Bornhagen in Thüringen

Wo Höcke die Welt in Unordnung bringt

Das "Denkmal der Schande", ein verkleinerter Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals, in Bornhagen im Eichsfeld in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Höcke.
Das "Denkmal der Schande", ein verkleinerter Nachbau des Berliner Holocaust-Mahnmals, in Bornhagen im Eichsfeld in Sichtweite des Grundstücks von AfD-Politiker Höcke. © dpa-Bildfunk / WichmannTV
Von Henry Bernhard |
Nein, gegen den Nachbarn Höcke könne man nichts sagen, heißt es in seinem Heimatdorf Bornhagen. 300 Einwohner hat der Ort, Björn Höcke lebt hier in einem alten Pfarrhaus. Doch mit seiner plötzlichen Bekanntheit ist man hier ein wenig überfordert.
Es hat kräftig geschneit. Auch wenn die Landschaft unten im Werratal braun und grün ist – oben in Bornhagen, auf dem Berg, ist alles weiß. Zwei Männer räumen den Weg vor ihrem Haus frei. Es sind Vater und Sohn, ein eingespieltes Team. Sie sind sehr freundlich, so wie fast jeder an diesem kalten Tag in Bornhagen. Sie reden mit mir, über ihr Dorf, über Björn Höcke, über das "Mahnmal", das seit Ende November Höckes Ausblick aus dessen Fenster prägt.
Aber dem Reporter etwas ins Mikrofon sagen? Nein. Sie sind froh, dass wieder Ruhe eingekehrt in dem kleinen Dorf, das für ein paar Tage Schlagzeilen gemacht hat bis in die "New York Times". Und Ruhe sei wichtig für ein Dorf, Ruhe und vor allem kein Ärger mit dem Nachbarn. Bei gerade mal 300 Einwohnern kennt jeder jeden. Man ist aufeinander angewiesen.
Das Haus, hinter dem sich das Kunstprojekt des Berliner "Zentrums für politische Schönheit" verbirgt, liegt still in der Ecke eines größeren Hofes. Kein Besucher, kein Künstler ist zu sehen an diesem Wochentag. Zur Zeit ist nur noch sonntags jemand da, der aufschließt. Die Nachbarin, deren Tür direkt daneben liegt, hat ihre Klingel abgestellt. Ende November ging es hier, in ihrer Einfahrt, heftig zu Sache.
"Abflug! Ich glaube es … Los, raus! Verdammtes Bolschewiken-Pack! Verdammtes Gesindel! Runter! Der will mich umschmeißen, das Schwein! Bitte nicht in die Kamera fassen! Lassen sie die Kamera los! Sie fassen den jungen Mann nicht an! Paß mal auf! Ganz ruhig!"
SPIEGEL TV filmte, wie ein paar Männer mittleren Alters, teils in hellblauen AfD-Jacken, Journalisten und Aktivisten des Zentrums für politische Schönheit bedrängten. Bornhagens Ruf litt. Ist das Dorf ein "braunes Nest", wie immer wieder verlautete? Ein Zentrum der Ewiggestrigen? Weil sie einen wie Björn Höcke in ihrer Mitte leben lassen, im geschmackvoll restaurierten Pfarrhaus? Ist es ein "braunes Nest", weil 56 Bürger und damit ein Drittel der Wähler zur Bundestagswahl im Herbst die AfD gewählt haben?
Für die Antifa, die schon zu Himmelfahrt 2016 in Bornhagen aufmarschiert war, keine Frage:
"Fünfzehn Schafe und ein Schwein, das hier muss Bornhagen sein."
Oder:
"Dörfer sind scheiße, ihr seid die Beweise!"
Mitglieder einer Antifa-Demo in Bornhagen haben Fackeln in der Hand
Mitglieder einer Antifa-Demo in Bornhagen haben Fackeln in der Hand.© Deutschlandradio / Henry Bernhard
Die meist sehr jungen und sehr schwarz gekleideten Demonstranten zogen durch das Dorf und beschimpften die Einwohner. Für Gregor Rinke, Grünen-Wähler und vor 25 Jahren aus Hessen nach Bornhagen gezogen, ein absolutes Unding.
"Ich denke, dass das sehr, sehr kontraproduktiv war, dass sozusagen die linken Positionen, die ja weiß Gott nicht sehr gesetzeskonform an vielen Stellen sind, da sind extreme Positionen, die aufeinandertreffen, die für nix gut sind. Da sind die Populisten genauso schlimm wie die von rechts. Das Ergebnis ist der Demokratie nicht förderlich – und der Diskussion schon gar nicht."
Noch heute erzählt man sich im Dorf davon, was das für ein Aufmarsch war: 200 Demonstranten, 400 Polizisten, Wasserwerfer… Und wie man die Polizisten mit belegten Brötchen, Bratwürsten und Steaks versorgt habe.

Höcke verunglimpfte das Holocaust-Mahnmal als "Denkmal der Schade"

Aber das ist Schnee von gestern. Inzwischen ist Bornhagen deutschlandweit bekannt. Dank der Dresdner Rede seines Bewohners Björn Höcke vor einem Jahr und dem, was darauf folgte.
Björn Höcke: "Wir Deutschen, also unser Volk, sind das einzige Volk der Welt, das sich ein Denkmal der Schande in das Herz seiner Hauptstadt gepflanzt hat."
Kein Patriot hätte sich ein Holocaust-Mahnmal in die Hauptstadt gestellt, so Höcke. Er beschwor in Dresden seine Partei als "letzte friedliche Chance für unser Vaterland", forderte einen "vollständigen Sieg der AfD" und "eine erinnerungspolitische Wende um 180 Grad". Nur wenige Wochen später mietete das Berliner Zentrum für politische Schönheit in Bornhagen ein kleines Haus, gleich neben dem von Björn Höcke. Um ihm im November vergangenen Jahres ein eigenes "Denkmal der Schande" vors Haus zu stellen. 21 Stelen aus Sperrholz, grau bemalt, aus wenigen Metern Entfernung dem Berliner Vorbild täuschend echt.
"Das ist kein Vollbeton!"
In den ersten Wochen stapften immer wieder Besucher durch den zunehmend matschiger werdenden Garten. Viel Platz blieb nicht zwischen den Stelen, wo Jenni Molé Erklärungen zum Projekt abgab.
"Wir wollen ihm halt die Möglichkeit geben, sich mit der Geschichte auseinanderzusetzen und vor allen Dingen auch Verantwortung zu übernehmen."
Autor: "Verantwortung wofür?"
Jenni Molé: "Verantwortung für die deutsche Geschichte, für das, was passiert ist. Wir können sie nicht leugnen, wir müssen sie anerkennen. Und ich finde, es ist auch eine Sache, auf die man stolz sein kann, so eine Erinnerungskultur. Wenn man Fehler erkennt, die einsieht und sich dafür einsetzt, dass sie nicht wieder passieren."
Sie boten Höcke an, Willy Brandts Warschauer Kniefall in Bornhagen zu wiederholen, dann würde man wieder abziehen.
Journalisten, Fotografen, Kamerateams fielen über den Ort her. Die Bilder der Stelen, auf die Björn Höcke von seinem Haus aus blickt, gingen um die Welt. Ein Polizeihubschrauber kreiste. Die Aktivisten des Zentrums für politische Schönheit sonnten sich in der Aufmerksamkeit und in der Gewissheit, auf der moralisch richtigen Seite zu stehen. Ihre Drohne flog immer wieder über Höckes Grundstück. Kameras und Mikrofone richteten sich auf dessen Haus.
In Bornhagen selbst hört man immer wieder: Man könne ja gegen Höcke sagen, was man will. Aber hier sei er in erster Linie Nachbar. Das sagen sowohl nahe Bekannte des AfDlers, das sagt ein SPD-Mitglied und auch der eher Grüne Gregor Rinke.
"Da ist ja eine Grenze überschritten. Das muß man auch sagen: Politisch kann der Mensch durchaus angegriffen werden, wenn er angreifbar ist. Der hat einen Dienstsitz, der sitzt, glaube ich, in Erfurt. Und da kann man gerne auch demonstrieren und politisch anprangern, was er sagt. Aber was die Familie – egal, welche Positionen die Frau und die Kinder haben! Die Kinder werden wohl noch keine politische Meinung haben, weil sie noch zu klein dafür sind, das geht einfach einen Schritt zu weit. Was man auch verhindern muss!"

Kritisches hört man kaum

Höcke sei ein freundlicher Mann, der auch mal helfe, sagen manche. Aber keiner sagt es vor dem Mikrofon. Nicht einmal der Bürgermeister will sich mehr zum großen Aufreger in Bornhagen äußern. Es ist die Angst, mit einem Halbsatz den Nachbarn zu verärgern. Die Angst, falsch zitiert zu werden oder unvollständig. Die Angst, sich festzulegen, eine Position einzunehmen.
Gregor Rinke: "Man redet eigentlich nicht miteinander. Wenn man miteinander redet, dann eher, dass es auch nicht offen ausgesprochen wird, diese Meinung zu haben, für diese Partei zu sein oder gegen diese Partei zu sein, irgendwie ein Stigma gleich ist – was eben auch nicht gut ist für eine politische Diskussion. Mit den Leuten, mit denen ich rede, die der AfD nicht abgeneigt sind, kommt mir gerade so vor, als müssten die sich rechtfertigen. Nein, die müssen sich nicht rechtfertigen, solange die Partei innerhalb der Gesetze sind. Alles gut! Das muss eine Demokratie aushalten."
Kritisches hört man kaum. Ein Rentner aber sagt, dass sie doch hier auf dem Dorf nicht das erledigen könnten, woran selbst die Parteispitze der AfD scheitert: Höcke aus der AfD auszuschließen. Und er erzählt weiter. Von den Flüchtlingskindern, die auf den Spielplatz in der Dorfmitte kommen. Dass er ihnen im Sommer Erdbeeren schenkt. Und, dass es noch nie Ärger mit "den Ausländern" gegeben habe in Bornhagen.
Um die 50 Flüchtlinge leben zur Zeit in der Gemeinschaftsunterkunft in einer alten Kaserne der Grenztruppen. Ein paar Kinder tollen durch das Treppenhaus. Sie kommen aus Afghanistan und Syrien, aus Afrika und vom Balkan. Zuvor waren es 20 Jahre lang Russlanddeutsche, die hier unterkamen. Von keinem der im Dorf Befragten habe es auch nur ein Wort der Klage gegeben. Auch der Heimleiter, Karl Ständer, kann sich an nichts erinnern.
"Ich habe es noch nicht gespürt, und ich bin schon etliche Jahre hier vor Ort. Also, ich kann nichts feststellen. Egal, wo ich hinkomme: Bürgermeister oder Verkaufsstelle oder Heimatverein… Ich kann da nichts irgendwie, dass sie Ausländer ablehnen… Also, ich habe es selber noch nicht erfahren hier."

"Wir sehen ihn ja jeden Tag"

In der Dorfkneipe, die gerade Winterpause hat, haben schon mehrere Ausländer gearbeitet, einer, so berichtet die Wirtin, habe bei ihr eine Kochlehre begonnen. Das interessierte aber die Demonstranten von der Antifa weniger, die kurz vor Weihnachten mit Fackeln und lauter Musik durch Bornhagen marschierten – vor den Augen der verblüfften Anwohner.
An einer Straßenecke standen ein paar neugierige Einheimische und redeten. Auch über das Mahnmal in Höckes Nachbargarten.
Alte Frau: "Ich weiß ja nicht, ob das Kunst ist… Es ist komisch."
Autor: "Haben Sie es schon mal gesehen?"
Alte Frau: "Ja klar! Wir sind doch von hier. Wir waren richtig drin. Gleich am ersten Tag, wo sie es enthüllt haben."
Autor: "Was halten sie davon?"
Frau: "Wir haben es uns angeguckt, ja. Ach, ich find’s nicht schlecht. Also, es ist halt…"
Alte Frau: "Es ist halt ein Nachbau! Aber so eine Idee muss man erst mal haben! Das finde ich…"
Mann: "Als Mahnmal kann man das ja nicht bezeichnen, wirklich nicht! Wirklich nicht. Das ist kein Denkmal; das sind einfach ein paar billige Betonklötze, die nicht in die Welt passen. Das ist kein Denkmal."
Autor: "Können sie denn verstehen, dass man sich gegen Björn Höcke politisch so stark engagiert?"
Alte Frau: "Na, er hat da so ein paar blöde Sätze gesagt. Das war wohl sein Verhängnis. Mit seinem 'Schandmal' da und noch so einiges."
Aber gegen den Nachbarn Björn Höcke konnte sie auch nichts sagen.
Alte Frau: "Aber ich sage mal: Wir sehen ihn ja jeden Tag; er joggt jeden Tag. Er ist immer nett und freundlich. Streichelt auch mal meinen Dackel..."

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