Soziologin über Boykotte gegen Russland

„Denken in Gut und Böse fördert das Kriegsgeschehen“

07:22 Minuten
Gestapelte Container mit unterschiedlichen Firmenaufdrucken
Gestapelte Container mit unterschiedlichen Firmenaufdrucken © picture alliance / blickwinkel/McPHOTO/C. Ohde | McPHOTO/C. Ohde
Anja Weiß im Gespräch mit Julius Stucke · 03.03.2022
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Firmen liefern keine Ersatzteile mehr nach Russland, Supermärkte nehmen russische Produkte aus dem Regal: Die Soziologin Anja Weiß sieht in den Boykotten und Sanktionen eine große soziale Bewegung, die auch Gefahren birgt.
Die weltweiten Boykotte gegen Russland sind nach Ansicht der Soziologin Anja Weiß Teil einer „großen, transnationalen sozialen Bewegung“. Wenn eine solche erst einmal Fahrt aufnehme, sei sie oft überraschend durchschlagskräftig, erläutert die Wissenschaftlerin.

Die Guten und die Bösen

Konfliktwissenschaftlich könne das Phänomen laut Weiß auch als Eskalationsphase eines Konflikts angesehen werden. Diese „dritte Phase“ in der Konfliktentwicklung zeichne sich dadurch aus, dass „ganz klar zwischen ‚Wir‘ und ‚Ihr‘, zwischen Gut und Böse unterschieden“ werde.
Die „Bösen“ würden dabei oft als nicht menschlich oder als verrückt dargestellt. Die Gefahr sei dabei, dass sich dies auf alle Russen verallgemeinere, warnt Weiß.

Auch die andere Seite sehen

Für die Ukrainer, die derzeit ihr Land in diesem Angriffskrieg verteidigen, sei es andererseits „sehr wichtig“, eine solche „geteilte Identität und Solidarität zu erleben“, glaubt die Wissenschaftlerin. Dies trage auch den Widerstand der Ukrainer.
Dagegen aber fördere es auch das Kriegsgeschehen, wenn man nur noch in Gut und Böse denken könne und nicht mehr sehe, „dass auf der anderen Seite auch Leute sind, die das nicht klasse finden, dass sie jetzt in einem Krieg verheizt werden".

Medien verbieten ist „Gegenteil von Demokratie“

Kritisch bewertet die Soziologin auch einen Teil der derzeitigen Boykotte westlicher Länder: „Wenn man für Demokratie werben will, ist es keine gute Idee, Medien zu verbieten oder Künstler zu feuern. Das ist eigentlich das Gegenteil von Demokratie“, sagt sie.
„Bestürzt“ äußert sich Weiß darüber, dass Matthias Platzeck, ehemaliger Ministerpräsident von Brandenburg, sich dafür rechtfertigen musste, dass es sich über viele Jahre hinweg für Völkerverständigung eingesetzt habe. Dies sei „übers Ziel hinausgeschossen“.
(tmk)

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