Botticelli in Berlin

Die Venus passt zur Popkultur

In der Gemäldegalerei Berlin schaut sich ein Besucher der Ausstellung "The Botticelli Renaissance" das Gemälde «Venus» von Sandro Botticelli an.
In der Gemäldegalerei Berlin schaut sich ein Besucher der Ausstellung "The Botticelli Renaissance" das Gemälde «Venus» von Sandro Botticelli an. © dpa / picture alliance / Felix Zahn
Frank Zöllner im Gespräch mit Dieter Kassel |
Eine Ausstellung in der Berliner Gemäldegalerie zeigt Werke des Renaissance-Meisters Sandro Botticelli und dessen Einfluss auf die Kunstwelt. So passe Botticellis "Die Geburt der Venus" zur Waren-Ästhetik der heutigen Zeit, erklärt der Kunsthistoriker Frank Zöllner.
Die perfekte Renaissance-Schönheit der Botticelli-Venus ist vom 24. September an in einer Sonderausstellung in der Berliner Gemäldegalerie zu bewundern - gemeinsam mit vielen anderen Werken Sandro Botticellis (1445 bis 1510). Bis heute fasziniert sie ikonenhaft Künstler und die Werbeindustrie, die sich eifrig von ihr inspirieren lassen. Warum hat die heidnische Göttin, die Sandro Botticelli 1486 in seinem Gemälde "Die Geburt der Venus" verewigte, bis heute nichts von ihre Anziehungskraft eingebüßt?
Botticellis Kunst ist Teil unserer Produktkultur
Für den Leipziger Kunsthistoriker Frank Zöllner passt die "Venus" perfekt in unsere heutige Popkultur, in der alles um Perfektion und Schönheit kreise. Botticelli passe "zur Waren-Ästhetik. In den vielen Kunstwerken, die von ihm inspiriert sind, spielt natürlich Schönheit als Ware eine Rolle. Berühmte Fotomodelle posieren in der Pose der Gemälde Botticellis. Und diese im Grunde sehr einfache, sehr glatte, lineare Ästhetik seines Schönheitsideals - das passt natürlich in unsere Produktkultur, wo Schönheit einen hohen Status hat, weil einfach alles an Schönheit festgemacht wird."
Heute könne es sich kein Schauspieler mehr leisten, nicht schön zu sein. Vor 50 Jahren sei dies noch anders gewesen. Wie es sich anfühlt, Botticellis Venus zu sein, können jedenfalls die Besucher selbst feststellen: Vor der Gemäldegalerie können sie in einer Muschel posieren.

Dieter Kassel: Große Kunstausstellungen sind heute nicht mehr einfach nur das: Ausstellungen. Es sind große Events, und das gilt sicher auch für "The Botticelli Renaissance", eine Ausstellung, die in der Berliner Gemäldegalerie morgen eröffnet wird und die dann bis zum 24. Januar ziemlich sicher viele, viele Besucher anlocken wird. Warum fasziniert uns Botticelli so sehr - uns und auch viele Künstler und Kreative der Gegenwart? Das fragen wir jetzt Frank Zöllner, Professor für mittlere und neue Kunstgeschichte und Direktor des Instituts für Kunstgeschichte an der Universität Leipzig. Schönen guten Morgen, Herr Zöllner!
Frank Zöllner: Guten Morgen!
Kassel: Das, was, glaube ich, so gut wie alle kennen und jetzt vor Augen haben von Sandro Botticelli, das ist "Die Geburt der Venus" aus dem Jahre 1490. Die ist ja quasi heute ebenso Renaissance wie Popkultur. Warum ist das so?
Die Venus als Meilenstein der Kunstgeschichte
Zöllner: Dafür gibt es sicherlich sehr, sehr viele Gründe. Ich denke, ein Hauptgrund liegt sicherlich darin, dass das Bild selbst mit seinem Entstehen ja doch etwas sehr, sehr Neues gemacht hat. Es gab so in der Zeit Ende des 15. Jahrhunderts natürlich großformatige, fast lebensgroße frontale Aktgemälde - also nackte Frauen, direkt frontal gesehen -, das gab es in großformatigen Gemälden eigentlich nicht. Das gibt es vielleicht im Kleinen so ein bisschen, und das gibt es so ein bisschen verbrämt in Adam-und-Eva-Darstellungen und dergleichen mehr, aber einfach so eine heidnische Göttin, dass die plötzlich nackt dem Betrachter entgegentritt, das ist im Grunde neu gewesen.
Und weil es neu war und weil er eben auch damals schon ein wichtiger Künstler war, ist dieses Bild dann relativ rasch im Grunde zu einer Art Meilenstein der Kunstgeschichte geworden. Im Laufe der Jahrhunderte ist es natürlich auch voll abgegangen mit dem Ruhm und der Bekanntheit Botticellis, aber im Laufe der Jahrhunderte hat sich das dann im Grunde wie so eine Art Sediment im Bildgedächtnis festgesetzt und wird dann immer wieder hervorgezogen, wenn man die antike Göttin der Schönheit – und der Liebe natürlich –, wenn man die darstellen, hervorrufen will. Daher kommt sicherlich diese Popularität, weil es einfach ein Novum war.
Kassel: Nun sagen ja viele, Botticelli, seine Motive, sein Werk, die "Venus" vor allem, aber nicht nur die, seien heute noch erkennbar nicht nur in der zeitgenössischen Kunst an einigen Stellen, sondern auch in der Popkultur und im Kommerz - in der Werbung zum Beispiel, in der Mode. Warum passt der denn heute noch so gut in die Gegenwart offenbar?
"Botticelli hat einen alten Typus aufgegriffen"
Zöllner: Tja, das ist eine schwierige Frage. Er passt natürlich gut in die Gegenwart, weil er im Grunde Teil eines längst etablierten Kanons ist, den man auch irgendwie denkt, dass man ihn leicht anwenden, leicht rezipieren kann. Ich meine, es ist natürlich auch eine erprobte Bildformel, wenn Sie so wollen - eine erprobte Bildformel, wenn Sie diesen Akt zum Beispiel, also die "Venus", wenn man die immer wieder hervorruft, weil jeder kennt diesen Typus, und dieser Typus ist als solcher auch nicht wiederum eine Erfindung Botticellis, sondern geht eben auf einen antiken Typus zurück, nämlich die Mediceische Venus.
Das heißt also, Botticelli hat einen alten Typus aufgegriffen und ihn verwandelt, ein Gemälde, und hat im Grunde eine große Prägekraft besessen. Das beantwortet natürlich nicht die Frage, warum das heute jetzt besonders wieder hervorgeholt wird, aber ich denke, er passt auch ganz gut zur wahren Ästhetik. In den vielen Kunstwerken, die ja jetzt von ihm inspiriert sind, spielt natürlich Schönheit als Ware eine Rolle.
"Das passt natürlich in unsere Produktkultur"
Sie haben da berühmte Fotomodelle, die posieren dann in der Pose der Gemälde Botticellis, und diese doch sehr im Grunde einfache, sehr glatte, lineare Ästhetik seines Schönheitsideals auch, das passt natürlich in unsere Produktkultur, wo Schönheit natürlich einen hohen Status hat, weil einfach alles an Schönheit festgemacht wird. Heute kann ja keine Schauspielerin, kein Schauspieler mehr berühmt werden, ohne schön zu sein. Ich meine, das war vor 50 Jahren noch anders.
Kassel: Das passt gut zu der Werbung, die für diese Ausstellung gemacht wird. Da wird unter anderem mit Videos geworben, die Botticelli-Motive mit Schauspielern am Berliner Wannsee, dem Stadtbad Neukölln oder auch dem Medizinhistorischen Museum der Charité zeigen, auf dem Platz vor der Gemäldegalerie wird eine Muschel aufgebaut, in der man sich selbst als Botticelli-Venus fotografieren kann. Was halten Sie denn von so einer doch pur popkulturellen Annäherung an einen Künstler, der vor knapp 500 Jahren gestorben ist?
Zöllner: Ja, das kann man machen, das ist ja auch im Grunde sehr verbreitet. Andy Warhol hat ja auch alle möglichen Versatzstücke aus der Geschichte und der Kunstgeschichte sich zusammengesucht und in eine Ikone der Popkultur verwandelt. Das ist ein probates Mittel, denke ich mal. In diesem Fall geht es natürlich auch um Produktwerbung insofern, als man natürlich für die Ausstellung werben will.
Aber man darf natürlich nicht vergessen, diese Schönheiten der Renaissancen, der "Venus" zum Beispiel, das waren zwar nicht irgendwelche Berühmtheiten unbedingt, die Akte, die er dort dargestellt hat, also keine Personen, aber es waren halt berühmte Bilder, man spielt eben auch mit Berühmtheit.
Aber wie gesagt, es geht letztlich natürlich immer um Schönheit letztlich als ein Kennzeichen zum Beispiel der Besitzer, dass sie Geld und Macht haben. Und das ist eine Parallele, die man heute im Grunde auch sehen kann.
Heute haben wir ja dieses Schönheitsideal, das macht sich natürlich auch an einer bestimmten Schicht fest, es macht sich an einem bestimmten Niveau von Reichtum und Macht fest, und diese Bilder, über die wir hier reden von Botticelli, die sind damals für die Eliten geschaffen worden, die Reichtum hatten und die sich diese Bilder leisten konnten. Und heute ist es genauso, Schönheit auf einem bestimmten Niveau kann man sich natürlich heute, im Original zumindest, in Bildern, aber auch in seinen Bekanntschaften nur ab einer bestimmten Klassenzugehörigkeit leisten. Insofern gibt es da eine Parallele, wenn man es mal vulgärmarxistisch analysieren möchte.
Kassel: Der Kunsthistoriker Frank Zöllner über Sandro Botticelli und die Ausstellung, die ihm in Berlin gewidmet ist. Sie heißt "The Botticelli Renaissance", wird morgen eröffnet und ist dann bis zum 24. Januar in der Berliner Gemäldegalerie zu sehen. Professor Zöllner, vielen Dank fürs Gespräch!
Zöllner: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
"Botticelli Renaissance", bis 24. Januar, Di. bis So., in der Berliner Gemäldegalerie im Kulturforum, Matthäikirchplatz, 10785 Berlin
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