wurde er zum Vorbild für Zivilcourage. Es gibt Bonhoeffer-Gesellschaften in Brasilien, in Polen, in Südafrika, den USA und Asien. Christinnen und Christen in der ehemaligen DDR orientierten sich an seinem Denken, um Kirche im Sozialismus zu gestalten. In Südafrika bestärkte Bonhoeffers Kritik an der Judenverfolgung den kirchlichen Widerstand gegen die Rassentrennung.
Auf welche Weise vereinnahmt die neue Rechte Dietrich Bonhoeffer?
Seit mehr als einem Jahrzehnt wird Dietrich Bonhoeffer in den USA von rechtsradikalen Evangelikalen vereinnahmt. Den Ursprung sehen Beobachter im Narrativ, dass der Publizist Eric Metaxas in seiner Biografie von 2009 über den deutschen Theologen verbreitet: Bonhoeffer als Idealtypus eines frommen Widerstandskämpfers, der gegen das ultimativ Böse kämpft. Das Buch war ein Riesenerfolg in der evangelikalen Szene der USA. Pünktlich zum 80. Jahrestag ist ein umstrittener Kinofilm entstanden, der diese Interpretation weiter dramatisiert.
Mit der Radikalisierung des Trump-Lagers ging gleichzeitig auch eine Radikalisierung der Bonhoeffer-Deutung einher. Autor und Aktivist Metaxas stellte den Kampf gegen Abtreibung oder der Ehe für alle in eine Reihe mit Bonhoeffers Einsatz gegen die Judenverfolgung. Die religiöse Rechte in den USA sieht sich von einem totalitären „tiefen Staat“ unterdrückt, eine Situation, die auch gewaltsamen Widerstand rechtfertigt, wie etwa bei der Erstürmung des Kapitols am 6. Januar 2021.
Auch in Deutschland berufen sich rechte Kreise auf Bonhoeffer, beobachtet der Theologe Gregor Taxacher von der TU Dortmund. Es sei ein beliebtes Mittel Bonhoeffer zu zitieren, um sich gegen etwaige Nazi-Vorwürfe zu wehren, eben weil er eine Figur des Widerstands ist. Journalist Arnd Henze sieht in Bonhoeffers großer Stärke, dem pointierten Formulieren, gleichzeitig die Angriffsfläche zur Vereinnahmung. Aus dem Zusammenhang und dem historischen Kontext gerissene Formulierungen, wie dem „Rad in die Speichen fallen“, würden von verschiedenen Kräften ins Feld geführt.
Gibt es eine Gegenbewegung?
In jüngerer Zeit werden die Stimmen lauter, die sich gegen eine Vereinnahmung von Bonhoeffer wenden. Zum US-Kinostarts des Biopics „Bonhoeffer“ äußerten deutsche und amerikanische Theologen in einem offenen Brief Kritik an der Darstellung.
Kurz darauf wandten sich auch die Nachkommen Bonhoeffers gegen dessen Vereinnahmung durch christliche Nationalisten in den USA. "Mit Entsetzen verfolgen wir, wie das Vermächtnis von Dietrich Bonhoeffer zunehmend von rechtsextremen Antidemokraten, Fremdenfeinden und religiösen Hetzern verfälscht und missbraucht wird“, hieß es in dem Brief, den 86 von 100 erwachsenen Nachkommen unterzeichnet haben.
Die Familie beruft sich auf ihre eigene Überlieferung, wonach Bonhoeffer "ein friedliebender, freiheitlich gesinnter Menschenfreund" gewesen sei. "Niemals hätte er sich in der Nähe rechtsextremer, gewalttätiger Bewegungen gesehen, die heute versuchen, ihn zu vereinnahmen. Im Gegenteil, er hätte genau diese Haltungen kritisiert."
Die Bonhoeffer-Nachkommen monieren in diesem Zusammenhang, dass Zitate des Theologen "aus dem Zusammenhang gerissen, zu frommen Sprüchen und Widerstandspathos degradiert" worden seien. Damit würden sich von christlich-nationalistische Trump-Anhängern in den USA "bis zum deutschen Rechtsextremisten Höcke auch viele schmücken, deren Absichten Bonhoeffers Denken und Handeln diametral widersprechen“.
jk