Borat für Intellektuelle
In den vergangenen 20 Jahren reiste der Journalist P.J. O'Rourke in fast jede Krisenregion. Sein Motiv dabei aber war nicht das Verfassen von Hintergrundberichten, sondern der Versuch, den Konfliktherd unter touristischen Aspekten unter die Lupe zu nehmen.
"Man hat wahrscheinlich die Vorstellung, dass Belfast genauso aussieht wie auf den Fotos von Belfast, die man immer sieht. Weit gefehlt. Es ist eine liebliche Hafenstadt an einer Bucht, umgeben von sanften Hügeln, weshalb manche so weit gehen, Belfast als "irisches Rio" zu bezeichnen (nicht, dass irgendjemand wirklich ein irisches Mädchen in einem knappen Bikini sehen möchte)."
Ist dies nun misogyn? Weit gefehlt: Es ist lediglich wohltuend menschenfeindlich in dem Sinne, dass der amerikanische Reiseschriftsteller und Satiriker P. J. O´Rourke nun einmal Leute nicht ausstehen kann, die breitbeinig und großmäulig von ihrer jeweils ach so einzigartig tollen Scholle schwärmen und gleichzeitig schmallippig (oder auch volltrunken mit der Bierdose in der Hand) einen unreflektierten Opferstatus als Zukurzgekommene des Universums für sich beanspruchen. Da aber saust das Hackebeilchen nicht etwa der Rhetorik, sondern des Apercus, der Lakonie, des erhellenden Vergleichs, des entlarvenden Zitats. Deshalb finden auch weder IRA-nahe Repubikaner noch pro-britische Unionisten Gnade vor dem Blick des Dumpfbacken-Verächters:
"Tom drosch sozialistische Phrasen. Am Privateigentum schien ihn besonders zu stören, dass Engländer exklusive Angelrechte an irischen Forellengewässern besaßen. Sammy lieferte die kapitalistischen Phrasen. Aber wie Tom fand auch er, dass es eigentlich nichts gebe, weswegen man einen Menschen umbringen sollte, es sei denn, man könne nicht anders. Und wenn man Ire ist, dann kann man nicht anders."
Der Vorwürfe an diese Art Schreiben könnten folgende sein: Mangelnde Differenzierung, elitärer Spott, brachiale Simplizifierung etc. pp. Natürlich wurden sie auch erhoben, weshalb die Klappentext-Kennzeichnung von O´Rourke - in dessen nun erstmals auf Deutsch in Enzensbergers Anderer Bibliothek erschienener Textsammlung "Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen" - ebenso kurz ist wie prägnant: "Liberalenschreck".
In der Tat gilt der 1947 in Toledo (Ohio) geborene ehemalige Außenpolitikchef von Rolling Stone und jetziger Autor des neokonservativen "Weekly Standard" in den entsprechenden Kreisen als reaktionäres Raubein - was allerdings in seinem Fall lediglich bedeutet, sich den Watteverpackern progressiver Provenienz ganz entschieden nicht zuzugesellen.
Da P.J. O´ Rourke nun jedoch weder Peter Handke ist, der allein irgendeiner Gestimmtheit, Empfindung oder Anschauung vertraut, noch ein unbedarfter Spaßvogel, hat er als guter Schriftsteller und Journalisten-Intellektueller selbstverständlich immer auch das As zusätzlicher Fakten im Ärmel.
Freilich droht, je mehr man als Reisender und Leser absurden Erfahrungen von Belfast bis Tirana ausgesetzt wird, die Kurtz-Falle. Hatte der düstere Protagonist von Joseph Conrads "Heart of Darkness" nicht zuallererst auch pädagogische Illusionen gehabt, ehe er im Dschungel dem Nihilismus und der Menschenverachtung anheim fiel - "Schlagt sie tot, die Bestien?" Die zeitgenössische Formel könnte "So fuck them all" lauten, in der Tat ausgiebig benutzt von zynischen Isolationisten und enttäuschten Universalisten, von den Folterern in Abu Ghraib und auch so manchem überforderten israelischen Soldaten an den Checkpoints zur West-Bank.
Zum Glück gleicht O´Rourke jedoch eher Kurtz´ Gegenspieler Marlow – genau beobachtend, distanziert, humorvoll. Mit etwas Verwegenheit könnte man sogar sagen: Er ist ein Borat für Intellektuelle, der seine wohlüberlegten Kalauer jedoch nicht hinausposaunt, sondern niederschreibt. So heißt es bei ihm über den libanesischen Bürgerkrieg der achtziger Jahre:
"Am Ende der Straße waren die sunnitische Mourabitoun-Miliz und die schiitische Amal-Miliz im Begriff, gewisse Meinungsverschiedenheiten zu klären – es ging um den alten Streit zwischen Sunniten und Schiiten, ob Mohammeds Onkel Abbas oder Mohammeds Schwiegersohn Ali der rechtmäßige Nachfolger des Propheten sei, und außerdem um die Frage, wer die Einnahmen aus den Spielhöllen im Süden der Stadt bekommt... Alle Leute hier sind sehr beschäftigt, wenn auch nicht unbedingt mit Arbeit."
Rezensiert von Marko Martin
P.J. O'Rourke: Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen
Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
Die Andere Bibliothek bei Eichborn, Frankfurt a.M. 2006
320 Seiten, 28, 50 Euro
Ist dies nun misogyn? Weit gefehlt: Es ist lediglich wohltuend menschenfeindlich in dem Sinne, dass der amerikanische Reiseschriftsteller und Satiriker P. J. O´Rourke nun einmal Leute nicht ausstehen kann, die breitbeinig und großmäulig von ihrer jeweils ach so einzigartig tollen Scholle schwärmen und gleichzeitig schmallippig (oder auch volltrunken mit der Bierdose in der Hand) einen unreflektierten Opferstatus als Zukurzgekommene des Universums für sich beanspruchen. Da aber saust das Hackebeilchen nicht etwa der Rhetorik, sondern des Apercus, der Lakonie, des erhellenden Vergleichs, des entlarvenden Zitats. Deshalb finden auch weder IRA-nahe Repubikaner noch pro-britische Unionisten Gnade vor dem Blick des Dumpfbacken-Verächters:
"Tom drosch sozialistische Phrasen. Am Privateigentum schien ihn besonders zu stören, dass Engländer exklusive Angelrechte an irischen Forellengewässern besaßen. Sammy lieferte die kapitalistischen Phrasen. Aber wie Tom fand auch er, dass es eigentlich nichts gebe, weswegen man einen Menschen umbringen sollte, es sei denn, man könne nicht anders. Und wenn man Ire ist, dann kann man nicht anders."
Der Vorwürfe an diese Art Schreiben könnten folgende sein: Mangelnde Differenzierung, elitärer Spott, brachiale Simplizifierung etc. pp. Natürlich wurden sie auch erhoben, weshalb die Klappentext-Kennzeichnung von O´Rourke - in dessen nun erstmals auf Deutsch in Enzensbergers Anderer Bibliothek erschienener Textsammlung "Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen" - ebenso kurz ist wie prägnant: "Liberalenschreck".
In der Tat gilt der 1947 in Toledo (Ohio) geborene ehemalige Außenpolitikchef von Rolling Stone und jetziger Autor des neokonservativen "Weekly Standard" in den entsprechenden Kreisen als reaktionäres Raubein - was allerdings in seinem Fall lediglich bedeutet, sich den Watteverpackern progressiver Provenienz ganz entschieden nicht zuzugesellen.
Da P.J. O´ Rourke nun jedoch weder Peter Handke ist, der allein irgendeiner Gestimmtheit, Empfindung oder Anschauung vertraut, noch ein unbedarfter Spaßvogel, hat er als guter Schriftsteller und Journalisten-Intellektueller selbstverständlich immer auch das As zusätzlicher Fakten im Ärmel.
Freilich droht, je mehr man als Reisender und Leser absurden Erfahrungen von Belfast bis Tirana ausgesetzt wird, die Kurtz-Falle. Hatte der düstere Protagonist von Joseph Conrads "Heart of Darkness" nicht zuallererst auch pädagogische Illusionen gehabt, ehe er im Dschungel dem Nihilismus und der Menschenverachtung anheim fiel - "Schlagt sie tot, die Bestien?" Die zeitgenössische Formel könnte "So fuck them all" lauten, in der Tat ausgiebig benutzt von zynischen Isolationisten und enttäuschten Universalisten, von den Folterern in Abu Ghraib und auch so manchem überforderten israelischen Soldaten an den Checkpoints zur West-Bank.
Zum Glück gleicht O´Rourke jedoch eher Kurtz´ Gegenspieler Marlow – genau beobachtend, distanziert, humorvoll. Mit etwas Verwegenheit könnte man sogar sagen: Er ist ein Borat für Intellektuelle, der seine wohlüberlegten Kalauer jedoch nicht hinausposaunt, sondern niederschreibt. So heißt es bei ihm über den libanesischen Bürgerkrieg der achtziger Jahre:
"Am Ende der Straße waren die sunnitische Mourabitoun-Miliz und die schiitische Amal-Miliz im Begriff, gewisse Meinungsverschiedenheiten zu klären – es ging um den alten Streit zwischen Sunniten und Schiiten, ob Mohammeds Onkel Abbas oder Mohammeds Schwiegersohn Ali der rechtmäßige Nachfolger des Propheten sei, und außerdem um die Frage, wer die Einnahmen aus den Spielhöllen im Süden der Stadt bekommt... Alle Leute hier sind sehr beschäftigt, wenn auch nicht unbedingt mit Arbeit."
Rezensiert von Marko Martin
P.J. O'Rourke: Reisen in die Hölle und andere Urlaubsschnäppchen
Aus dem Englischen von Reinhard Kaiser
Die Andere Bibliothek bei Eichborn, Frankfurt a.M. 2006
320 Seiten, 28, 50 Euro