Borja González: "The Black Holes"

Bedrückend schöne Suche nach dem Sinn des Lebens

06:18 Minuten
Buchcover zu Borja González: "The Black Holes"
Ein flirrendes Gewebe aus Anspielungen auf das viktorianische Zeitalter und die jüngere Popkultur: der Comic "The Black Hole" von Borja González. © Carlsen
Von Frank Meyer |
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Zwei junge Frauen. Zwei Leben. Die eine Pop-Sängerin, die andere eine junge Dame aus besserem Hause. Es trennt sie ein Jahrhundert. Und doch eint sie die Suche nach ihrem Platz in der Gesellschaft. Eine anarchische Graphic Novel erzählt davon.
Eine junge Frau hört ein Geräusch, ein Weinen, als sie allein durch einen wuchernden Wald voller elegant geschwungener Bäume wandert. In diesem Wald glimmen Laub und Schmetterlinge wie matte Sterne, fahlgrüne Schlingpflanzen ranken zärtlich um die Stämme, im Hintergrund steht ein düsterroter Horizont. Als die Frau an die Quelle der Geräusche kommt, steht sie überrascht vor einem schniefenden Skelett.

Fließende Übergänge zwischen den Jahrhunderten

Das ist das erste von vielen Rätseln, die der spanische Comickünstler Borja González in sein Buch eingebaut hat. Nach der Begegnung mit dem nicht nur weinenden, sondern auch erstaunlich gesprächigen Skelett folgt das nächste: Steht man eben noch in dem verschlungenen Wald, den ein Jugendstilmaler stilisiert haben könnte, findet man sich plötzlich zwischen den geraden Kanten einer modernen Vorortsiedlung wieder - ein fließender Übergang aus dem Jahr 1856 in die Gegenwart von 2016.
González verwebt die beiden Zeiten, als ob sie nur ein dünner Vorhang trennt. In der Gegenwart haben drei Teenager gerade die Punkband "The Black Holes" gegründet. Eine von ihnen, Laura, liest begeistert die Bücher von Stephen Hawking. Sie versucht seine Theorien in ihre Songtexte einzubauen, was krachend misslingt, aber immerhin heißt die Band wie eins der großen Themen des Schwarze-Löcher-Erforschers. In den Songtexten gibt es aber auch andere Elemente, Zeilen und Ausdrücke, die in eine ferne Epoche verweisen, die eine Zeitreise anstoßen in die Mitte des 19. Jahrhunderts.

Was können, was dürfen Mädchen?

Im Jahr 1856 lebt die 16-jährige Teresa als ungewöhnliche junge Frau. Sie ist dem Skelett im Wald begegnet oder hat diese Begegnung erfunden, so wie sie ständig Geschichten von Monstern, Wiedergängern und Vampiren erfindet. Ihre Mutter platzt vor Wut, wenn Teresa ihr solche Schauergeschichten auftischt, zumal sie die Tochter gerade zur jungen Dame disziplinieren will, ihre "feierliche Einführung" in die Gesellschaft steht kurz bevor. Teresas wilde Fantasie beschert ihr andauernden Hausarrest.
Die ganz unterschiedlichen Möglichkeiten junger Frauen in der Mitte des 19. und im 21. Jahrhundert sind eines der Themen in dieser Graphic Novel. Borja González hat sie nicht als lineare Erzählung angelegt, sondern wie ein Lied oder ein Gedicht, das schreibt der bekannte Comic-Autor Juan Díaz Canales in seinem Vorwort zu "The Black Holes".

Bedrückend schöne Machart

Das Buch ist selbst ein flirrendes Gewebe aus Anspielungen, mit Plakaten von Bands und Filmen, mit Zitaten und Masken aus dem viktorianischen Zeitalter und der jüngeren Popkultur. Dieses ganz freie, anarchische Erzählen wirbelt einen nur so hinein in den Black-Hole-Kosmos, in Borja González‘ Bilder mit ihrer berückenden Schönheit. Sie bleiben oft rätselhaft, vor allem durch eine Idee: Alle jungen Frauen haben weder Gesichter noch Hände. Was sie denken, was sie fühlen, das muss die eigene Fantasie erfinden.

Borja González, "The Black Holes"
Aus dem Spanischen von André Höchemer
Carlsen, Hamburg 2019
128 Seiten, 22 Euro

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