Der tiefe Fall von Boris Becker

Warum Spitzensportler nach der Karriere oft scheitern

08:12 Minuten
Boris Becker halb kniend, halb liegend auf dem Rasen-Court von Wimbledon. Er blickt dabei direkt auf den Schlägerkopf.
Aufstieg und Fall: Boris Becker in Wimbledon 1989. © imago / Stockhoff
Valentin Markser im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 29.04.2022
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Vor Gericht statt auf dem Podest: Das frühere Tennis-Idol Boris Becker kommt mit dem Leben nach dem Sport offenbar schlecht klar. Kein Einzelfall, sagt der Sportpsychiater Valentin Markser. Das liege auch an einem frühen Karrierestart.
Es ist ein Absturz, der sich vor den Augen der Weltöffentlichkeit abspielt, wie vieles, was Boris Becker betrifft: Dem früheren Tennisstar könnten mehrere Jahre Haft bevorstehen. In seinem Insolvenzverfahren in London hat er Teile seines Vermögens verschleiert. Von einer Jury wurde er bereits in vier Anklagepunkten schuldig gesprochen.
Wenig überraschend findet diesen Fall der Sportpsychiater Valentin Markser. "Wir wissen schon länger im Leistungssport, dass nicht nur Krisen und Niederlagen riesige Belastungen darstellen, sondern auch überraschende Erfolge", sagt er.

Der Gewinn von Wimbledon 1985 war der Bruch

Im Fall von Becker trifft das nach Marksers Meinung auf den Gewinn des Wimbledon-Turniers 1985 zu. Der Spieler war damals 17 Jahre alt und wurde schlagartig weltberühmt. Becker habe diesen Sieg selbst als eine Art zweiten Geburtstag dargestellt, so der Experte: "Das zeigt auch deutlich, welcher Bruch da passiert ist."
Boris Becker hält einen goldenen Pokal über dem Kopf
Der "zweite Geburtstag": Boris Becker mit dem Siegerpokal nach dem Wimbledon-Finale 1985 © imago / Kosecki
Ein gravierendes Problem aus Sicht des Sportpsychiaters: Junge Athleten würden immer früher mit intensivem Training beginnen. Wenn sie "Pech" und "sehr großes Talent" hätten, dann erreichten sie Erfolge in einem Alter, in dem ihre psychosoziale Entwicklung mit ihren körperlichen Fähigkeiten nicht Schritt halten könne. Als Weltmeister oder Olympiasieger müssten sie dann plötzlich zu "weltpolitischen Dingen" Stellung nehmen.

Leben in einer Parallelwelt

Dazu komme, dass der Leistungssport die Athleten auch daran hindere, notwendige Erfahrungen zu machen, um im "normalen Leben nach dem Sport" zurechtzukommen. Es gehe um "unglaublich viel Geld", betont Markser. Alle Rechnungen würden bezahlt; den Spitzensportlern werde alles abgenommen. "Es ist natürlich ein super Gefühl, so omnipotent zu sein, überall bekannt zu werden", gibt er zu bedenken.
Erfolgreiche junge Athleten würden von Beratern und Vereinen abgeschirmt und lebten in einer Art Parallelwelt. "Sie konzentrieren sich letzten Endes nur auf diesen Sport ." Das schwäche ihre Fähigkeit, Krisensituationen zu bewältigen und für sich zu sorgen.

Zwei Pfarrer, aber keinen Sportpsychiater bei Olympia

Es werde zu wenig dafür getan, dieses Problem zu lösen, kritisiert Markser, der auch den Fußballer Robert Enke vor dessen Suizid betreute. Erst in den "letzten Jahrzehnten" habe man diesen Bereich "ein Stück weit" entdeckt. "Wir brauchen sehr viel Aufklärung, damit wir überhaupt begreifen, dass es zum Beispiel psychische Störungen im Leistungssport genauso gibt wie in der Allgemeinbevölkerung."
Und auch Prävention hält Markser für sehr wichtig. "Wir haben jetzt noch immer zwei Priester, Pfarrer, die die Olympiamannschaft bei der Olympiade begleiten. Aber keinen einzigen Sportpsychiater im 21. Jahrhundert."
(bth)

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