Große Männer und kleine Züge
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In der Coronakrise haben manche alte Hobbys wiederentdeckt. Modellbahn-Herstellern bescherte das Umsatzzuwächse. Das Spiel mit der kleinen Eisenbahn ist aber nicht nur eine Reise in die eigene Kindheit, sondern auch die Flucht in eine heile Welt.
Maßstab 1:87. Dies ist die Geschichte einer Welt im Kleinen, in der die Eisenbahn die Hauptrolle spielt. Peter Strunk ist Pressesprecher des Technologieparks Adlershof in Berlin. In seiner Wohnung im Stadtteil Schöneweide hat er im Arbeitszimmer eine Modellbahnanlage gebaut.
Auf Regalen mit Eisenbahnliteratur fährt sie im großen Kreis die Zimmerwände entlang. Wenn Peter Strunk an seinem Schreibtisch sitzt, rauschen die Züge in Augenhöhe um ihn herum. Unter dem Eisenbahnkreis hat er einen Straßenbahnkreis konstruiert.
"Eine fürchterliche Fummelarbeit"
"Das ist natürlich eine besondere Herausforderung, die Gleise so zu verlegen, dass sie auch wie Straßenbahngleise aussehen, eine fürchterliche Fummelarbeit, aber es hat sich gelohnt", meint Strunk. Allerdings: "Wenn die Fahrzeuge sich zum Teil anhören wie Rasenmäher, sind das keine authentischen Fahrgeräusche. Aber die Fahrzeuge selber sind zum Teil sehr, sehr schön gestaltet. Wenn man versucht, ein Fahrzeug zu fahren – es hört sich doch sehr archaisch an."
Die Schienen der Straßenbahn sind in Kopfsteinpflasterimitat eingepasst. Nicht nur die gelbe Straßenbahn verleiht der Anlage eine Berliner Note, auch der Vorortbahnhof mit den Gusseisensäulchen und dem Stadtbahnviadukt.
Wenn abends die Lampen abgedreht sind, blinkt es an den Bahnübergängen der Anlage, setzen Signale grüne und rote Lichtpunkte, leuchten Straßenlaternen. Damit die Stromabnehmer der Lokomotiven, die sogenannten Pantografen, während der Fahrt nicht funktionslos in die Luft ragen, hat Strunk seinen Ehrgeiz darein gesetzt, alle Gleise vorbildgerecht mit feinen Bronzedrähten zu überspannen.
Eine Oberleitung sei schnell installiert, so Strunk. "Nur wenn sie installiert ist, funktioniert etwas nicht. Es reißt irgendetwas. Die Pantografen fliegen raus und man hat die Mastabstände in den Kurven zu weit gemacht. Es ragen irgendwelche Drähte rein, bleibt irgendwas hängen. Es korrodiert wahnsinnig schnell. Und diese Fummelei, bis man das so hergerichtet hat, dass das auch alles funktioniert, die Drähte die nötige Spannung haben... Ich kann das ja mal hier zeigen, das ist fast wie Gitarren-Saiten. Das ist hier jetzt ganz dünner, 0,3-Millimeter-Bronzedraht, den ich richtig verspannt habe, bis kurz vor dem Zerreißen."
Beim Spielen liegen stets ein Lötkolben und diverses Feinwerkzeug griffbereit. Er bastle, antwortet Strunk ganz simpel auf die Frage, was das Spiel mit der Modelleisenbahn ausmacht. Eine kreative Arbeit übrigens.
Zeit und Raum vergessen
"Es gelingt, komplett abzuschalten. Und manchmal kommt man in den Flow, dass ich Zeit und Raum vergesse und manchmal bis zu acht, neun Stunden mit einer unendlichen Geduld an irgendwelchen Lötungen, Kabelverlegungen oder auch Zusammenkleben, Zusammenbasteln von Teilen beschäftigt bin oder versuche, ein altes Flügelsignal mithilfe von Pinzetten unter der Lupe wieder in Ordnung zu bringen, damit es läuft, und natürlich läuft es nicht am Ende, aber man ist dann nicht frustriert. Man hat es halt versucht." Es sei eben "ein schöner Ausstieg", die Fingerfertigkeit werde geschult, und es habe etwas durchaus Sinnliches.
Dabei bewahrt Peter Strunk stets eine gewisse Distanz zu seinem Hobby, um nicht in Gefahr zu geraten davon beherrscht zu werden. "Ich zähle mich auch nicht zur Kaste der Pufferküsser und Nietenzähler, die es nun besonders genau nehmen. Für mich ist Eisenbahn auch ein Stück Lebenskultur, ein Stück Lebenserfahrung."
Modellbahner sind fast immer Männer
Was sind also die Modelleisenbahner? Die Hersteller der kleinen Lokomotiven und Waggons müssten es wissen. Wir verlassen deshalb vorerst das Arbeitszimmer von Peter Strunk und machen uns auf den Weg ganz in den Süden von Thüringen. Sonneberg hat eine lange Tradition als Spielzeugstadt. Wohl auch deshalb fand die Modelleisenbahnproduktion hier ihre Heimat.
1949 war sie unter dem Namen Piko von den Sowjets geschaffenen worden, um den gesamten sozialistischen Wirtschaftsraum mit Spielzeug zu versorgen. Piko stand abgekürzt für Pionier-Konstruktion. Nach der Wende hatte das einstige Kombinat Glück und fand einen Käufer. 600 Mitarbeiter hat die Piko-Gruppe heute.
Der Weg zum Werk führt durch ausgestorben wirkende Plattenbausiedlungen abwärts zum Stadtrand, wo sich einige Fabrikgebäude aneinanderdrängen. Über einem von ihnen ist der Schriftzug Piko zu lesen. Im Besprechungsraum stehen in Vitrinen österreichische Railjets, tschechische Skoda-Lokomotiven und deutsche Fernverkehrszüge in Kleinausgabe.
Davor sitzt Vertriebsleiter Jens Beyer und versucht, den typischen Modelleisenbahner zu definieren. Ein angenehmer Kundenkreis übrigens. "Die Modellbahner betrachten das als sehr langjähriges, als sehr stabiles Hobby." Wer heute eine Modelleisenbahn betreibe, wechsele nicht morgen das Thema, so Beyer. "Viele unserer Kunden haben als Kinder Bezug zum Produkt gehabt. Und ich bezeichne das immer – auch wenn das in der heutigen Zeit schwierig ist, den Begriff zu retten – als Virus: Man hat den Modellbahnvirus irgendwann aufgenommen und der verlässt einen eigentlich sein Lebtag nicht mehr.
Der Sammler, der Tüftler, der Spieler
Wobei Modellbahn und Spielen nur die eine Seite des Hobbys sei. "Modellbahn ist natürlich auch die Auseinandersetzung mit Elektrotechnik, mit handwerklichem Geschick, mit Landschaftsbau. All das, was natürlich da eine Rolle spielt. Und darüber hinaus gibt es natürlich auch diese klassischen Sammler, die Themen sammeln, Epochen sammeln, Baureihen sammeln, die zu Hause wahrscheinlich irgendwelche Vitrinen haben, um dann ihre Produkte dort entsprechend der Thematik dann zu sammeln."
Und: Modellbahner sind nahezu ausschließlich Männer. Ganz im Gegensatz zur Herstellung ihrer Sammelobjekte: Denn in einem großen Raum der Firma Piko sind es ausschließlich Frauen, die Gartenbahn-Schienen biegen oder Styropor in Verpackungskartons schieben.
Gartenbahn, das ist das größte Format, das Piko produziert. Eine Lokomotive passt gut in eine Schuhschachtel. Daneben produziert Piko Exemplare für die gängigste Spurweite H0. Da haben Lokomotiven die Größe eines Brillenetuis. Spur N ist die kleinste Klasse, Maßstab 1: 160. Dazwischen liegt die vierte Piko-Spurweite, das in den ehemaligen Oststaaten verbreitete Format TT, wie Table Top. Denn ein Schienenkreis dieser Größe hat bequem auf einen Küchentisch Platz.
"Piko war aber auch, soweit ich weiß, der einzigste Hersteller im sozialistischen Wirtschaftsraum, der Modellbahnen produziert hat in nennenswertem Ausmaß", erzählt Beyer. "Wenn man heute also in Russland, in Polen unterwegs ist und den Namen Piko erwähnt, dann geht meistens ein Lächeln über die Augen. Viele erinnern sich an ihre Kindheit und können sich dran erinnern, dass doch das für sie auch ein wichtiger Bestandteil der Kindheit gewesen ist."
Wunsch nach Geborgenheit
Im Osten wie im Westen, dieselbe Faszination. Doch: Was macht diese Faszination nach Meinung von Jens Beyer aus? "Ich glaube schon, dass es der Wunsch nach Geborgenheit der Menschen ist, dass man sich eine gewisse heile Welt schafft. Darüber hinaus aber auch Technik-Interesse, Spaß am Spielen, und – ich glaube – in gewissem Umfang in der heutigen Zeit immer mehr auch Entschleunigung." Er kenne viele Wirtschaftslenker, viele Politiker, die Modellbahner seien, so Beyer. "Viele outen sich nicht immer dem Thema entsprechend, aber viele sagen auch, dass das etwas ist, wo man eben auch am Ende eines anstrengenden Tages sich dem Hobby widmet."
Ein großer, kahler Raum ist das Testgelände für die Modelle von Piko. Immerhin bringt das Unternehmen pro Jahr rund 400 Neuheiten auf den Markt. Doch hier schnurren sie nicht durch üppige Landschaften, sondern heute zieht eine Diesellok im Dauertest einen Schnellzug über fünf Kehren eines Gestells aus Sperrholzplatten nach oben und wieder nach unten. Der weltweite Versand der Produkte erfolge aus Sonneberg, erzählt Beyer.
"Wir haben ein eigenes Hochregallager mit 8000 Paletten-Stellplätzen, wo letztendlich alle Produkte hier gelagert und von hier aus dann natürlich entsprechend in alle Welt verschickt werden. Neben der Fertigung in Sonneberg haben wir auch eine Produktionsstätte in China, wo überwiegend dann H0-, TT- und N-Produkte gefertigt werden. Auch diese Artikel kommen hier nach Sonneberg, in unser zentrales Lager und werden dann von hier weltweit verschickt."
Mittlerweile lassen die meisten Modellbahnhersteller ihre Produkte in Asien herstellen. Der Automatisierungsgrad ist aufgrund der geringen Auflagen unterschiedlichster Modelle nicht hoch. Das macht viel Handarbeit notwendig, ein Kostenfaktor, der hierzulande teuer ist. Die Nummer eins auf dem Markt, Märklin in Göppingen bei Stuttgart, lässt in der Zentrale und in Ungarn produzieren. Märklin war in der Bundesrepublik das, was Piko in der DDR war: das Flaggschiff der Modellbahnen.
Väter und Söhne auf Augenhöhe
Der Marketingleiter von Märklin, Jörg Iske, meldet sich per Telefon. Im Jahr 1815 wurde das Unternehmen gegründet. Die Märklin-Modellbahn ist also so alt wie das Spiel mit der kleinen Bahn selbst. Jahrhunderte, in denen sich bestimmte Gesetzmäßigkeiten ausgebildet haben. "Es war schon von jeher so: Sobald das Kind auf die Welt gekommen war, hat der Papa die Eisenbahn gekauft, weil er gesagt hat: Jetzt hat er seinen Sohn, jetzt möchte er mit ihm Eisenbahn spielen, um es mal ganz brutal zu sagen." Aber wer habe dann gespielt? "Das war oft der Vater."
Eisenbahn sei schon ein Generationsthema, entgegnet Peter Strunk. Wir sind wieder in seinem Arbeitszimmer, wo über den Gleisen ein paar Fotos an der Wand hängen. "Das ist die Generationenleiste: Mein Vater mit seinem Bruder 1937, da war mein Vater elf oder zwölf, vor der Märklin-Eisenbahn, Spur 0. Und dann später gibt es das Bild, was mich als Dreijährigen zeigt mit der ersten Märklin-Bahn und Dieselloks und Wagen schön aus Blech. Die fahren heute noch. Und dann das nächste Bild bin ich mit meinem Sohn, und so geht das immer weiter.
Wenn Vater und Sohn dann auf Augenhöhe miteinander kommunizieren. Auch wenn mein Sohn mit meinem Vater kommuniziert hat, dann machten die das auf Augenhöhe, mein Sohn war damals sechs, und der Opa war schon Ende 60. Da verbindet etwas, und es sind die gleichen Interessen. Und oft entsteht Respekt, und auf dieser Ebene des Respekts ist das Fachgespräch. Und das Fachgespräch gleitet schnell ab: Es ist der geschützte Raum, wo die Männer sich mal auch über sehr viele, viele andere Dinge unterhalten können."
Modellbahner bauen ihr vertrautes Milieu
"Ja, ein sogenannter Pendolino, ein dieselhydraulischer Triebzug mit Baureihe 612, mit einer Pendelautomatik, die einmal aus einer militärischen Entwicklung abgeleitet wurde, und diese Triebzüge, die bis zu 160 km/h schnell sind, werden heute auch unter anderem im Regional-Express-Verkehr zwischen Nürnberg, Bayreuth und Hof eingesetzt. Und da ich in solchen Zügen zwischen Nürnberg und Bayreuth mal oft gefahren bin, habe ich eines Tages mit Erstaunen festgestellt, dass mein Sohn einen solchen Zug auf seiner Anlage hatte, worauf ich ihn für längere Zeit mal auslieh. Und jetzt fahre ich im Geiste zu meinen Eltern, die lange Zeit in Nordbayern, in Bayreuth, gelebt haben, mit diesem Zug noch einmal besuchen. Auch hier wieder ein Stück eigener Lebenserinnerung."
Es ist ein Kennzeichen der Modellbahner: Sie bauen sich ihr vertrautes Milieu – die Schmalspurbahn aus dem Urlaub, die Strecke, über die eine Dampflok aus der Kindheit schnauft, die Landschaft, durch die sich jener Zug schlängelt, den man vom Fenster aus sieht. In jedem Fall sind es persönliche Bezüge, an die sich so manche Anekdote knüpft.
"Man lehnt sich doch bei dem, was man da baut, an das an, was man in der Eisenbahn gesehen und erlebt hat. Viele Fahrzeuge, die ich habe, sind von der einstigen Deutschen Reichsbahn, wo ich als Kind Westdeutschlands mit Großeltern Ostdeutschland... – Ich werde nie vergessen, ich glaube D247 war das, der von Paris nach Warschau, der ein sehr buntes Wagengemisch hatte: russische Schlafwagen, polnische Wagen, polnische selten, aber französische Liegewagen, Reichsbahn-Schlafwagen und dann auch Reichsbahn-D-Zug-Wagen, manchmal einen Bundesbahnwagen dazwischen. Und diesen Zug kann ich heute in allen Varianten zusammenstellen. Das mache ich auch manchmal. Er ragt allerdings dann über die Bahnsteige hinaus."
Peter Strunk ist eindeutiger Vertreter der Kategorie Spiel- oder Anlagenbahner. Einer, der die Freiheit der eigenen Kreativität hochhält. Oder, wie er es formuliert: Man kann der Gnadenlosigkeit realistischer Darstellung ein Schnippchen schlagen, indem man sagt: Nein, bei mir geht es andersrum. Neben dem Anlagenbahner haben wir auch schon den Typ des Sammlers kennengelernt, der entweder als Schachtelbahner die Modelle in ihren Verpackungen belässt oder sich als Vitrinenbahner über seine Prunkstücke in Glaskästen an der Wohnzimmerwand erfreut.
Doch es gibt noch einen Typus, weiß Jörg Iske von Märklin. "Die Teppichbahner, da geht es auch viel um Tradition. Man hat schon von jeher zu Weihnachten die Modellbahn vom Dachboden geholt, hat sie rund um den Tannenbaum aufgebaut, hat damit ein, zwei, drei Wochen gespielt, und dann hat man sie wieder weggepackt."
All die unterschiedlichen Kategorien von Modellbahnfreunden zeichnet ihr Amateurstatus aus. Dem steht die absolute Perfektion gegenüber: die weltweit größte Modellbahnanlage. Um sie zu besuchen, setzen wir uns in den ICE im Maßstab 1:1 und nehmen Kurs auf das Miniatur-Wunderland.
1000 Züge über 16 Kilometer Gleis
Ein paar Autos holpern über das Kopfsteinpflaster der Hamburger Speicherstadt. Düster stehen die roten Backsteinbauten beidseits von Kanälen, die hier Fleete heißen. In einem der Gebäude, in denen einst Kaffee und Kakao gelagert wurden, befindet sich Hamburgs Touristenattraktion Nummer eins: das Miniatur-Wunderland Hamburg.
Vor genau 20 Jahren hat es eröffnet, zuletzt verzeichnete es jährlich 1,5 Millionen Besucher. Derzeit sind die Ausstellungsräume menschenleer und dunkel. Der Jubel im Fußballstadion scheint eingefroren, die Seilbahn bewegt sich nicht, still und starr ruht der See, Venedigs Gondeln tragen Trauer. Ab und zu schleppt ein Mitarbeiter ein Paneel mit Wiesen und Bergen vorbei, basteln einige der 300 Mitarbeiter an Landschaftsdetails.
Normalerweise ziehen auf den 1500 Quadratmetern Ausstellungsfläche mehr als 1000 Züge über fast 16 Kilometer Gleis dahin. Dennoch wird das Wunderland nicht von der Eisenbahn nicht dominiert. Es ist eher eine Welt im Kleinen, in der zufällig viele Züge unterwegs sind, sagt der Gründer und Chef des Unternehmens, Frederik Braun.
"Aber wer sie sehen will, der wird begeistert sein, diese Züge zu verfolgen, über diese langen Strecken, die Vielseitigkeit der über 1000 Züge. Das ist einzigartig, und das macht es zu diesem Erfolg, dass jemand, der die Züge sehen will, sie sieht, und der sie nicht sehen will oder für den sie nicht wichtig sind, der sieht andere Dinge. Es ist Flughafen, es ist Schiffe, Liebe, Sex, Freude, ganzes Leben, Sport." Also doch die heile Welt einer Modellanlage? "Wir haben von Anfang an hier beim Wunderland eher nicht so gedacht: Wir haben das ganze Leben dargestellt. Wir haben hier eine Wasserleiche, wir haben Unfälle, wir haben Streit, wir haben das ganze Leben. Und ich glaube, dass es das so authentisch macht. Allerdings gepaart mit sehr vielen positiven Gedanken."
Zehn Mitarbeiter warten die Züge
Die Loks und Waggons erleben hier allerdings ihren Härtetest, wenn sie täglich von früh bis spät ununterbrochen ihre Runden ziehen. Frederik Braun spricht von ihnen wie von Individuen, die ihm ans Herz gewachsen sind, wenn er auf die Pflege seiner Modelle zu sprechen kommt. "Da haben wir verschiedene Strategien ausprobiert. Und heute wissen wir, ein Mittelding ist das Beste." Viele Loks bräuchten gar keine Wartung.
"Da warten wir, bis sie kaputt sind, dann reparieren wir sie, das wäre ein zu hoher Aufwand sie einmal die Woche in die Werkstatt zu schicken. Andere brauchen dafür viel, viel mehr Liebe. Da wissen wir, die muss mindestens einmal die Woche gereinigt werden. Da müssen ein paar Verschleißteile regelmäßig gewechselt werden, damit sie nicht ganz kaputt geht. Das ist natürlich die Erfahrung von 20 Jahren." Trotzdem seien inzwischen bis zu zehn Leute damit beschäftigt, die Züge aller Art zu warten und zu reparieren.
Derzeit wird das Miniatur-Wunderland erweitert. Um nicht zu viele Menschen anzulocken, durfte kürzlich eine gläserne Brücke zwischen dem Ausstellungsgebäude und dem Speicher auf der anderen Seite des Fleets nur unter Geheimhaltung eingehängt werden. Auf ihr werden künftig nicht nur die Besucher zum nächsten Schauobjekt wechseln. Die 25 Meter lange Brücke wird auch die Trasse einer Hochgeschwindigkeitsstrecke aufnehmen. Das Wunderland bleibt seiner kleinen Eisenbahn treu.
"Das weiß ich jetzt schon ganz sicher: Das wird der Instagram-Hotspot Hamburgs werden. Weil der Blick von da oben so gigantisch ist! Ja, und dann kommt man rüber nach Rio de Janeiro. Und das ist unser Ziel, dass man wirklich gleich einen südamerikanisches Flair hat, obwohl es in einem Hamburger Kaffeespeicher ist."
Im anderen Gebäude wird nämlich im November Südamerika in Miniatur eröffnet. Deutsche Modellbauer haben in den letzten Monaten gemeinsam mit einer brasilianischen Familie in Rio de Janeiro deren Heimatstadt modelliert. Wir eilen durch einen Korridor, Treppe rauf, Treppe runter.
"Rio de Janeiro wird ganz anders, wird so lebendig. Wir haben ganz große Angst, dass es in der Dauerpflege nicht hält, weil die ganz anders bauen als wir. Aber es wird erst mal die ersten zwei Jahre wahnsinnig aussehen. Wir können einmal auf die Brücke gehen, wenn Sie ein Gefühl dafür haben wollen. Vorsicht, da steht was raus."
Unter der schrägen Glasröhre zwischen den zwei wuchtigen Speicherhäusern schwappt das schlammig braune Kehrwieder-Fleet. Von der Anordnung her ein Blick wie von Venedigs Seufzerbrücke.
Aus der Halle auf der anderen Seite dringt Baulärm. Zu sehen ist noch nicht viel. Zwischen den Eisensäulen wird gehämmert und geschliffen für den neuen Subkontinent, der hier entstehen soll. Fast scheint es, als käme die Zwangspause für Besucher nicht nur ungelegen. Frederik Braun berichtet von einer langen Liste an Arbeiten, die ausschließlich ohne Publikum durchgeführt werden können. Im November etwa wurde der Bodenbelag ausgetauscht. Von den 300 Mitarbeitern musste bisher niemand gekündigt werden. Vielleicht geht die Miniaturwelt, wie es oft formuliert wird, gestärkt aus der Krise hervor.
"Wir werden mehr Platz haben, brauchen also noch mehr Wunderländer. Und dementsprechend suchen wir eher und haben eher das Problem, dass man innerhalb eines geschlossenen Zustandes mit Kurzarbeit gar nicht einstellen darf."
Boom durch Corona
Auch die Modellbahnbranche blickt optimistisch in die Zukunft. Sie verspürte im abgelaufenen Corona-Jahr deutlich Aufwind. Während des Homeoffice werden Schienen und Züge wieder vom Dachboden oder aus dem Keller geholt.
Jens Beyer von Piko meint, dass sich das Spiel mit der kleinen Bahn antizyklisch zu Krisenzeiten verhalte. "Wenn man so die Wirtschaftskrise, die Finanzkrisen, oder jetzt auch die Coronapandemie sieht, sind das eher Zeiten, wo man sich stärker auf das Hobby Modellbahn oder generell auf das Thema Hobby besinnt. Und das ist schlussendlich auch ein Zeichen dafür, dass wir sehen, dass wir verstärkt auch Rückfragen oder Anfragen bekommen von vielen Wiedereinsteigern, aber auch Neueinsteigern in das Hobby.
Dass viele sagen: Modelleisenbahn kenne ich doch von früher, hatte ich doch mal, und wie kann ich da wieder starten?" Das wird von der Nummer eins auf dem Markt, Märklin, bestätigt. Man habe voriges Jahr zwar kein gigantisches Umsatzplus erzielt, sagt Jörg Iske, aber nach einem anfänglichen Schock zu Beginn der Pandemie doch noch recht gut die Kurve bekommen. Besonders stark stieg die Nachfrage im Onlineshop des Unternehmens, sodass Märklin teilweise mit dem Liefern nicht hinterherkam.
Trotz Konkurrenz durch Onlineshops gibt es sie noch: die Modelleisenbahngeschäfte, die bis unter die Decke mit Artikeln angefüllt sind, die das Herz jedes Schienenverkehrsfreundes höherschlagen lassen. Eine traditionsreiche Adresse lautet auf Mierendorffplatz, Berlin-Charlottenburg. Eine Spielzeug-Dampflok zieht ihren Kreis im Schaufenster, auf einem Tresen mit Testgleis wird eine perfekt dem Vorbild entsprechendes Modell erprobt.
In langen Glaskästen sind Lokomotiven diverser Hersteller nebeneinander geparkt und mit Preisschildchen versehen. Tüten mit Grasstreu in diversen Grüntönen hängen an der Wand, ein Drehständer ist mit diversen Eisenbahn-Fachzeitschriften bestückt. Kartons mit Waggons stapeln sich in Regalen, in durchsichtigen Schächtelchen liegt das, wofür Modellbahnhändler unersetzlich sind, die Ersatzteile: Achsen, Radsätze, Haftreifen.
Eigentümer Hartmut Weidemann hat in der Krise unterschiedliche Erfahrungen gemacht. "Wir haben dann teilweise so Übergabe mit Rechnungen gemacht, im letzten Jahr, im April, Mai. Damals war es ein großer Einbruch. Der wurde aber im Sommer durch die vielen Kunden, da wir sehr viele Stammkunden haben, die dann nicht wegfahren konnten, nicht verreisen konnten, die in der Zeit ihre Eisenbahn ausgepackt haben, relativ wieder wett gemacht. Aber es fehlt natürlich das Laufkundschaft-Geschäft."
Sammler kaufen jede Woche eine Lok
Wer aber ist diese Kundschaft, ob zufällig oder Stammkunde? "Modellbahn war immer ein Hobby von betuchteren älteren Männern, gedacht als Kinderspielzeug, und so haben die meisten Modellbahner begonnen. Aber die großen Umsätze haben wir immer mit den Modellbahnern, mit den Sammlern gemacht, mit denen, die größere Anlagen bauen. Also ein richtiger Sammler kauft jede Woche eine Lokomotive. Das summiert sich dann im Monat auf 600, 700, 800 Euro. Es kann auch mehr sein. Das ist natürlich nicht der Durchschnitt. So viele gute Sammler haben wir nicht." Die Modelleisenbahn hat sich außerdem weiterentwickelt. Aus dem klobigen Blechspielzeug von einst sind hochdetaillierte, vorbildgerechte Loks und Waggons geworden, deren winzige Beschriftungen sich sogar noch unter der Lupe scharf ausmachen lassen.
Gleichzeitig sind die Ansprüche der Käufer gewachsen. Schließlich hat die Digitalisierung der Modellbahn einen ungeheuren Entwicklungsschub und Herstellern wie Händlern einen Umsatzzuwachs gebracht. "Weil die Modelle dadurch erheblich teurer geworden sind, gleichzeitig natürlich auch viel besser. Sie haben es ja eben draußen gehört. Wenn Sie so eine Lok nicht nur fahren sehen, sondern auch die Originalgeräusche abrufen können auf Knopfdruck, das macht das Ganze reizvoller oder sehr viel reizvoller, durch neue Lautsprechertechnik. Auch im Kleinspurbereich gibt es inzwischen wirklich sehr, sehr gute Sounds."
Einer, der so eine voll digitalisierte Anlage sein Eigen nennt, ist der technische Leiter der Zillertalbahn in Österreich. Helmut Schreiner verbindet Beruf und Hobby und hat im Keller seines Hauses in Salzburg den Eisenbahnknoten Salzburg nachgebaut und mit der neuen Technik auch seine Kinder begeistern können. "Wen sie klein sind, spielen sie natürlich gerne. Aber jede Lokomotive wird da eher dazu malträtiert, entsprechendes Spielzeug zu sein.
Und man muss natürlich ein bisschen vorsichtig sein. Und jetzt mit der Digitalisierung, jede Lokomotive ist ansteuerbar über iPad, das ist dann natürlich eine Verknüpfung, ein bisschen etwas von Computerspiel und Lokomotive. Ich glaube, das war ein wichtiger Schritt, um das auch zukunftsfähig zu machen: her von der analogen Technologie, hin zu einer digitalen Technologie. Diese Digitalisierung ist für die Eisenbahn wichtig. Genauso wie im realen Betrieb, so ist es auch für die kleine Bahn, und die haben eben ein Gaudi, wenn sie da mit einem iPad die Loks ansteuern."
Ein Drehkran für 769 Euro
Nur ein paar Kilometer von Schreiners Haus entfernt zieht ein tschechischer Schienenbus unter den prüfenden Blicken einiger Männer seine Runden über einen großen Tisch, auf dem nackte Schienen montiert sind, selbstverständlich mit charakteristischem Fahrgeräusch. Es handelt sich um einen Versuchsraum in der Zentrale des Salzburger Herstellers Modelleisenbahn GmbH, der europaweiten Nummer zwei hinter Märklin. In Fachkreisen besser bekannt sind die beiden Marken, die sie produziert: Roco und Fleischmann.
Neben dem Schreibtisch von Geschäftsführer Tassilo Gruber steht eine Glasbox mit dem Neuheiten-Flaggschiff von Roco aus dem vorigen Jahr darin: dem Eisenbahndrehkran EDK70. "Ist selbstfahrend, kann auch gezogen werden. Und zwar genauso wie es im Original ist: Unten ist ein Schieber, der entkoppelt das Getriebe. Dann kann er ganz normal im Zugverband gezogen werden. Es ist wahrscheinlich unser bisher perfektestes Produkt zum Thema moderne Technik, Digitalisierung. Es sind da drinnen alleine fünf Motoren verbaut, zwei Platinen und so weiter, die die ganzen Steuerungen übernehmen."
Der Drehkran drehe sich um 360 Grad und fahre auf Knopfdruck. "Wenn man zum Beispiel sagt, jetzt habe ich genug gespielt, in die Nullposition zurück, das heißt, fährt alles ein, richtet sich gerade aus und steht wieder so da, als wäre nichts gewesen." Billig ist der Kran nicht. "Er ist wertvoll. Und ich habe eines gelernt in meinem Leben. Da braucht man nicht schüchtern sein und sich fast entschuldigen müssen: Das Ding, das kostet 769 Euro, stimmt. Aber man kriegt auch wirklich was dafür. Die Zeit, wo das wenige Euros oder damals halt vielleicht 200 Schilling gekostet hat, die ist vorbei."
Das Spiel mit der Modelleisenbahn kann ins Geld gehen. Das bestätigt auch Peter Strunk, der den Wiederbeschaffungswert seiner Anlage mit einem Auto der gehobenen Mittelklasse beziffert. In seinem Arbeitszimmer stellt der promovierte Historiker einen weiteren seiner Schützlinge auf zwei Schienen vor.
"Eine schöne Bereicherung des Lebens"
"Das ist ein Zug der Leipziger S-Bahn, wie sie zu DDR-Zeiten mal fuhr. Da hatte die Reichsbahn eine Reihe von Reisezugwagen hergerichtet, die in den Stadtfarben Leipzigs blau und gelb angestrichen wurden und sogar drei E-Loks in diesen Farben angemalt, was dann von den Parteioberen missbilligt wurde und nicht weiter fortgeführt worden ist. Aber dieser S-Bahn-Betrieb war lange Jahre da."
Nach der Wiedervereinigung habe die Firma Piko diesen S-Bahnzug als Modell aufgelegt. "Und da ich als Kind, wenn wir meine Großeltern in der DDR, in Bitterfeld, besuchten, dann wurde ich immer nach Leipzig geschickt mit den Nachbarsjungs, um im Intershop das zu kaufen, was die Großeltern noch brauchten. Das war immer mit einer aufregenden Fahrt nach Leipzig verbunden. Riesenbahnhof, gucken, alles Mögliche, und da war natürlich diese S-Bahn was Interessantes."
Das Modellbahnhobby habe durch die Coronazeit jedenfalls einen gewaltigen Wiederaufschwung erlebt. "Und man hat etwas wiederentdeckt: Es ist etwas Schönes, Kreatives, Sinnliches, es ist eine Abwechslung. Es ist auch anspruchsvoll, und – ich finde – eigentlich eine schöne Bereicherung des Lebens."