Alejandro Zambra: "Bonsai"
Aus dem Spanischen von Susanne Lange
Suhrkamp Verlag, Berlin 2015
90 Seiten, 12 Euro
Große Literatur im Mini-Format
"Am Ende stirbt Emilia. Julio stirbt nicht. Der Rest ist Literatur." So beginnt Alejandro Zambras "Bonsai". Ein Buch mit nur 90 Seiten und einer altbekannten Geschichte - aber allen Zutaten für einen großen Roman.
Was haben ein Bonsai und ein Buch gemeinsam? Die Antwort auf diese Frage gibt ein winzig kleiner Roman aus Chile: Alejandro Zambra, Literaturprofessor aus Santiago, schrieb ihn 2006. Das Typoskript war nur 40 Seiten lang.
Aber das Buch ist nicht nur vom Umfang her "Bonsai".
Es hat - ebenso wie die japanischen Zwergbäumchen in den edlen Töpfen alles haben, was einen Baum ausmacht - alle Zutaten zu einem großen Roman: sprachliche Brillanz, unerwartete Wendungen und die alte Geschichte von Liebe und Tod.
"Am Ende stirbt Emilia. Julio stirbt nicht. Der Rest ist Literatur" heißt es am Ende des ersten Absatzes. Erst dann setzt die Handlung ein, die sich schnell zusammenfassen lässt: Eine junger Mann und eine junge Frau sind eine Weile ein Paar, dann geht Emilia fort aus Chile, nach Madrid. Ihr geht es dort ziemlich schlecht. Julio bleibt und führt eine prekäre Bohème-Existenz. Emilia vergisst er nie. Schließlich verfällt er darauf, einen Bonsai zu züchten. Am Ende erfährt er von Emilias Selbstmord.
So wenig eine Geschichte schon ein Roman ist, so wenig ist ein Bonsai ein Baum
Das ist eine Geschichte, aus der man so ziemlich alles machen könnte, von der dicken Schmonzette bis zum intellektuellen Selbstfindungsroman. (In der Tat wurde auch ein Film daraus gemacht, der 2011 in Cannes gezeigt wurde.) Was Zambra daraus gemacht hat, ist ein in seiner Reduziertheit umwerfendes Buch, das gleichzeitig zeigt, wie neu die altbekannten, banalen Geschichten für den sind, der sie erlebt. Und der sie so schreiben kann wie Zambra.
Denn so wenig eine Geschichte schon ein Roman ist, so wenig ist ein Bonsai ein Baum. Bonsai, so lernt es Julio, als er in seiner Einsamkeit ans Züchten geht, ist ein botanisches Kunstwerk, das aus Topf und Baum besteht. Ohne den Topf wäre der Baum ein ganz gewöhnlicher hölzerner Riese, der irgendwo steht. Der Topf aber beschränkt ihn, hält ihn im Zaum, macht ihn übersichtlich und zu einem künstlichen Gebilde, obwohl er Wurzeln, Zweige, Äste und Blätter hat. Ein Bonsai ist nur insofern ein Baum, als man ihn von oben und von allen Seiten betrachten kann, ohne sich von der Stelle zu rühren.
So ähnlich ist das doch mit Romanen auch: Ohne das Format, das zwischen zwei Buchdeckel passen muss, und die Kunst dessen, der sie da hinein schreibt, wären sie bloß Geschichten, wie sie Leuten andauernd passieren.