Botox und Co.

Die falsch verstandene Selfcare

In einem rosa Ballon mit aufgemalten Lippen steckt eine Spritze.
Das offene Reden über Schöheits-OPs und Eingriffe will sich die Autorin Fabienne Hurst nicht als feministische Errungenschaft verkaufen lassen. © Getty Images / Ilka & Franz
Ein Standpunkt von Fabienne Hurst · 03.02.2023
Volle Lippen, faltenfreie Stirn, glatte Wangen: Sich Nervengifte und Füllstoffe unter die Haut spritzen zu lassen, um jünger auszusehen, ist kein Tabu mehr. Im Gegenteil. Die Autorin Fabienne Hurst hält diese Entwicklung nicht für einen Fortschritt.
Neulich saß ich mit ein paar Freundinnen beim Kaffee, als plötzlich dieses Thema aufkam: Botox. Eine hat es bereits in der Stirn, die andere hat einen Termin bei der Injektorin vereinbart. Sie sprachen darüber so locker wie über einen Friseurbesuch: Was ist denn schon dabei? Wenn man sich danach besser fühlt? Jeder darf schließlich mit seinem Körper machen, was er will. Das stimmt natürlich.
Jahrzehntelang hat uns eine unheilige Allianz aus Hollywood, Frauenmagazinen und Kosmetikindustrie weismachen wollen, dass man das Altern aufhalten kann. Zumindest optisch. Tonnenweise Cremes und Öle versprachen nichts Geringeres als “Anti-Aging”, man musste nur genug dran glauben.
Über Schönheits-OPs sprach niemand. Selbst ewig junge Superstars behaupteten, sie hätten einfach gute Gene – oder immer eine Flasche Mineralwasser dabei. Es galt: Eine schöne Frau darf keine Falten haben, aber bitte ohne wirklichen Eingriff.

Eingriffe sind kein Tabu mehr, sondern Lifestyle

Das ist jetzt vorbei. Botox und Co. sind längst kein Tabu mehr. Sondern zu etwas geworden, das man sich gönnt. Ein Statussymbol, mit prominenten Fürsprecherinnen: Die Schauspielerin Gwyneth Paltrow etwa wirbt für die Botox-Alternative Xeomin und die Moderatorin Sylvie Meis für eine Füllstoffmarke.
Sie alle fordern mehr Akzeptanz, wollen den Eingriff als Akt des Female Empowerments verstanden wissen. Es sei schließlich etwas Selbstbestimmtes, das man nur für sich tue. Botox im Namen der Selfcare quasi.
Dass glatte Haut und volle Lippen einem uralten, normierten Schönheitsideal entsprechen und keinem zufälligen, individuellen, ästhetischen Bedürfnis? Egal.

Akzeptanz von Falten nimmt ab

Wer die Normalisierung von Botox und Co. auch nur ein bisschen widersprüchlich findet, gilt schnell als Frauenfeindin. Schon die Diskussion darüber wird als Angriff empfunden. Der Vorwurf: Man betreibe „Botox-Shaming“, wie in den Klatschzeitschriften. Ich verstehe den Reflex gut: Schließlich werden Frauen ständig für ihren Körper kritisiert, egal ob sie zu dick oder zu dünn sind, zu viel oder zu wenig Make-up tragen, zu große oder zu kleine Brüste haben.
Aber ist es wirklich ein Fortschritt, wenn wir Botox enttabuisieren – aber die Falten nicht?
Denn während die Body-Positivity-Bewegung der letzten Jahre tatsächlich dazu geführt hat, dass auch Körperformen jenseits von Größe XS als schön gelten, finden faltige Haut immer noch alle blöd. Es gibt keine Kosmetikkampagne, in der ältere Haut auch wirklich aussieht wie ältere Haut.

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Stattdessen verkauft man uns das offene Reden über operative Eingriffe als feministische Errungenschaft. Mit Erfolg: Allein in Deutschland hat sich die Anzahl der Eingriffe mit Botox und Fillern in den vergangenen fünf Jahren mehr als verdoppelt. So melden es die Verbände für Schönheitschirurgie.

Alt auszusehen, wird zur Ausnahme

Die Konsequenz: Es wird immer schwerer, die eigenen Falten zu ertragen. Auch ich betrachte mich jetzt viel kritischer vorm Spiegel und denke: Wenn alle mit 50 glatt sind wie Mittzwanziger – sehe ich neben ihnen dann aus wie 70?
Wie mir scheint es vielen zu gehen. Die Soziologin Dana Berkowitz hat diesen Effekt genauer untersucht. Gegenüber dem ZEIT-Magazin sprach sie von einem "Dominoeffekt".* Sobald eine Person im eigenen Umfeld damit anfängt, wird es schwer, nicht mitzumachen. Einer Studie zufolge schaffen nur die Menschen, sich diesen Eingriffen zu entziehen, deren soziales Umfeld das ebenfalls konsequent ablehnt.
Offenbar liegt in dieser Erkenntnis die einzige Chance, dem Teufelskreis zu entkommen: Man muss sich mit möglichst vielen Leuten umgeben, die erkannt haben, dass es beim Streben nach Glück nicht darauf ankommt, wie tief die Zornesfalte oder wie glatt die Stirn ist.
Man sieht dann in 20 Jahren beim Kaffeekränzchen vielleicht nicht jünger aus als alle anderen. Doch im Idealfall fällt einem selbst das dann gar nicht auf. Weil man auf Äußerlichkeiten längst nichts mehr gibt.

Fabienne Hurst, geboren 1987 in Müllheim/Baden, ist freie Journalistin. Neben ihrer journalistischen Tätigkeit für die ARD und die „Zeit“ schreibt sie gesellschaftskritische Sketche für Maren Kroymann und Carolin Kebekus sowie Drehbücher für verschiedene Serien (u.a. “King of Stonks“, Netflix). Ihre Doku „Big Mäck: Gangster und Gold“ erschien im Januar 2023 auf Netflix. Für ihre journalistische Arbeit wurde sie unter anderem mit zwei Adolf-Grimme-Preisen ausgezeichnet.

Eine Frau mit braunen Haaren im Pullover schaut lächelnd in die Kamera: die Autorin Fabienne Hurst.
© Henning Kretschmer
*Wir haben ein nicht zugeordnetes Zitat mit der entsprechenden Quellenangabe versehen.
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