Man hat gesehen, dass die Kinder so ein Eskapismus-Erlebnis haben.
Leo-Baeck-Preis für Hans-Joachim Watzke
Leo-Baeck-Preisträger 2024: Hans-Joachim Watzke. © picture alliance / dpa / Roberto Pfeil
Borussia Dortmunds Kampf gegen Antisemitismus
07:21 Minuten
Am 13. November erhält BVB-Geschäftsführer Watzke den Leo-Baeck-Preis, die höchste Auszeichnung des Zentralrats der Juden in Deutschland. Immer wieder hat er den Klub gegen Antisemitismus positioniert, auch rund um den Jahrestag des Hamas-Massakers.
Neben dem ehemaligen DFB-Präsidenten Theo Zwanziger ist Hans-Joachim Watzke der zweite Fußballfunktionär, der mit dem Leo-Baeck-Preis ausgezeichnet wird. Seit dem 7. Oktober 2023, seit dem Angriff der Hamas auf Israel, war das Stadion von Borussia Dortmund immer wieder ein Ort des Gedenkens. Es gab Schweigeminuten für die Opfer des Terrors und einmal widmete der BVB das Lied „You'll Never Walk Alone“ einem Fan, der ermordet wurde. Viele Aktionen finden aber auch unbemerkt von der Öffentlichkeit statt.
„Ich finde es super, dass der BVB das alles gemacht hat. Das hat auch in Israel für mehr BVB-Fans gesorgt. Viele identifizieren sich mittlerweile mit dem Verein“, sagt Adam Lahav, einer der prägenden Köpfe der „Israelischen Borussen“. Dieser Fanklub des BVB hat vor allem Mitglieder in Israel und Deutschland. „Für mich als israelischer Fan mit deutschen Wurzeln bedeutet das auch sehr, sehr viel. Vor allem aus dem Grund, dass auch sehr viele andere Vereine weltweit, auch in Europa, einfach geschwiegen haben.“
Ablenkung im Stadion
Im vergangenen Jahr haben Mitarbeitende und Fans des BVB dreimal Angehörige der Opfer und Geiseln der Hamas nach Dortmund eingeladen. Sie haben gemeinsam Heimspiele angeschaut, den Fanshop besucht und die Nachwuchsakademie besichtigt. Auch die „Israelischen Borussen“ haben diese Reisen mitgeplant und dafür Spenden eingeworben, erzählt Adam Lahav und erinnert an die Begegnungen mit den jungen Gästen: „Ich habe erst mal gesehen, dass die sehr entlastet waren. Man hat gesehen, dass die Kinder so ein Eskapismus-Erlebnis haben. Die haben gelacht, die haben miteinander gespielt. Das haben die auch selber gesagt, dass die jetzt nicht unbedingt über die Geschehnisse nachdenken müssen und dass es denen eine enorme Erleichterung ist.“
Die meisten Aktionen gegen Antisemitismus finden bei Borussia Dortmund aber unbemerkt von der Öffentlichkeit statt. So hat der Verein Workshops für Mitarbeitende und Fans zum Nahostkonflikt angeboten. Er steht zudem im Austausch mit Institutionen in Israel, zum Beispiel mit der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem. Einer der Hauptverantwortlichen dafür beim BVB ist Daniel Lörcher. Er ist seit dem 7. Oktober 2023 mehrfach nach Israel gereist: „Ich habe da jetzt sehr viel Aufklärungsarbeit dazu gemacht vor Ort. Aber eben auch viel Solidaritätsarbeit, kleine Gesten tatsächlich. Gerade unterstützen wir die israelische Gewerkschaft. Die haben für ein arabisches Dorf, das im Norden evakuiert werden musste, nach Fußbällen gesucht. Und wir haben jetzt einfach mal entschieden, dass wir diesem arabischen Dorf ein paar Bälle zur Verfügung stellen. Damit die Kids dort wieder Fußball spielen können.“
Auf Spurensuche in der eigenen Stadt
Noch vor gut 15 Jahren lag ein angemessenes Engagement gegen Antisemitismus in weiter Ferne. 2012 unterstützten BVB-Fans mit einem Banner im Stadion den „Nationalen Widerstand Dortmund“, eine verbotene rechtsextreme Organisation. Im Jahr darauf wurden zwei Dortmunder Fanarbeiter bei einem Spiel in Donezk von rechtsextremen Hooligans angegriffen. Der BVB reagierte auf den öffentlichen Druck, ließ sich von Wissenschaftlern beraten und leitete einen Wandel ein.
Seit 2014 organisiert der BVB für Fans und Mitarbeitende jährlich mindestens zwei Exkursionen in KZ-Gedenkstätten, erzählt Daniel Lörcher: „Fußballfans haben eine sehr hohe Identifikation nicht nur mit dem Verein aus der Stadt, sondern auch mit der Stadt selbst. Und das ist unser Einstiegspunkt in den Projekten. Das heißt, wir schauen immer zuerst in Dortmund nach den Spuren von jüdischem Leben, nach antisemitischer Verfolgung, nach den Strukturen des Nationalsozialismus. Und gehen davon aus dann auf Bildungsreise. Also diese Frage: ,Was hat das mit mir zu tun?‘ ist dabei ganz zentral.“
Eine Million Euro für Yad Vashem
Jahr für Jahr erinnern Verein und Fans auch an den ehemaligen Dortmunder Platzwart Heinrich Czerkus, der als Widerstandskämpfer 1945 von den Nazis ermordet wurde. Sie erforschen auch die Biografien von Tätern, die in Dortmund gelebt haben. Und sie leiten daraus Fragen für die Gegenwart ab, über Ausgrenzung und Verfolgung.
2019 spendete der BVB eine Million Euro für den Ausbau der Gedenkstätte Yad Vashem. In Dortmund finden im Vereinsmuseum oder im Fanprojekt Veranstaltungen gegen Antisemitismus statt. Stellvertretend erhielt BVB-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke 2022 dafür von der jüdischen Gemeinde in Düsseldorf die Josef-Neuberger-Medaille, benannt nach dem früheren Justizminister von Nordrhein-Westfalen. Hans-Joachim Watzke sagte bei der Verleihung: „Es ist dabei genauso wichtig, dass wir dafür eintreten, dass stolzes jüdisches Leben in Deutschland gefördert wird in jeder Situation des Lebens.“
Palästinensische Fahnen im Stadion
Das bedeutet, dass der BVB in der Dortmunder Stadtgesellschaft immer wieder Kooperationen eingeht, zum Beispiel mit der Gedenkstätte Steinwache, einem früheren Gefängnis der Gestapo, und mit der jüdischen Gemeinde in Dortmund. Klubmitarbeiter Daniel Lörcher: „Das Allerwichtigste nach dem 7. Oktober war, die jüdische Gemeinde anzusprechen und zu sagen: Hey, wie stehen an eurer Seite. Weil sie Deutsche sind und sich entschieden haben, in Deutschland zu leben als Juden. Also wir haben schon vorher eine enge Kooperation gehabt, aber seitdem haben wir ganz viel zusammen gemacht. Im Kleinen, was nicht öffentlich ist, nicht sichtbar ist. Weil das sind Menschen aus unserer Stadt, die sich für was rechtfertigen müssen, womit sie eigentlich überhaupt nichts zu tun haben. Und die einfach angefeindet werden, aufgrund von Antisemitismus.“
Doch dieses Engagement löst auch Misstrauen aus. In der internationalen Fanszene, vor allem in arabischen Ländern, werfen Fans dem BVB eine einseitige Positionierung für Israel vor. Einige von ihnen verbreiteten offenbar mit Freude die Bilder aus der Champions League Anfang Oktober. Anhänger von Celtic Glasgow schwenkten bei ihrem Spiel in Dortmund palästinensische Fahnen.
Verständigung durch Fanklub
Adam Lahav von den „Israelischen Borussen“ weitet den Kontext: „Was die arabische Welt generell angeht: Der israelische Fanklub hat immer für eine Koexistenz gearbeitet. Und wir haben generell überhaupt kein Problem mit arabischen Leuten oder arabischer Herkunft. Im Gegensatz: Wir versuchen, durch den Fußball ein gemeinsames Leben zu ermöglichen. Und es sind auch tatsächlich viele Freundschaften entstanden durch unseren Fanklub zwischen arabischen und jüdischen Leuten.“
Am vergangenen Wochenende, rundum den ersten Jahrestag des 7. Oktober, veranstaltete der BVB abermals eine Informationsveranstaltung. In einer Mitteilung erinnerte der Klub an die Opfer und stellte sich „an die Seite aller friedliebenden Menschen im Nahen Osten.“
Am vergangenen Wochenende, rundum den ersten Jahrestag des 7. Oktober, veranstaltete der BVB abermals eine Informationsveranstaltung. In einer Mitteilung erinnerte der Klub an die Opfer und stellte sich „an die Seite aller friedliebenden Menschen im Nahen Osten.“