Philip Kovce, geboren 1986, Ökonom und Philosoph, forscht am Basler Philosophicum sowie an der Seniorprofessur für Wirtschaft und Philosophie der Universität Witten/Herdecke. Er gehört dem Think Tank 30 des Club of Rome sowie dem Forschungsnetzwerk Neopolis an und gab jüngst für die Insel-Bücherei "Die schönsten deutschen Aphorismen" heraus.
Mit Achtsamkeit besser funktionieren
04:33 Minuten
Meditation und Yoga gelten in diesen Tagen oft als Lösung gegen den Alltagsstress. Die Gefahr besteht, dass wir die Techniken der Selbstsorge doch nur wieder in den Dienst des Funktionierens stellen, meint der Philosoph Philip Kovce.
Wer dieser Tage offenen Auges unterwegs ist, der findet die Hinweise fast überall: Achtsamkeit hier, Meditation da, Yoga dort. Dem dauererschöpften Selbst kommen die unzähligen Entspannungsangebote und Leistungsversprechen der boomenden Bewusstseinsindustrie gerade recht. Es will in der superstressigen Hypermoderne von heute seinen Tausendsassa-Alltag möglichst reibungslos über die Bühne bringen. Dafür will es abschalten und auftanken, um schließlich wieder durchstarten zu können – koste es, was es wolle.
Wartung für die Mensch-Maschine
Abschalten, auftanken, durchstarten: Wer zu dieser Wortwahl greift, der signalisiert bereits, worum es geht. Nämlich gerade nicht darum, wirklich innezuhalten und zu sich zu kommen, sondern darum, eine Maschinenwartung durchzuführen. Der besonders anfällige Leib- und Seelenapparat der Mensch-Maschine soll wieder flottgemacht werden, und dass dies mittels spirituell entkernter Selbsttechniken ganz gut gelinge, wollen inzwischen sogar immer mehr Studien beweisen und Unternehmen ausnutzen.
Doch was genau lässt sich da eigentlich beweisen und ausnutzen, wenn Hirnströme von Meditanden gemessen oder Manager in Achtsamkeitstrainingslager geschickt werden? Nun, bestenfalls kommt dabei heraus, dass Meditation gesund und überdies erfolgreich macht, weil Körper und Geist sich danach besser fühlen und funktionieren – zumindest gemessen an irgendwelchen Hirn- oder Geldströmen. Wenn also beispielsweise der Waffenlobbyist dank Meditation weniger Bauchschmerzen und der Versicherungsvertreter dank Achtsamkeit noch mehr Kunden um den Finger gewickelt hat, dann scheint die gelungene Selbstoptimierung für Wirtschaft und Wissenschaft erwiesene Sache.
Wozu dient denn die Meditation?
So weit, so vermessen. Denn wäre Meditation zwangsläufig ungesund und erfolglos, wenn der Waffenlobbyist infolgedessen noch mehr Bauchschmerzen hätte und seinen Job kündigen würde, um stattdessen Altenpfleger oder Kindergärtner zu werden? Natürlich nicht. Jedenfalls dann nicht, wenn es beim Meditieren nicht bloß ums Funktionieren, sondern ums Inspirieren ginge: Darum, sich nicht bloß zu optimieren, sondern zu positionieren; darum, nicht bloß irgendwelchen fremden Zwecken besser zu dienen, sondern die eigene Sinngebung besser zu beherrschen.
Das heißt freilich nicht, dass man nicht aus freien Stücken gesunder und munterer Waffenlobbyist sein kann, wenn man davon wirklich überzeugt ist. Aber es heißt allemal, dass sich die Wirksamkeit säkularer Exerzitien nur dann beweisen und ausnutzen lässt, wenn man darunter keine freien Taten freier Menschen versteht, sondern bloß einen definierbaren mentalen Input mit kalkulierbarem sozialen Output. Das bedeutet wiederum nichts anderes, als Menschen handlungsunfähigen Reiz-Reaktions-Robotern gleichzusetzen.
Den Geist befreien
Demgegenüber heißt es bereits in Goethes "Maximen und Reflexionen": "Alles, was unsern Geist befreit, ohne uns die Herrschaft über uns selbst zu geben, ist verderblich." Dass sich der Geist jedoch weitaus leichter befreien lässt, wenn er, anstatt sich zu beherrschen, sich selbst aufgibt, ist dabei die Crux. Das Erfolgsgeheimnis zahlloser Selbstoptimierungsangebote besteht dementsprechend darin, dass sie ausgerechnet das Selbst außen vor lassen. Sie gaukeln dem erschöpften Selbst vor, sich von seinen Sorgen und Nöten freikaufen zu können, und fesseln dabei gerade das freie, unerschöpfliche Ich, das sich allein am eigenen Schopf aus dem Sumpf ziehen kann.
Das ist insofern doppelt und dreifach bitter, weil nur das Ich in der Lage ist, wirklich selbstlos zu agieren. Das selbstlose und zugleich selbstbestimmte Ich ist die entscheidende moralische Instanz der Gegenwart. Selbstlosigkeit ist keine Frage der Ich-Tilgung, sondern der Ich-Bildung; der "Ichsamkeit", nicht der Achtsamkeit, wie der Philosoph Salvatore Lavecchia pointiert formuliert. Wenn wir uns also nicht bloß besser fühlen und funktionieren, sondern tatsächlich im guten Sinne gut sein wollen, dann führt auf dem Weg zum Du kein Weg am Ich vorbei.