Boris Pasternak – Marina Zwetajewa: "Briefwechsel 1922-1936"
Herausgegeben und übersetzt von Marie-Luise Bott
Wallstein Verlag, Göttingen 2021
802 Seiten, 39,90 Euro
Liebesbriefe in schwierigen Zeiten
06:14 Minuten
Briefe sind für die Lyrikerin Marina Zwetajewa Kassiber des Glücks im schwierigen Alltag. Sie steht mit vielen Dichtern im schriftlichen Verkehr. Mit Boris Pasternak tauscht sie sich während der langen Jahre im Exil aus.
Ihre liebste Form des Umgangs sei der Traum, hat Marina Zwetajewa einmal notiert. "Und die zweitliebste – der Briefwechsel." Traum und Brief ermöglichten ihr eine andere Art von Wahrnehmung, fluider, ganzheitlicher. Und beide ließen sich nicht durch den Willen herbeiführen, sondern gehorchten ihren eigenen Rhythmen.
So wundert es nicht, dass Zwetajewa immer wieder Briefwechsel mit anderen Dichterinnen und Dichtern führte, mit Rilke etwa oder mit Anna Tesková. Vor allem aber mit Boris Pasternak.
Glücksspender Brief
Fast 15 Jahre lang wanderten Briefe zwischen diesen beiden Großen der russischen Literatur hin und her. Dabei nahmen die Umschläge und mitgeschickten Bücher nur selten den offiziellen Postweg, sondern wurden Bekannten mit auf die Reise gegeben, um die Zensur zu umgehen und politisch keine Aufmerksamkeit zu erregen.
Zwetajewa kam aus einer angesehenen Moskauer Gelehrten- und Künstlerfamilie. 1912 heiratete sie den Offizierskadetten Sergej Efron, der sich ein paar Jahre später der antibolschewistischen "Weißen Armee" anschloss und bis über das Ende des Bürgerkriegs hinaus verschollen blieb.
Unter der Moskauer Hungersnot hatte die Familie sehr zu leiden. 1922 ging Zwetajewa mit ihrer Tochter ins Exil, erst nach Berlin und Prag, dann für lange Zeit nach Paris.
Pasternak schrieb ihr im selben Jahr von Moskau aus einen ersten Brief. Seine anfängliche Begeisterung für die Revolution und den Kommunismus hatte sich da schon abgekühlt. Zensur und Sanktionen des Regimes setzten ihm arg zu.
"Mein Leben ist sehr schwer und es gibt Zeiten, in denen ich vollständig in Verzweiflung gerate", teilte er Zwetajewa Mitte 1925 mit. So ermöglichten die Briefe den beiden nicht nur eine ganz eigene Art von Austausch über Leben und Schreiben, sondern waren auch Fluchtpunkte im schwierigen Alltag, die momenthaft Glück schenken konnten.
Wiederherstellung des verlorenen Sinns
Liebesglück vor allem. Pasternak spielt von Beginn an die Rolle des Bewunderers – der Gedichte und ihrer Autorin gleichermaßen. Er nennt Zwetajewa "goldene Freundin" oder "meine morgendliche rauchende Seele". Die so Angesprochene antwortet anfangs eher sachlich und kurz, spart auch nicht mit Kritik an Pasternaks Texten.
Pasternaks Briefe sind nicht selten lang und auch langatmig, theoretisch überspannt und voller philosophischer Spekulationen. Zwetajewa hingegen beschränkt sich oft auf die Beschreibung ihres harten Lebensalltags und kommt zwischendrin nicht nur zu klugen Gedanken über die Liebe, sondern auch über das Wesen ihrer Gedichte: "Wiederherstellen des verlorenen ursprünglichen Sinns durch Gegenüberstellung mit scheinbar zufällig Gleichklingendem."
Älter als die Liebe
Das alles kann man jetzt in einer schön gemachten und gelungen übersetzten Buchausgabe der Briefe nachlesen. Marie-Luise Bott hat auch die Vorstufen der Briefe aus Zwetajewas Arbeitsheften aufgenommen.
Endlich kann man nachverfolgen, wie sich manche Ideen entwickeln oder verändern – so, wie sich Zwetajewas Verhältnis zu Pasternak verändert. Als er sich für die Sowjetunion ausspricht, wendet sie sich von ihm ab. Trotzdem versucht er, sie weiterhin zu unterstützen. "Nach Russland werde ich nie mehr zurückkehren", schreibt sie 1926.
Es sollte anders kommen. 1939 ist die Familie wieder in der Sowjetunion. Ihr Mann wird verhaftet, die Tochter muss ins Arbeitslager. "Doch in der Brust steckt mir und frisst / Der Schmerz, der älter als die Liebe ist", heißt es in einem Vers aus dieser Zeit. Eineinhalb Jahre später wird Zwetajewa ihr Leben beenden.