Bora Cosic: "Die Tutoren“

Außer Rand und Band

Der serbische Schriftsteller Bora Cosic.
Der serbische Schriftsteller Bora Cosic. © imago/gezett
Von Brigitte Döbert |
Bora Cosics Familiensaga "Die Tutoren" ist ein irrsinniger Sprachexzess. Der Klassiker der Moderne ist irrsinnig komisch, irrsinnig anspielungsreich, irrsinnig umfangreich. Ein Opus magnum in jeder Hinsicht - vorgestellt von der Übersetzerin Brigitte Döbert.
Bora Ćosićs Familiensaga "Die Tutoren" ist ein Befreiungsschlag. Der serbische Kultautor ("Die Rolle meiner Familie in der Weltrevolution"), den Slobodan Milošević ins Exil trieb, unterläuft in diesem 800-seitigen Opus magnum die Allmacht der Sprache, indem er fast alle literarischen Mittel, fast alle Gattungen vom Bauernkalender über die Volkssage bis zum Dramolett, fast alle Formen inklusive der Bedienungsanleitung, fast alle Sprachebenen versammelt und, wenn nicht alles täuscht, ein, zwei neue Mischungen dazu erfindet, um dann kräftig umzurühren.
Zitator:
Insgesamt 18 Hefte aus fünf verschiedenen Epochen,
nacheinander zu lesen. Unterweisungen in Religion, Erziehung,
Heilkunde, Handel und Schriftstellerei. Anleitung für das Leben
auf Erden, zu Hause, in der Welt, unter Leuten verschiedenen
Schlages und zwischen Gebildeten. Wer alles und wie dem Mann
beibringt, so aufzutreten, wie der es sagt. Was alles eine Familie
beeinflusst.
Die 18 Hefte in fünf Großkapiteln sind fünf Personen aus fünf Generationen der Familie Uskoković zwischen 1828 und 1977 zugeordnet. Die fünf Personen sind eher Kristallisationspunkte und nicht so sehr handelnde Romanfiguren. Denn bei Ćosić handelt vor allem die Sprache.
Zitator:
Der dornige Weg einer Familie durch Zeit und Ge-
schichte ohne Rücksicht auf alles, etwa das schuldlose Erlöschen
des Familiennamens. Metropolit, harmloser Schüler, reisender
Erzähler, gelehrter Handwerker, Makler und Krämer, Rechte-
inhaber und kluger Schriftsteller, und was Verwandte aus dem-
selben Geschlecht von ihnen quer durch die Zeit lernen können.
Wird es einer überhaupt und wenn ja wie mit all diesen Tutoren
aushalten und warum sollte er?
Bora Ćosić erzählt mit Leidenschaft, mit unzähligen Witzen und Neologismen, mit Anleihen aus Kneipe und Küche und bei James Joyce und der Bibel, wie sehr das Leben von vorgestanzten Formulierungen geprägt wird.
Bora Ćosić: "Faktisch ist jedes Buch ein Befreiungsschlag, mit dem sich ein Schriftsteller von Bedrängnissen freischreibt, die ihn überhaupt erst zum Schreiben bringen. Denn keiner schreibt einfach so ein Buch, nur bleibt der eigentliche Grund unterschwellig, und der Grund, das sind Albträume, Dinge, die dem Autor auf der Seele liegen. Im Fall der Tutoren waren das übermächtige, sperrige, gewaltige Albträume, denn das Buch hat 800 Seiten, was beweist, dass sich damals sehr viel in mir angehäuft hatte und ich eine Menge loswerden musste."
Ganz nebenbei blättert er den geistigen und sozialen Kosmos Südosteuropas über einen Zeitraum von 150 Jahren auf. Lange Zeit wurde "Die Tutoren" gerühmt und wegen der exzessiven Anspielungen, Parodien, Verballhornungen für unübersetzbar gehalten.
Nun hat Brigitte Döbert den kapitalen Roman in zweijähriger Arbeit übertragen und stellt ihn vor. Ein Klassiker der Moderne ist zu entdecken.
Das Manuskript zur Sendung als PDF-Dokument oder im barrierefreien Textformat.
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