Boulevard trifft Philosophie

Von Elisabeth Nehring |
Der zweigeteilte Abend "Katarakt/Brief an Deutschland" von Patrick Wengenroth im Berliner Hebbel am Ufer ist ein unterhaltsames Experiment - das die Eitelkeit des Bild-Kolumnisten Wagner entlarvt. Für die Ausführungen des Intellektuellen Goetz ist man als Zuschauer am Ende eigentlich zu müde.
Den Boulevard-Journalisten und Bild-Kolumnisten Franz Josef Wagner und den wort- und gedanken-mächtigen Intellektuellen Rainald Goetz bringt man auf den ersten Blick nicht gerade zusammen – und Regisseur Patrick Wengenroth tut es, entgegen aller Erwartungen, in seinem neuesten Theaterabend auch nicht.

Die Performance überschreibt Wengenroth mit Buch- und Stück-Titeln seiner Protagonisten: "Katarakt" – das "Hegelstück", in dem "ein Alter über sein Leben redet" von Rainald Goetz und "Brief an Deutschland" von Franz Josef Wagner – zugleich Lebensbericht und Hommage an Deutschland. Wagner, der für Boulevard, Massenmedien, und Massenmanipulation steht, erzählt darin sein Leben – gespiegelt in 70 Jahren Zeitgeschichte und eben aus diesem Buch wird der ganze, fast zweistündige erste Teil der Performance bestritten.

Vivien Mahler, Verena Unbehaun, Niels Bormann und Patrick Wengenroth selbst zitieren Wagner. Kreuz und quer geht es, unterbrochen durch Songs der Live-Band Ja Panik, durch verschiedenste Lebensstationen und Episoden (die eigene Kindheit, die Mutter, die eine Kriegswitwe war, der schmähliche Schulabbruch, sein Start bei der Bild-Zeitung, der Moment, in dem Wagner das Springer Hochhaus nach einem Attentat betritt und nach seinem Manuskript sucht, die Sicht auf das eigene Journalisten-Dasein, usw.) In allen Facetten: angeberisch, nachlässig, machohaft, pathetisch, verklemmt, eitel wird hier gesprochen.

Das Spielen und Springen in und mit dem Text entlarvt Wagner als eitlen, selbstgewissen, auch überheblichen Menschen, doch selbst zu diesem Prozess der Entlarvung halten die Schauspieler noch eine gewisse ironische Distanz (allen voran der wirklich hervorragende Nils Bormann). Viel mehr als um den simpel erhobenen Zeigefinger, der auf das Ego Wagners weist, geht es in dieser Wengenroth-Produktion wieder einmal um das Sprechen selbst: was passiert, wenn man etwas ganz anders spricht als erwartet, gemeint oder gewollt? Verborgenes wird aufgedeckt, Kontext verändert sich, Angedeutetes wird überdeutlich sichtbar. Wengenroths unterhaltsames Experiment lässt die Vieldeutigkeit jedes Sprechens (auch Versprechens) sichtbar werden.

So auch im zweiten Teil "Katarakt", den die junge Schauspielerin Eva Löbau ganz alleine bestritt und den eine ungeschickte Dramaturgie den fast zwei Wagner-Stunden nachsetzte, sodass man vor lauter Erschöpfung schon kaum mehr folgen konnte und mochte. Dabei hätte es sich gelohnt. Eva Löbau spricht diesen Katarakt-Text – sprunghafte Ausführungen eines intellektuellen, spinnerten, verschrobenen, misanthropischen, klugen (Lebens-)Philosophen – im Duktus einer jungen, energischen Frau, die sich noch selbst zuhört, wenn sie redet, nicht ablassen kann von ihren Gedanken. Wäre man nicht so müde gewesen, Eva Löbau hätte einen an diesem Abend reich beschenkt. In jedem Fall hat ihr "Katarakt" einen solitären Auftritt und ein aufmerksames, waches Publikum verdient.

Katarakt/Brief an Deutschland
Von Rainald Goetz und Franz Josef Wagner
Regie: Patrick Wengenroth
Theater Hebbel am Ufer in Berlin
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