Boris Golzio: "Die Geschichte von Francine R."

Das Grauen faktengetreu in einer Graphic Novel

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Buchcover von Boris Golzio: "Die Geschichte von Francine R.. Widerstand und Deportation April 1944 – Juli 1945"
Im Comic "Die Geschichte von Francine R.." erzählt Boris Golzio vom Grauen und vom Alltag in den Konzentrationslagern der Nazis. © Avant-Verlag/Deutschlandradio
Von Silke Merten |
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Zwischen Empathie und historischer Genauigkeit: Boris Golzio wagt mit seinem Comic über Francines Leiden in deutschen KZs eine Art Balanceakt. Sehr klar geben die Zeichnungen des Franzosen das Grauen und den Alltag in den Lagern wieder.
Zeitzeugenberichte von KZ-Überlebenden sind inzwischen auch im Medium Comic geläufig. Und, wie in der Literatur und im Sachbuch, stellt sich für Zeichnerinnen und Zeichner die Frage: Wie lässt sich angemessen das Grauen des Lageralltags darstellen?
Der französische Comiczeichner Boris Golzio hat eine ganz eigene Antwort gefunden. In "Die Geschichte von Francine R." hat er die KZ-Erfahrungen einer Verwandten festgehalten, die wegen ihrer Arbeit für die Résistance nach Ravensbrück deportiert wurde.
Als Boris Golzio Ende der 90er-Jahre Francine R. kennenlernt, ist sie hochbetagt, aber noch immer aktiv in der politischen Bildung. Vor Schulklassen spricht sie über ihre Zeit bei der Résistance, dem Widerstand gegen die deutsche Besatzung im Zweiten Weltkrieg. Dass sie verraten wurde, ein Jahr lang Häftling und Zwangsarbeiterin in deutschen KZs war, lässt Boris Golzio nicht mehr los.

Momentaufnahmen in verwaschenem Graubraun

Er will ihre Erinnerungen für die Nachwelt bewahren, in seinem Medium, dem Comic. Und so hält er alles mit dem Stift in Bildern fest, von den Orten seiner Begegnungen mit Francine bis zu den Stationen ihrer Haftzeit in Deutschland: Momentaufnahmen in verwaschenem Graubraun wie in einem gezeichneten Fotoalbum.
"Es ist ein Zeitzeugenbericht. Und meine Arbeit war, diesem Bericht eine Form zu geben. Was bedeutet, dass ich nichts hinzufügen durfte. Darum sind die Texte im Buch auch Originalzitate von Francine, gesprochene Sprache, die anders klingt als die Schriftsprache eines Autors. Nur das, was in Weiß auf Schwarz gedruckt ist, sind Informationen, die ich eingefügt habe. Aber ich habe nichts hinzugefügt, das nicht in ihrem Bericht war. Ich wollte so nah wie möglich an ihren Originalaussagen bleiben."

Eine strikte Chronik der Ereignisse

Weshalb er sich strikt an die Chronik der Ereignisse von 1944 bis 1945 hält: Wir folgen Francine von ihrer Verhaftung und den Verhören in Roanne über den Zugtransport nach Ravensbrück, später ins Zwangsarbeiterlager Watenstedt-Leinde bei Salzgitter.
Wir sehen sie auf dem Appellplatz, in den Schlafbaracken des Lagers und bei der Arbeit am Krematorium – begleitet von Francines nüchternem Bericht und Ergänzungen von Boris Golzio.
"Dann gab man uns unsere Häftlingsnummer, die wir aufnähten. Anschließend blieben wir 40 Tage lang in Quarantäne, ohne jede Beschäftigung. Die hatten Angst, dass wir irgendwelche Krankheiten einschleppen", zitiert Boris Golzio Francine.

Tote aufräumen – das war Alltag

Die Quarantäne hatte auch finanzielle Gründe. Indem die Nazis Krankheits- und Todesfälle gering hielten, sicherten sie ihren Gewinn, den sie durch das Ausleihen der Häftlinge an Unternehmen erzielten.
"Danach mussten wir ein wenig arbeiten. Ich habe vor meinem Abtransport nach Watenstedt etwa zwei Wochen damit verbracht, Toten die Kleidung auszuziehen, damit Neuankömmlinge sie wieder anziehen konnten."
Erträglich bleiben solche Passagen, weil Boris Golzio in den Bildern Abstand zum Geschehen hält: Statt Francine aus nächster Nähe sehen wir eine Gruppe Häftlinge, die die Toten abtransportieren. Im Bild darunter weitet sich der Blick auf den Platz vor der Gaskammer, daneben Baracken, SS-Wachleute und Lkw.
Im untersten Bild schließlich: das rauchende Krematorium und das KZ Ravensbrück aus der Vogelperspektive. Hier wird verständlich: Tote aufräumen – das war Alltag im Lager.

Gefangen zwischen Lager und Werkbank

Überhaupt helfen die Bilder von Rüstungsfabriken und die KZ-Pläne, die Boris Golzio immer wieder einfügt, sich klar zu machen, dass Menschen zu Material in einer Ausbeutungsmaschinerie wurden. Mittendrin: Francine, im Juli ‚44 verlegt nach Watenstedt-Leinde, gefangen zwischen Lager und Werkbank.
"In den Hermann-Göring-Werken arbeitete ich also eine Woche lang zwölf Stunden am Tag und die Woche danach zehn bis zwölf Stunden in der Nacht. Wir wussten nie, welcher Tag oder wie spät es war. Wir wussten gar nichts. Wir schufteten wie die Tiere. Und das auch bei Schmerzen oder 40 Grad Fieber."
Solche Aussagen, erzählt Boris Golzio, brachten Francine in Frankreich Kopfschütteln ein – man hatte unter den Deutschen gelitten und im Land der Besatzer sollte es schlimmer sein als zu Hause? Sie übertrieb doch! Auch darum hat er jede ihrer Aussagen nachgeprüft.
"Ich bin kein Historiker und nicht daran gewöhnt, in Archiven zu arbeiten", sagt Boris Golzio, "aber mit der Zeit ging es. Ich war im Nationalarchiv und in den Archiven der Départements, sogar im Militärarchiv, selbst dort habe ich Francines Spuren gefunden. Natürlich bin ich auch nach Deutschland gereist, nach Ravensbrück und Salzgitter. Überall haben mir großartige Menschen bei der Arbeit geholfen. Und jetzt kann ich sagen: Alles, worüber Francine berichtet, ist wahr."

Francines Bericht eingeordnet von Golzios Recherchen

Seine Recherchen ergänzen Francines Aussagen, ordnen Personen und Daten ein, korrigieren, wenn nötig, ihre Erinnerung. In seinen Bildern nach ihrem Rücktransport nach Ravensbrück ist sie nur noch Haut und Knochen. Bei ihrer Befreiung wiegt sie 33 Kilo.
Doch Boris Golzios Zeichnungen vermeiden Betroffenheit oder gar Rührseligkeit, weil er den Stift so sparsam wie möglich einsetzt. Sogar die Gesichter reduziert er auf ein simples Punk-Punkt-Komma-Strich.
Und Farbe zu verwenden, stand für ihn außer Frage: "Erst wollten wir das Buch grau halten – zu kalt. Da habe ich eine Mischfarbe entwickelt, im Französischen heißt sie ‚bistre‘ – sie liegt zwischen Grau und Braun. Sie trifft den Ton der Geschichte, das, was im Dazwischen liegt."
Dieses Dazwischen trifft auch Boris Golzio mit seiner Bildererzählung "Die Geschichte von Francine R." – in der Balance von Empathie und historischer Genauigkeit, in den Nuancen von Grauen und Alltag im Konzentrationslager.

Boris Golzio: "Die Geschichte von Francine R.. Widerstand und Deportation April 1944 – Juli 1945"
Aus dem Französischen übersetzt von Barbara Hahn, Katja Fröhlich, Carsten Hinz
avant-Verlag, Berlin 2021, 24 Euro

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