"Bonnie and Clyde" der Kunstszene

Von Volkhard App |
"L'art et l'amour - Niki & Jean" heißt die große Ausstellung zur künstlerischen Lebenspartnerschaft zwischen Niki de Saint Phalle und Jean Tinguely im hannoverschen Sprengel Museum. Die lebendige Ausstellung stellt das Paar mit Fotos und Videos in ihre Zeit, als Kunst noch für Skandale gut war.
Auf die Bildfläche ist ein Hemd genagelt, darüber als Kopf eine Zielscheibe mit Dart-Pfeilen. "Porträt meines Liebhabers” heißt diese aggressive Montage Niki de Saint Phalles von 1961. Welcher ihrer Liebhaber da wohl gemeint war? Jean Tinguely ließ sich später vor diesem Werk filmen und gab
Auskunft über seine Lebensgefährtin Niki de Saint Phalle:

" Eine tolle Künstlerin und ein toller Mensch. Die Niki sieht so relativ hübsch aus, man könnte sagen, das ist ein nettes Mädchen – aber halt, halt, das ist natürlich ein Teufelskerl! Eine Vorkämpferin des Frauenrechts, sie hat etwas spezifisch Feministisches in ihrer Arbeit verwirklicht, sie ist unsere größte Bildhauerin."

1955 waren sie einander in Paris begegnet, 1960 trafen sie sich wieder und wurden zum Paar. Bald schon überhöhte Tinguely Bildreliefs von Niki de St. Phalle mit gebogenem Draht - und umgekehrt soll sie die Federn auf einigen Skulpturen Tinguelys angeregt haben.

Furore machten beide mit ihren Kunstaktionen, wilden Happenings: in der Wüste von Nevada ließen sie Gegenstände explodieren und Salvador Dali lud das Paar 1961 in eine Arena ein, wo es einen Stier aus Gips und Papier in die Luft jagte.

Und immer wieder Schießaktionen auf offener Bühne und in Galerien - selbstbewusst, im schicken Hosenanzug, stand das frühere Fotomodell hinter dem Gewehr und schoss auf Farbbeutel, die sich über die Bildfläche entluden - über die Figuren dort, die "objets trouves" und über nachgebildete
Politikerköpfe. Hier wurde Kunst nicht zerstört, sie entstand überhaupt erst durch den Akt der Gewalt.

Niki und Jean galten bald als "Bonnie and Clyde” der Kunstszene. Ulrich Krempel, Direktor des
Sprengel Museums:

" Ja, das waren sie sicherlich. Schon wegen der Art, wie ihre Beziehung über viele Jahre lief. Da gab es sogar eine Ehe und später jede Menge Liebhaberinnen und Liebhaber. Und Bürgerschreck waren sie in jedem Fall, weil sie mit ihrer Kunst die alte Tradition "epater le bourgeois" – dem Bürger ins Gesicht hauen oder ihn erschrecken -, ein ganzes Stück weitergeführt haben. Aber mit großer Liebenswürdigkeit und spielerischen Arbeiten, deswegen werden sie von vielen Menschen geliebt."

Zum Aufsehen erregenden Objekt wurde 1966 in Stockholm eine bunt bemalte, auf dem Rücken liegende riesige Nana, durch deren Vagina das Museumspublikum ins Innere mit Galerie, kleinem Kino und Sofa vordringen konnte.

Krempel: " Ja, das war ein Schock, weil man die Skulptur durch die Vagina betreten konnte. Aber Niki hat oft Tabus verletzt, sie hatte vorher schon Öffentlichkeit hergestellt mit ihren Schießaktionen – es gab von den beiden eine Vielzahl von Attacken auf den schläfrigen Geist der Zeit."

In der Zusammenarbeit mit Jean Tinguely wurde damals eine neue künstlerische Phase eingeleitet, denn es folgten vielfältige Außenobjekte, auch in öffentlichem Auftrag, so der Strawinsky-Brunnen am Centre Pompidou. Niki stellte Modelle in Ton her, er wählte unter den Entwürfen aus und war mit seinem eingespielten Team der große Konstrukteur.

Tinguely war längst berühmt als Baumeister grotesker Maschinen mit Schrott-Appeal, spielerischen Attacken auf eine hybride technische Welt, Niki wiederum wurde wegen ihrer lebensfrohen Nanas geschätzt. Bestand zwischen diesen Künstlern eine wirkliche Partnerschaft - oder auch eine
Form von Konkurrenz? Bloum Cardenas, Nikis Enkelin, die auch diese Schau
angeregt hat:

" Ein bisschen von beidem. Es war eine wirkliche Partnerschaft, aber Niki und Jean standen auch in gegenseitiger Konkurrenz, sie wollten einander beeindrucken. Als ich sie kennen lernte, wollte jeder dem anderen die eigene Größe deutlich machen und ihn durch die eigene Kunst und Präsenz
verführen."

Auch in einem Mythen beladenen Film Nikis wirkten Tinguely und andere Künstler mit - im Sprengel Museum stehen und liegen neben dem Bildschirm Originalobjekte aus diesem Opus von 1975: ein phantastischer, mit Spielzeug bestückter Horror-Drachen und eine Art Penis in Raketenform.

Nikis Arbeiten verloren mit der Zeit an aggressiver Kraft, behielten aber ihren spielerischen Reiz. Vor fünf Jahren sagte sie bei einem Besuch im Sprengel Museum:

" Ich war mal eine wütende Feministin. Wenn Sie sich einige meiner Werke anschauen, kommen Sie zu der Ansicht, alle Männer seien von Übel. Ich bin heute keine radikale Feministin. Ich bin Großmutter – nicht mehr die Person, die um sich geschossen hat. Aber ich verachte mein früheres Stadium nicht – da bin ich hindurchgegangen und habe so zu meiner heutigen Persönlichkeit gefunden. Wir erleben unterschiedliche Phasen und entwickeln uns weiter."

Auch als die Leidenschaft zwischen Niki und Jean nachgelassen hatte, war er oft mit Ideen und handwerklicher Energie zur Stelle, z.B. als Niki in der Toskana ihren Traum verwirklichte, einen Garten mit übergroßen Tarotfiguren. Und Ende der achtziger Jahren schuf Tinguely für skurrile, bunte Objekte Nikis bewegliche Fundamente. Die Handschriften beider Künstler fanden noch einmal zusammen.

Es ist unter den hannoverschen Ausstellungen zu Saint Phalle sicherlich die bislang lebendigste - eben weil sie und ihr Partner Tinguely mit atmosphärisch dichten Fotos und Videos in ihre Zeit gestellt werden, in eine aufregende Zeit, als Kunst noch für Skandale gut war.

Tinguely starb 1991. Fünf Jahre später schrieb Niki de Saint Phalle:

" Wir forderten uns ständig gegenseitig heraus. Es war eine sehr fruchtbare geistige Verbindung. Das Größte aber, das Du mir schenktest, war Dein Vertrauen in meine Arbeit."

Service:

Die Ausstellung "Niki & Jean. L'art et l'amour" ist im Sprengel Museum Hannover vom 25. September 2005 bis 22. Januar 2006 zu sehen.