Hilary Mantel: Von Geist und Geistern. Autobiografie
Aus dem Englischen von Werner Löcher-Lawrence
Dumont Verlag, Köln 2015
240 Seiten, 19,99 Euro
Ein bewegender Lebensbericht
Die mehrfache Booker-Preisträgerin Hilary Mantel zeichnet in ihrer bewegenden Autobiografie "Von Geist und Geistern" ihr von Krankheit gezeichnetes Leben nach. Das verlangte ihr Härte ab, die als beißender Spott in ihren Texten wiederkehrte.
In der englischsprachigen Welt ist die Britin Hilary Mantel seit einigen Jahren eine viel bewunderte Autorin. Die BBC zeigt gerade eine mehrteilige Verfilmung des Mantel-Romans "Wölfe", des Buches, mit dem die Autorin 2009 ihren ersten Booker-Preis gewann. "Wölfe" war der Auftakt zu einer Trilogie über die Zeit der Tudors, der zweite Band hieß "Falken" und auch dafür wurde Hilary Mantel mit einem Booker-Preis geehrt. Die mit einer scharfen Zunge gesegnete und inzwischen in den Adelsstand erhobene Autorin hat auch außerhalb der Literatur von sich reden gemacht, mit angriffslustigen Äußerungen über das britische Königshaus oder auch mit ihrem 2014 publizierten Erzählungsband "Die Ermordung Margaret Thatchers".
Durch diese Erzählungen zieht sich ein Leitmotiv, das auch für den Lebensbericht von Hilary Mantel entscheidend ist: die Wahrnehmung von Geistern und Untoten, einer erweiterten Realität. Das Thema schlägt die Autorin schon im Titel ihrer Autobiografie an: "Von Geist und Geistern", im Original "Giving Up the Ghost". Bei Mantel hat das nichts mit esoterischem Schwulst zu tun, sondern mit äußerst schmerzhaften Selbsterfahrungen. Die Autorin war jahrzehntelang mit einer schweren Erkrankung geschlagen, die falsch diagnostiziert und mit abwegigen Psychopharmaka behandelt wurde, als junge Frau wurde sie sogar in die Psychiatrie eingewiesen. Eine Erscheinungsform ihrer Krankheit waren schwere Migräne-Anfälle, die ihre Wahrnehmung verzerrten.
In Erzählungen von Hilary Mantel stößt man auf Möbel, die nachts durch die Wohnung galoppieren und morgens an neuen Orten stehen, eine Erzählerin sieht ihren toten Vater im Zug. In ihrer Autobiografie zeigt die Autorin, woher solche Erzählideen kommen und was sie bedeuten können. "Wenn du dich umdrehst und auf die Jahre zurückblickst, erkennst du die Geister anderer Leben, die du hättest führen können. Deine Häuser werden von den Personen heimgesucht, die du hättest sein können. Du denkst an die Kinder, die du hättest bekommen können, aber nicht bekommen hast."
Alltag von Schmerzen geprägt
Ihre eigene Kindheit hat Hilary Mantel erlebt wie ein Alien, der auf der Erde ausgesetzt wurde. In ihrer Schulklasse fühlte sie sich "wie unter Geistesgestörten, und die Lehrer, bösartig und dumm, waren ihre Wärter." Als zehnjähriges Mädchen fantasierte sie sich in eine Männerrolle hinaus, als fahrender Ritter, der Rache nimmt für alle Kränkungen. "Mein Schwertarm zuckte, und ich stellte mir einen ruhigen, mähenden Schlag vor, der mich kaum ins Schwitzen brachte, und dann den Kopf, wie er das Pflaster hinunterrollte." Schon als Kind war Hilary Mantel ein "Fräulein Niemalsgesund", als junge Frau beherrschten durch den Körper wandernde, schneidende Schmerzen ihren Alltag. Sie war 28, als sie selbst durch das Studium medizinischer Fachbücher herausfand, an welcher Krankheit sie schon so lange litt, einer schweren Form von Endometriose. Ärzte bestätigten ihre Selbstdiagnose, die notwendigen Operationen führten dazu, dass Hilary Mantel keine Kinder mehr bekommen konnte. Durch die folgende Behandlung mit Hormonen hat sich die äußere Erscheinung der Autorin stark verändert, sie in einen "Anzug aus Fett" gesteckt, "massig, gesetzt, grotesk" werden lassen, eine Metamorphose, mit der sie sich immer wieder öffentlich auseinandersetzte.
Als sie 2003 mit 51 Jahren ihre Autobiografie schrieb, da hatte Hilary Mantel schon acht Romane und einen Erzählungsband veröffentlicht, ohne einen wirklichen Durchbruch als Autorin erreicht zu haben. Man staunt beim Lesen dieses Buches, mit welcher Zähigkeit diese Frau gegen ihre Krankheit und für ein Leben als Autorin kämpfte. Das war nur mit Härte möglich, einer Härte, die im beißenden Spott und in der Ungemütlichkeit ihrer Texte wiederkehrt. Es gab Phasen, in denen sie nach eigener Analyse eine "Zynikerin in Sachen Romantik" war. Wie sie sich gegen diese Verhärtung gewehrt hat, auch das zeigt Hilary Mantel in ihrem zutiefst bewegenden Lebensbericht.