Zerstören, zocken, Zwietracht säen
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Boris Johnson ist nach Trump, Bolsonaro und Salvini der nächste Unberechenbare in der Weltpolitik. Wir haben den Historiker Bernd Greiner gefragt: Was macht diesen Typus aus und welche Rolle spielt die politische Persönlichkeit in der Politik?
von Billerbeck: Die Reihe der Unberechenbaren in der Weltpolitik hat einen Neuzugang – seit gestern: Boris Johnson nämlich, der neue Chef der Konservativen, der neue britische Premier, neben Trump, Bolsonaro, Salvini, um nur einige aufzuzählen. Interessanterweise alles Männer, und deshalb interessiert uns, welche Rolle spielt sie, die politische Persönlichkeit und ihr Beziehungsgeflecht in den großen Herausforderungen der aktuellen Politik. Wir wollen darüber reden mit dem Historiker und Politikwissenschaftler Bernd Greiner. Er ist Gründungsdirektor am Kolleg Kalter Krieg in Berlin, hat Bücher unter anderem über die Kubakrise geschrieben und sitzt derzeit an einem Buch über Henry Kissinger.
Täuscht der Eindruck oder haben Johnson und Trump einige Ähnlichkeiten?
Greiner: Schon beim ersten Anschauen wird man zumindest drei Gemeinsamkeiten feststellen müssen: Sie haben keinen Plan für ein Neues, sie wissen nicht, was sie an die Stelle des Alten setzen wollen, sondern sie wollen das Alte nur zerstören. Das ist das eine. Zweitens, entgegen ihren landläufigen Behauptungen haben sie nicht die leiseste Ahnung von Ökonomie, von Wirtschaft. Und drittens bedienen sie Ressentiments: Gesellschaften spalten, nicht zusammenführen, sie bauen ihre Politik auf der Ablehnung, auf der Ausgrenzung von Minoritäten auf, und sie sind im Großen und Ganzen eigentlich Zocker. Mit Blick auf diese Personen versagen alle Instrumente, alle Kategorien, die wir normalerweise zur politischen Analyse aufbieten können. Wir tun gut daran, uns mit der Vorstellung anzufreunden, dass das Politiker sind, die wie Zocker alles mal auf eine Karte setzen, einfach mal schauen, was passiert, und wenn es schiefgeht, ist es ihnen auch egal, dann beginnt eben ein neues Spiel. Das macht sie so unberechenbar, und dass dieser Klub mittlerweile mehrere Mitglieder hat, macht die Sache nicht besser.
von Billerbeck: Wie schätzen Sie deren Beziehung ein? Donald Trump und Boris Johnson, sind das beste Freunde oder zwei Alphatiere, die keinen neben sich dulden?
Greiner: Zum Wesen des Zockers gehört ja, dass sich das alles rasend schnell ändern kann. Es genügen oft Kleinigkeiten – denken Sie an Trumps Beziehungen zu Kim in Nordkorea. Das kann sich von einem Tag auf den anderen ändern, da würde ich nicht irgendwelche Prognosen wagen, sondern, um im Bild des Zockers zu bleiben, eher mich mit der Vorstellung anfreunden wollen, dass sich das quasi über Nacht ins Gegenteil verkehren kann, was jetzt als große Freundschaft und Beginn einer großartigen Beziehung gepriesen wird.
Kein Interesse an Vertrauen
von Billerbeck: Welchen Stellenwert haben eigentlich diese privaten, direkten Kontakte von Weltpolitikern oder von Politikern, die Weltpolitik machen, für das Weltgeschehen?
Greiner: Es wird ja oft behauptet von Politikwissenschaftlern, auch von Historikern, dass die Strukturen das Entscheidende wären, um Politik zu erklären. Ich will jetzt nicht behaupten, dass Strukturen überhaupt keine Bedeutung haben, im Gegenteil, aber man darf darüber nicht vergessen, dass eine der wichtigsten Währungen internationaler Politik Vertrauen ist, wenn Sie daran interessiert sind, à la longue stabile Verhältnisse aufbauen zu wollen. Und wenn Vertrauen ruiniert wird, eine zutiefst in der Personalkategorie, also die davon abhängt, wie der gegenüber reagiert, wie verlässlich er ist, wenn das ruiniert wird, dann haben wir ein Problem. Und die besagten Charaktere sind nicht dazu angetan, auch nur im Mindesten dieses Vertrauen zu mehren. Jahrzehnte hat man in der Außenpolitik auf die Stabilität von Vertrauen gesetzt. Denken Sie an die Entspannungspolitik, denken Sie an Politiker Willy Brandt oder Hans-Dietrich Genscher, die genau dieses Kapital gemehrt haben. Das hängt in hohem Maße von den persönlichen Eigenschaften, von dem Inventar, auch von dem emotionalen Inventar derer ab, die diese Politik machen, und da ist im Moment ein Personal am Ruder, das nicht die mindesten Voraussetzungen für Vertrauensbildung mitbringt. Das ist das Problem.
von Billerbeck: Sie beschreiben da ja schon, dass so eine Fähigkeit, wie Risiken abzuschätzen, offenbar in ihnen so gar nicht angelegt ist und dass das für uns alle in der Welt sehr gefährlich werden könnte. Warum aber kommen solche Personen, die solche Fähigkeiten eben nicht besitzen, gerade jetzt an die Macht?
Greiner: Da sind wir dann wieder bei den Strukturen. Im Grunde genommen können wir seit dem 19. Jahrhundert schon beobachten, dass in Übergangszeiten, in historischen Umbruchphasen, wo das Alte nicht mehr gilt und etwas Neues sich noch nicht herauskristallisiert hat, dass das genau der historische Moment ist, in dem solche Zocker mit ihren großmäuligen Versprechungen Anklang finden können, weil sie suggerieren, sie hätten eine Antwort, und weil sie quasi eine Selbstsicherheit vermitteln, die sie nicht haben. Für einen historischen Moment kann das attraktiv sein, und es ist attraktiv, wie wir beobachten – es passiert in den USA, Großbritannien, Italien oder Ungarn. Wir beobachten das schon nach dem Ersten Weltkrieg, es gibt viele andere historische Situationen, wo in solchen Übergangsphasen genau die Versuchung groß ist für Charaktere diesen Typs, auf die Bühne zu treten, und gleichzeitig die Versuchung bei ihrem Publikum, ihnen Glauben zu schenken. Das wird sich irgendwann verbrauchen, aber im Moment ist es eben noch so.
Die Gefahr der Selbstüberschätzung
von Billerbeck: Sie sind ja auch Experte für die Zeit der Kubakrise und Fachmann für den Kalten Krieg. Wenn Sie diese Zeiten vergleichen, damals gab es auch eine große Angst vor einem neuen Krieg, ist diese Gefahr jetzt ebenso groß oder vielleicht sogar größer, weil wir so viele solche irrational agierenden Politiker haben?
Greiner: Es gibt zumindest eine Gemeinsamkeit mit Blick auf das politische Personal, und das ist die maßlose Selbstüberschätzung. Das hatten wir teilweise auch bei John F. Kennedy, teilweise auch bei Chruschtschow in der Kubakrise. Eine Selbstüberschätzung, die dazu führt, dass man auf der anderen Seite die Risiken des eingeschlagenen Kurses minimiert oder sich gegenüber blind und taub stellt. Es ist in der Kubakrise noch mal gut gegangen, weil am Ende zumindest einer dieser Akteure – Chruschtschow – gesagt hat, genug ist genug, ich trete jetzt auf die Bremse, aber das Entscheidende ist eben diese Selbstüberschätzung und der Glaube, das Selbstbild, alles im Griff zu haben und nicht zugestehen zu wollen, dass es Dinge auf dieser Welt gibt, die sich dem persönlichen Zugriff entziehen. Keine Demut zu haben, keine Risikoabschätzung vornehmen zu wollen, das ist das eigentliche Gefahrenmoment, weil dann Entwicklungen auf den Weg gebracht werden können, die quasi eine Eigendynamik entfalten und hinter dem Rücken der Akteure sich gefährlich zuspitzen.
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