Botschaften eines Terroristen
Osama bin Laden ist seit Jahren auf der Flucht. Und dennoch meldet er sich immer wieder aus dem Untergrund zu Wort. Nun hat der Islam-Experte Bernhard Lewis bin Ladens Aufrufe, Erklärungen und Interviews von 1994 bis heute in dem Band "Messages to the World – Statements of Osama bin Laden" in englischer Übersetzung veröffentlicht und liefert damit erschreckende Erkenntnisse über die Denkweise des islamistischen Top-Terroristen.
In einem Essay für den "Spiegel" theoretisierte Hans-Magnus Enzensberger vor einigen Wochen über den Selbstmordattentäter. Der sich selbst richtende Mörder sei ein "radikaler Verlierer". Sein Hass auf diejenigen, die ihm das leben unmöglich machen, sei mit tiefem Selbsthass gepaart. Der Ausweg sei eine Fusion aus Zerstörung und Selbstzerstörung. Auf sich gestellt, richtet sich der Hass des Verlierers gegen
"... den ungerechten Vorgesetzten, die widerspenstige Ehefrau, den bösen Nachbarn, den intriganten Kollegen, die sture Behörde, den Arzt, der ihm das Attest verweigert. "
Wie aber, wenn der Loser entdeckt, dass er Opfer der Machenschaften eines größeren, mächtigeren Feindes geworden ist?
"Gewöhnlich handelt es sich um Ausländer, Geheimdienste, Kommunisten, Amerikaner, Großkonzerne, Politiker, Ungläubige. Fast immer sind es such die Juden."
Dann gewinnt der massenmörderische Selbstmord politische Relevanz. Enzensberger zufolge war Hitler der größte Selbstmordattentäter aller Zeiten. Die Theorie hat den Vorteil, nicht überprüfbar zu sein. Man möchte Enzensberger dennoch fragen: Würde er jenen deutschen Erfolgsschriftsteller als Verlierer bezeichnen, der 1967 eine Gastprofessur in den USA aufgab, nach Kuba zog und in einem offenen Brief das Amerika des Demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson als "Weltfeind" bezeichnete? Die Vereinigten Staaten, so Hans-Magnus Enzensberger in diesem Brief, lägen mit über einer Milliarde Menschen in einem unerklärten Krieg mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln,
"vom Ausrottungs-Bombardement bis zu den ausgefeiltesten Techniken der Bewusstseins-Manipulation. Ihr Ziel ist die politische, ökonomische und militärische Weltherrschaft."
Was Enzensberger damals verkündete, verkündet vierzig Jahre später Osama bin Laden:
"Es ist nur allzu klar, wer von dieser Kriegstreiberei und diesem Blutvergießen profitiert: Die Händler des Krieges, die Blutsauger, die hinter den Kulissen die Weltpolitik dirigieren. Präsident Bush und andere Führer, die großen Medien, die Vereinten Nationen..., sie alle sind nur Agenten der Täuschung und Ausbeutung. Diese und andere Gruppen bedeuten eine tödliche Gefahr für die ganze Welt..."
Diese Ausführungen sind den gesammelten Werken Osama bin Ladens entnommen – seinen Aufrufen, Erklärungen und Interviews von 1994 bis heute, die jetzt in neuer englischer Übersetzung im britischen Verlag Verso erschienen sind. "Messages to the World", Botschaften an die Welt, heißt das Buch. Die Lektüre ist so ermüdend wie das Lesen der gesammelten Erklärungen der RAF; im Vergleich zum Gegeifere Osamas gegen Kreuzzügler und Juden, Juden und Kreuzzügler ist "Mein Kampf" geradezu geistreich; und es hilft wenig, dass Osamas Texte angeblich, wie der Islam-Experte Bernhard Lewis meint, "ein großartiges Exemplar eloquenter, teilweise sogar poetischer arabischer Prosa" darstellen. Dennoch sollte die Welt Osamas Botschaften lesen, so wie sie "Mein Kampf" hätte lesen sollen. Denn – und hier sind wir wieder bei Enzensberger – die Psychologie des einzelnen Mörders ist uninteressant, so lange er vereinzelt bleibt. Interessant sind vielmehr die Ideologen und Organisatoren, die erst diesen Loser-Typen Ideen und Waffen liefern, sie als Bolschewiki und Nazis, Mitglieder der RAF oder von Al Qaida zu Herren über Leben und Tod von Tausenden machen.
Osama bin Laden hat deshalb die Fantasie vieler Araber entzündet, weil er grandiose Ziele verfolgt: Nicht Frieden mit Israel, sondern
"Djihad gegen die Juden, bis das Land seinem Volk zurückgegeben worden ist und diese wandernden Juden zurückgekehrt sind in ihr Land."
Nicht Frieden mit Europa, sondern
"Djihad, bis das Banner der Einheit Gottes über jedem von den Muslimen geraubten Land weht, von Palästina bis nach Al-Andalus und anderen islamischen Ländern, die verloren wurden ... "
Und: Nicht Koexistenz mit dem Westen, sondern Weltherrschaft des Islam und der Scharia. "Was wollen wir von euch?" fragt Osama in seiner "Botschaft an die Amerikaner" vom 6. Oktober 2002. Und er antwortet:
"Erstens: Wir rufen euch zum Islam... Zweitens: Wir rufen euch auf, unmoralische Taten wie sexuelle Ausschweifung, Homosexualität, Trunkenheit, Glücksspiel und Zinswirtschaft zurückzuweisen... "
Soft Power? Es ist ja gerade die Soft Power Amerikas, gegen die sich Osama ereifert. Seine Revolution ist nicht politisch, sondern moralisch motiviert. In derselben Botschaft vom Oktober 2002 - nach dem 11. September also, nach der Besetzung Afghanistans durch die Nato, auf dem Höhepunkt der Irak-Krise – hat Osama nur wenige Worte für George W. Bush übrig; sein Zorn gilt immer noch einem anderen Präsidenten:
"Wer kann die unmoralischen Taten vergessen, die euer Präsident Clinton im Oval office beging? Und dafür habt ihr ihn nicht einmal zur Rechenschaft gezogen, außer dafür, dass er "einen Fehler beging", wofür er ohne Strafe davonkam. Gibt es etwas Schlimmeres als diese Handlungen? Dafür werdet ihr in die Geschichtsbücher eingehen, daran werden sich die Nationen erinnern."
Wer Osamas Botschaften aufmerksam liest, kann sich einer Erkenntnis kaum entziehen: Osama wurde in den acht Jahren der Clinton-Präsidentschaft in den Augen der arabischen Straße zum Helden, weil er sie lehrte, Amerika zu verachten. Ein Schlüsselerlebnis war Somalia, wo Al-Qaida-Kämpfer aus Afghanistan zusammen mit örtlichen Warlords amerikanische Truppen vertrieben, die im Auftrag der UNO den dortigen Bürgerkrieg beenden sollten:
"Wir lernten von denen, die dort kämpften, dass sie überrascht waren von der niedrigen Moral der amerikanischen Kämpfer im Vergleich zu ihrer Erfahrung mit russischen Kämpfern. Die Amerikaner flohen vor unseren Kämpfern ..., während die Russen blieben. Wenn die USA immer noch glauben und damit angeben, dass sie eine so große Macht haben, nach all ihren Niederlagen in Vietnam, Beirut, Aden und Somalia, dann sollen sie doch ihre Truppen zurückschicken zu denen, die sie erwarten."
Diese Art Hohn und Spott zumindest findet sich seit dem Fall Afghanistans und der Befreiung des Iraks in Osamas Botschaften nicht mehr. Und das registriert auch die arabische Straße. Neue Umfragen zeigen ein schwindendes Vertrauen in Osama bin Laden und eine wachsende Ablehnung seiner terroristischen Methoden, die sich zunehmend gegen die Araber selbst richten.
Hat Osama also verloren? Noch nicht. Ideen sterben langsamer als Menschen. Sechzig Jahre nach Hitlers Ende, vierzig Jahre nach Enzensbergers Ausfällen gegen den Weltfeind USA, dreißig Jahre nach dem deutschen Herbst, fünfzehn Jahre nach dem Fall der Sowjetunion ist der Antiamerikanismus in Deutschland noch virulent. In der arabischen Welt bildet das Gebräu aus Islam, Antisemitismus und Antiamerikanismus immer noch das potenteste Gift gegen alle Bestrebungen, diese Gesellschaften zu modernisieren. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.
Bruce Lawrence: Messages to the World – Statements of Osama bin Laden
Englische Originalausgabe
Verso Verlag, London/New York 2005
"... den ungerechten Vorgesetzten, die widerspenstige Ehefrau, den bösen Nachbarn, den intriganten Kollegen, die sture Behörde, den Arzt, der ihm das Attest verweigert. "
Wie aber, wenn der Loser entdeckt, dass er Opfer der Machenschaften eines größeren, mächtigeren Feindes geworden ist?
"Gewöhnlich handelt es sich um Ausländer, Geheimdienste, Kommunisten, Amerikaner, Großkonzerne, Politiker, Ungläubige. Fast immer sind es such die Juden."
Dann gewinnt der massenmörderische Selbstmord politische Relevanz. Enzensberger zufolge war Hitler der größte Selbstmordattentäter aller Zeiten. Die Theorie hat den Vorteil, nicht überprüfbar zu sein. Man möchte Enzensberger dennoch fragen: Würde er jenen deutschen Erfolgsschriftsteller als Verlierer bezeichnen, der 1967 eine Gastprofessur in den USA aufgab, nach Kuba zog und in einem offenen Brief das Amerika des Demokratischen Präsidenten Lyndon B. Johnson als "Weltfeind" bezeichnete? Die Vereinigten Staaten, so Hans-Magnus Enzensberger in diesem Brief, lägen mit über einer Milliarde Menschen in einem unerklärten Krieg mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln,
"vom Ausrottungs-Bombardement bis zu den ausgefeiltesten Techniken der Bewusstseins-Manipulation. Ihr Ziel ist die politische, ökonomische und militärische Weltherrschaft."
Was Enzensberger damals verkündete, verkündet vierzig Jahre später Osama bin Laden:
"Es ist nur allzu klar, wer von dieser Kriegstreiberei und diesem Blutvergießen profitiert: Die Händler des Krieges, die Blutsauger, die hinter den Kulissen die Weltpolitik dirigieren. Präsident Bush und andere Führer, die großen Medien, die Vereinten Nationen..., sie alle sind nur Agenten der Täuschung und Ausbeutung. Diese und andere Gruppen bedeuten eine tödliche Gefahr für die ganze Welt..."
Diese Ausführungen sind den gesammelten Werken Osama bin Ladens entnommen – seinen Aufrufen, Erklärungen und Interviews von 1994 bis heute, die jetzt in neuer englischer Übersetzung im britischen Verlag Verso erschienen sind. "Messages to the World", Botschaften an die Welt, heißt das Buch. Die Lektüre ist so ermüdend wie das Lesen der gesammelten Erklärungen der RAF; im Vergleich zum Gegeifere Osamas gegen Kreuzzügler und Juden, Juden und Kreuzzügler ist "Mein Kampf" geradezu geistreich; und es hilft wenig, dass Osamas Texte angeblich, wie der Islam-Experte Bernhard Lewis meint, "ein großartiges Exemplar eloquenter, teilweise sogar poetischer arabischer Prosa" darstellen. Dennoch sollte die Welt Osamas Botschaften lesen, so wie sie "Mein Kampf" hätte lesen sollen. Denn – und hier sind wir wieder bei Enzensberger – die Psychologie des einzelnen Mörders ist uninteressant, so lange er vereinzelt bleibt. Interessant sind vielmehr die Ideologen und Organisatoren, die erst diesen Loser-Typen Ideen und Waffen liefern, sie als Bolschewiki und Nazis, Mitglieder der RAF oder von Al Qaida zu Herren über Leben und Tod von Tausenden machen.
Osama bin Laden hat deshalb die Fantasie vieler Araber entzündet, weil er grandiose Ziele verfolgt: Nicht Frieden mit Israel, sondern
"Djihad gegen die Juden, bis das Land seinem Volk zurückgegeben worden ist und diese wandernden Juden zurückgekehrt sind in ihr Land."
Nicht Frieden mit Europa, sondern
"Djihad, bis das Banner der Einheit Gottes über jedem von den Muslimen geraubten Land weht, von Palästina bis nach Al-Andalus und anderen islamischen Ländern, die verloren wurden ... "
Und: Nicht Koexistenz mit dem Westen, sondern Weltherrschaft des Islam und der Scharia. "Was wollen wir von euch?" fragt Osama in seiner "Botschaft an die Amerikaner" vom 6. Oktober 2002. Und er antwortet:
"Erstens: Wir rufen euch zum Islam... Zweitens: Wir rufen euch auf, unmoralische Taten wie sexuelle Ausschweifung, Homosexualität, Trunkenheit, Glücksspiel und Zinswirtschaft zurückzuweisen... "
Soft Power? Es ist ja gerade die Soft Power Amerikas, gegen die sich Osama ereifert. Seine Revolution ist nicht politisch, sondern moralisch motiviert. In derselben Botschaft vom Oktober 2002 - nach dem 11. September also, nach der Besetzung Afghanistans durch die Nato, auf dem Höhepunkt der Irak-Krise – hat Osama nur wenige Worte für George W. Bush übrig; sein Zorn gilt immer noch einem anderen Präsidenten:
"Wer kann die unmoralischen Taten vergessen, die euer Präsident Clinton im Oval office beging? Und dafür habt ihr ihn nicht einmal zur Rechenschaft gezogen, außer dafür, dass er "einen Fehler beging", wofür er ohne Strafe davonkam. Gibt es etwas Schlimmeres als diese Handlungen? Dafür werdet ihr in die Geschichtsbücher eingehen, daran werden sich die Nationen erinnern."
Wer Osamas Botschaften aufmerksam liest, kann sich einer Erkenntnis kaum entziehen: Osama wurde in den acht Jahren der Clinton-Präsidentschaft in den Augen der arabischen Straße zum Helden, weil er sie lehrte, Amerika zu verachten. Ein Schlüsselerlebnis war Somalia, wo Al-Qaida-Kämpfer aus Afghanistan zusammen mit örtlichen Warlords amerikanische Truppen vertrieben, die im Auftrag der UNO den dortigen Bürgerkrieg beenden sollten:
"Wir lernten von denen, die dort kämpften, dass sie überrascht waren von der niedrigen Moral der amerikanischen Kämpfer im Vergleich zu ihrer Erfahrung mit russischen Kämpfern. Die Amerikaner flohen vor unseren Kämpfern ..., während die Russen blieben. Wenn die USA immer noch glauben und damit angeben, dass sie eine so große Macht haben, nach all ihren Niederlagen in Vietnam, Beirut, Aden und Somalia, dann sollen sie doch ihre Truppen zurückschicken zu denen, die sie erwarten."
Diese Art Hohn und Spott zumindest findet sich seit dem Fall Afghanistans und der Befreiung des Iraks in Osamas Botschaften nicht mehr. Und das registriert auch die arabische Straße. Neue Umfragen zeigen ein schwindendes Vertrauen in Osama bin Laden und eine wachsende Ablehnung seiner terroristischen Methoden, die sich zunehmend gegen die Araber selbst richten.
Hat Osama also verloren? Noch nicht. Ideen sterben langsamer als Menschen. Sechzig Jahre nach Hitlers Ende, vierzig Jahre nach Enzensbergers Ausfällen gegen den Weltfeind USA, dreißig Jahre nach dem deutschen Herbst, fünfzehn Jahre nach dem Fall der Sowjetunion ist der Antiamerikanismus in Deutschland noch virulent. In der arabischen Welt bildet das Gebräu aus Islam, Antisemitismus und Antiamerikanismus immer noch das potenteste Gift gegen alle Bestrebungen, diese Gesellschaften zu modernisieren. Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.
Bruce Lawrence: Messages to the World – Statements of Osama bin Laden
Englische Originalausgabe
Verso Verlag, London/New York 2005