Boten des Klimawandels

Von Vanja Budde |
Dass der Klimawandel in vollem Gange ist, sehen die Isländer besonders deutlich: Auf der Insel im Nordatlantik befinden sich die größten Gletscher Europas. Die Eismassen bedecken mehr als zehn Prozent der Fläche des Landes. Doch Jahr für Jahr ziehen sich die Gletscher weiter zurück.
Eine Viertelstunde sind wir gelaufen zum Sólheimajökull, der nun mit schwarzer Asche bedeckt wenige Meter vor uns liegt. Unter der Vulkanasche schimmert bläulich das Eis: Mehrere Hundert Jahre alt, 50 Meter dick, obwohl dies hier nur eine Gletscherzunge des Mýrdalsjökulls ist, Islands viertgrößter Gletscher im Süden der Insel. Das Eis strömt Kälte aus, doch Gletscher-Guide Birger Thor reicht sein weiß-blauer Pullover aus der Wolle von Islandschafen.

"1999 fing diese Gletscherzunge beim Café an, dort hinten, wo wir los gegangen sind. 2006 war sie da drüben beim Parkplatz, 2008 bei diesen beiden Hügeln hier und jetzt ist sie da vorne. Das Eis schmilzt also ziemlich schnell."

Etwa hundert Meter im Jahr weicht die Gletscherzunge zurück: Fast anderthalb Kilometer in den vergangenen 14 Jahren.

Stefan Rahmstorf: "Die Tatsache, dass sich die Gletscher weltweit fast überall stark zurückziehen, mit sehr wenigen Ausnahmen, zeigt eben, dass es kein lokales Phänomen ist, sondern eine Folge der globalen Erwärmung."

Stefan Rahmstorf, Physiker am Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung, war einer der Leitautoren des vierten IPCC-Berichts. Der Bericht des Ausschusses der Vereinten Nationen für Klimaänderungen fasst regelmäßig den wissenschaftlichen Kenntnisstand über die globale Erwärmung zusammen.

"Insofern sind die Gletscher schon ein klarer Beleg, wie übrigens auch die Veränderungen in der Natur: Der Blattaustrieb im Frühling erfolgt ja inzwischen ein bis zwei Wochen früher als das normalerweise üblich ist. Die Vogelzugzeiten haben sich verschoben. Also, man findet auch in der Natur sehr viele klare Belege für die weltweite Klimaerwärmung."

Schmelzwasser erhöht den Meeresspiegel
Birger und ich haben Spikes unter die Wanderstiefel geschnallt, bewaffnet mit Eispickeln, ein Klettergeschirr umgeschnallt, erklimmen wir die Gletscherzunge. Bislang hat Birger noch keinen der immer zahlreicher nach Island strömenden Touristen in einer Gletscherspalte verloren. Das soll sich heute möglichst nicht ändern.

Risse und Löcher lauern im Eis. Birger warnt, die eisernen Krallen an den Füßen, die das Laufen auf dem spiegelglatten Eis erst ermöglichen, immer genau in seine Spur zu setzen.

Noch bedeckt der Mýrdalsjökull fast 600 Quadratkilometer mit bis zu 250 Meter dickem Eis. Ehrfurcht gebietend und weiß schimmernd thront er über den schwarzen Stränden der Südküste. Doch wie alle Gletscher Islands verliert auch der Mýrdalsjökull nicht nur an Länge, sondern auch an Masse. Um etwa einen Meter werden die Eisriesen Jahr für Jahr flacher, beobachtet die Glaziologin Helga Maria Heidarsdottir.

"Sie schmelzen so schnell wie noch nie seit dem Ende der letzten Eiszeit vor mehr als zehntausend Jahren. Isländische Wissenschaftler haben vorausgesagt, dass unsere Gletscher in 200 Jahren verschwunden sein werden, wenn die globale Erwärmung so weiter geht. Es ist sehr traurig, diese majestätische Naturgewalt dahinschwinden zu sehen. Es macht mich traurig und auch nervös: Denn all dieses Wasser fließt in den Ozean und erhöht den Meeresspiegel. Und das betrifft den ganzen Planeten und nicht nur Island."

Sinkender Salzgehalt vertreibt Garnelen
Bevor Helga Maria Heidarsdottir Glaziologie in Oslo studierte, hat sie Jahre lang so wie Birger Touren auf die Gletscher geleitet. Und dabei jeden Tag hautnah die Folgen des Klimawandels erlebt, der nicht nur die Landschaft verändert, sondern auch die Küstengewässer.

"Das einfließende Süßwasser verringert den Salzgehalt des Meeres. Deswegen verlieren wir jetzt unseren Fisch: Mein Vater war Fischer und ich erinnere mich, dass er vor 20 Jahren auf einem großen Trawler gearbeitet und Garnelen gefangen hat. Heute finden wir keine Garnelen mehr rund um Island, weil der Atlantik hier nicht mehr salzig genug ist und auch zu warm wird. Die Garnelen sind in die Gewässer vor Grönland ausgewichen."

Wenn die Gletscher verschwinden, wird es auch problematisch mit der Energieversorgung: Derzeit gewinnt Island zwei Drittel seines Strombedarfs aus der Wasserkraft der Gletscherflüsse. Wehe, wenn sie versiegen.

Noch tost viel Wasser irgendwo in den eisigen Tiefen des Sólheimajökull. Birger Thor führt an eine Gletscherhöhle heran. In der letzten Eiszeit vor zehntausend Jahren war Island vollständig von Gletschern bedeckt, erzählt der junge Mann, der seine Heimatinsel noch nie verlassen hat. Und dass er sich wünsche, dass es eines Tages wieder so ist, damit er dann überall Schneemobil fahren kann.
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