Filmwissenschaftlerin Gaković über Kriegsfolgen
Ukrainische Zivilisten fliehen aus dem zerstörten Irpin. © picture alliance / dpa / NurPhoto / Andrea Filigheddu
„Das Trauma vererbt sich“
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Eine Berliner Filmreihe widmet sich den Traumata, die der Jugoslawien-Krieg hinterließ. Mit dem Angriff Russlands auf die Ukraine wirkt das nun bedrückend aktuell. Kuratorin Borjana Gaković weiß, was der Krieg für die Seelen der Ukrainer bedeutet.
Rund 30 Jahre nach Beginn des Jugoslawienkriegs 1991 zeigt der Berliner Kulturverein bi’bak die Filmreihe „Materialität der Erinnerungen“. Was niemand ahnen konnte: Die Reihe sollte genau an dem Tag eröffnen, als Russland die Ukraine angriff.
Borjana Gaković, eine der beiden Kuratorinnen, hat den Krieg in Bosnien-Herzegowina erlebt. Zu erfahren, was am Eröffnungstag in der Ukraine geschah, „war schrecklich“, betont sie
Die Menschen sind „extrem traumatisiert“
Es schmerze sie die Vorstellung, dass nun in der Ukraine so viele traumatische Erfahrungen produziert worden seien, so Gaković. Die Ukrainer, die aus ihren Häusern vertrieben und ausgebombt würden, seien „extrem traumatisiert“. Sie würden die nächsten 30 oder 50 Jahre brauchen, um darüber hinwegzukommen. „Sie werden wahrscheinlich nie darüber hinwegkommen.“
Ein Geheimnis, über das nicht geredet wird
Gaković weiß, dass diese Traumata nicht nur die unmittelbare betroffene Generation belasten: „Das Trauma vererbt sich leider“, sagt sie. Vieles werde zu Hause nicht ausgesprochen, werde verschleppt und verschwiegen. Menschen würden damit aufwachsen, „dass es ein Geheimnis gibt, über das nicht geredet wird. Und auch das hinterlässt Spuren.“
Mit Blick auf den Krieg in Ex-Jugoslawien sagt Gaković, sie hoffe, dass sich das Desaster in der Ukraine nicht wiederhole. „Wir haben es ja im Jugoslawienkrieg mit Massenvernichtung, mit Genozid zu tun gehabt. Da kann ich wirklich nur hoffen, dass das in der Ukraine nicht passiert.“
Ukraine-Krieg befeuert Konflikte in Ex-Jugoslawien
Der Ukraine-Krieg hat weitreichende Wirkungen auch für Ex-Jugoslawien, glaubt Gaković. Er sei destabilisierend für die ex-jugoslawischen Staaten. Die alten Konflikte würden durch ihn noch einmal befeuert. „Die einen unterstützen Putin, die anderen unterstützen die Ukraine.“ Dadurch würden die alten Konflikte wieder lebendig.
Essayistische Filme und Mainstream-Kino
Mit ihrer Filmreihe versucht Gaković, sehr verschiedene Perspektiven „miteinander Gespräch zu bringen“ – darunter etwa jene von Menschen, die den Krieg erlebt haben und jenen, die deren Traumata erbten. Gezeigt werden unter anderem dokumentarische und essayistische Beiträge aber auch Mainstream-Kino. Wichtig war der Kuratorin, die Dinge nicht „schwarz oder weiß zu malen“, wie sie sagt. „Auf komplexe Sachen muss man auch komplex schauen.“ Das tue die Film-Reihe.
(tmk)