Botschafter bittet Deutschland um Waffen
Die Kämpfe in der Ostukraine und die Spannungen auf der Krim haben sich in den vergangenen Wochen verstärkt. Der ukrainische Botschafter in Deutschland, Andrij Melnyk, bittet Europa um Unterstützung: Die Ukraine brauche dringend defensive Waffen.
Die Ukraine nehme die russischen Handlungen auf der Krim wie massive Aufrüstung und Manöver sehr ernst. Eine neue Front hätte verheerende Folgen – für ganz Europa, warnte Andrij Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland. Die Ukraine brauche dringend defensive Waffen aus Deutschland, zum Beispiel Artillerie-Ortungssysteme oder Fahrzeuge, um Verwundete zu transportieren.
Osten ist "schwarzes Loch"
Der Grenzschutz nehme auch die Gefahr sehr ernst, dass Waffen aus der Ostukraine nach Europa geschmuggelt würden und in die Hände von Terroristen fallen könnten. Allerdings sei das schwierig, räumte er ein: "Es herrschen Kriegszustände. Wir haben ein Schwarzes Loch da im Osten. Da kann man nicht immer alles kontrollieren." Der Grenzschutz habe in diesem Jahr bereits 600 Waffen beschlagnahmt – ein Anstieg im Vergleich zu 900 Waffen im gesamten vergangenen Jahr.
Wenige Tage vor dem 25. Jahrestag zur Unabhängigkeit der Ukraine (24. August) zog Melnyk auch eine Bilanz des Kampfes gegen Korruption und Oligarchenwirtschaft. Der sei in den vergangenen Jahren voran gegekommen, auch wenn es noch offene Fragen und Probleme gebe. Zu Vorwürfen, dass mit Petro Poroschenko selbst ein Oligarch an der Macht sei, sagte Melnyk: "Ich würde den Präsidenten nicht unbedingt als Oligarchen bezeichnen." Dass er Geschäftsmann ist, sei seinen Wählern bewusst gewesen. Daran habe sich nichts geändert.
Das Interview in voller Länge:
Sabine Adler: Wir haben in der vergangenen Woche Spannungen zwischen der Ukraine und Russland erlebt, als Moskau Kiew unterstellt hat, Terroranschläge auf der Krim zu planen. Präsident Poroschenko hat daraufhin die Truppen in allerhöchste Alarmbereitschaft versetzt. Herr Botschafter Melnyk, muss sich Europa jetzt vor einer neuen Eskalation fürchten?
Andrij Melnyk: Auf jeden Fall müssen wir diese Handlungen sehr ernst nehmen, wir dürfen die nicht unterschätzen, auch wenn diese Vorwürfe lächerlich aussehen und keine Beweise in den letzten Tagen vorgelegt wurden. Trotzdem sehen wir diese Entwicklung jetzt auf der Krim mit größter Sorge – die Truppenbewegungen, die Manöver, die massive Aufrüstung, die geschehen ist in den letzten Monaten. Wir müssen gefasst bleiben, und da muss die Diplomatie gerade noch stärker daran arbeiten, dass eine neue Front, eine südliche Front nicht eröffnet wird, denn die Folgen würden verheerend sein – nicht nur für uns, sondern auch dann womöglich für ganz Europa.
"Es herrschen Kriegszustände"
Adler: Europa, Westeuropa, hat Angst vor Terror, erlebt gerade viel Terror. Es gibt Meldungen, dass Waffen aus der Ukraine in die Hände von Terroristen fallen könnten, fast gefallen wären, denn es gibt erste Meldungen von entsprechenden Festnahmen. Wie kann die Ukraine verhindern, dass die Waffen aus dem Kriegsgebiet es bis nach Westeuropa schaffen?
Melnyk: Wir nehmen diese Meldungen, dass der Schmuggel mit den Waffen aus dem Kriegsgebiet stattfinden kann, sehr, sehr ernst. Man muss auch einfach sagen, es herrschen Kriegszustände, wir haben ein schwarzes Loch da im Osten, praktischerweise über 400 Kilometer Kontaktlinie, die natürlich überwacht wird, aber die nicht ganz dicht ist. Und das heißt, all die russischen Waffen, die in das Kriegsgebiet gelangen, da kann man natürlich nicht immer alles kontrollieren. Was wir tun: Die Grenzschutzbehörde nimmt diese Gefahr sehr ernst, wir haben in diesem Jahr, seit Anfang des Jahres, über 600 Stück Waffen an der Grenze beschlagnahmt, wir haben nur eine leichte Steigerung dieses Volumens – im vorigen Jahr waren das insgesamt über 900 Stück Waffen, die an der Grenze gestoppt wurden. Das heißt, die Gefahr ist vorhanden, aber man arbeitet sehr eng zusammen mit Polen, auch Rumänien. Die Waffen sind unterwegs.
Adler: Die Ukraine feiert in der kommenden Woche 25 Jahre Unabhängigkeit, das Ganze mit einer Waffenparade. Jetzt hat es in Deutschland zuletzt eine Diskussion gegeben, dass die Ukraine auch im Zusammenhang mit der Eskalation der Krim in der vorigen Woche, ob die Ukraine mit Nichtangriffswaffen versorgt werden sollte. Braucht Ihr Land tatsächlich Waffen aus Deutschland?
Melnyk: Auf jeden Fall. Um was wir bitten, sind wirklich nur Defensivwaffen, zum Beispiel wenn wir Artillerieortungssysteme besitzen würden, das würde auch das Risiko einer weiteren Eskalation verringern, denn die Separatisten würden zweimal darüber nachdenken, ob sie den Beschuss beginnen, wenn sie wüssten, dass die Antwort sofort kommen wird, und zwar sehr gezielt und verheerend. Wir brauchen dringend Fahrzeuge, um die Verwundeten zu evakuieren. Wir haben fast jeden Tag Tote, alleine seit Anfang dieses Jahres haben wir über 330 tote Soldaten zu beklagen und über 1.000 Verwundete. Das heißt, wir hoffen da auf mehr Verständnis.
Einfluss der Oligarchen schwinded
Adler: Herr Botschafter Melnyk, wenn in der nächsten Woche dieser 25 Jahre Unabhängigkeit gedacht wird, dann wird der eine oder andere sich natürlich auch fragen, mit welcher Bilanz steht das Land da. Jetzt gibt es Vorwürfe von demokratischen Abgeordneten, die sagen, anstelle einer Beseitigung des Oligarchensystems hat Präsident Poroschenko einfach nur eine neue sogenannte Familie gegründet. Ist die Ukraine nicht in der Lage aufzuräumen mit dieser Oligarchenwirtschaft?
Melnyk: Ja, so schwarz würde ich das Bild nicht sehen wollen. Natürlich bleiben sehr, sehr viele Fragen offen und Probleme, die auch gelöst werden müssen, gerade was den Einfluss des Oligarchentums betrifft. Was wir definitiv sagen können, schon jetzt, dass in den letzten zwei Jahren viele Schritte unternommen wurden, damit dieser Einfluss verringert wird – sei es das Gasgeschäft, also mit Russland, seien das staatliche Aufträge, wo auch sehr, sehr viele Oligarchen davon profitiert haben, ohne einen fairen Wettbewerb zu haben. Ich würde nicht sagen, dass man einfach zusieht oder dass man umgekehrt zulässt, dass die Oligarchen ihren Einfluss ausbauen, das ist definitiv nicht der Fall.
Adler: Wie können Sie das mit solcher Sicherheit sagen, wenn einer der wichtigsten und der oberste Oligarch zugleich der Präsident ist?
Melnyk: Ich würde auch nicht unbedingt den Präsidenten als Oligarchen bezeichnen. Er wurde gewählt mit einer großen Mehrheit der Stimmen, und zwar in der ersten Wahlrunde, das heißt, der Präsident genießt das Vertrauen der Menschen. Die Tatsache, dass er auch als Geschäftsmann ein vermögender Mensch war und bleibt, war auch den Menschen damals vor zwei Jahren bewusst, und da hat sich auch nichts geändert.
Schwierigkeiten bei Korruptions-Bekämpfung
Adler: Es gibt den Aufruf der Ukrajinska Prawda, einem wichtigen Medium in der Ukraine, an die Regierungen der EU-Mitgliedsländer, die Finanzhilfen einzustellen für die Ukraine und die Visaliberalisierung nicht zuzulassen und Sanktionen gegen bestimmte Politiker einzuführen. Der Hintergrund ist, dass der Kampf gegen die Korruption ihrer Meinung nach nicht konsequent geführt wird und ein Steuersystem, ein elektronisches Steuermeldesystem eingeführt wurde, von dem man wusste, dass es von vornherein nicht funktioniert. Erfolgt der Kampf gegen die Korruption am Ende doch nur halbherzig?
Melnyk: Das glauben wir nicht. Wir haben jetzt diese technischen Schwierigkeiten, und ich bin mir sicher, dass diese sehr zügig beseitigt werden. Für mich ist das nur ein Zeugnis, dass der Widerstand dermaßen riesig ist, dass bei allem Willen man trotzdem nicht alle Schwierigkeiten sofort beseitigen kann. Die Aufrufe der Zivilgesellschaft in der Ukrajinska Prawda, die haben mich persönlich verwundert – es kann nicht behilflich sein, wenn man die westlichen Partner dazu aufruft, die Schritte, auf die die Menschen warten, jetzt zu verhindern. Und von daher, Fehler passieren, die werden ganz bestimmt sehr zügig beseitigt werden, und ich hoffe, dass die Menschen in der Ukraine noch bis Ende des Jahres visafrei nach Europa reisen dürfen.
Heckmann: Der Botschafter der Ukraine, Andrij Melnyk, war das, im Gespräch mit meiner Kollegin Sabine Adler.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.