T.C. Boyle: Wassermusik
Aus dem Amerikanischen von Dirk van Gunsteren
Carl Hanser Verlag, München 2014
568 Seiten, 24,90 Euro
Rasant, übertrieben, urkomisch
In seinem fabelhaften Roman-Debüt schickte T.C. Boyle 1982 einen Schotten auf eine verrückte Reise nach Afrika. Jetzt erscheint "Wassermusik" in einer schmissigen Neuübersetzung.
Überberstend, rasant, völlig übertrieben und urkomisch – so nimmt sich die Neuübersetzung von T.C. Boyles Erstlings "Wassermusik" aus. Farbenprächtiger kann ein historischer Roman nicht sein, und es ist kaum vorstellbar, dass dieser 1982 im Original erschienene, komplett verrückte Reisebericht wirklich das Debüt des 1948 in New York geborenen Schriftstellers war. Er wirkt bereits mit allen Wassern gewaschen, zumindest mit allen Wassern des Nigers, denn an diesen afrikanischen Fluss führt die Entdeckungsfahrt von Boyles Helden, die sich im Jahre 1795 zuträgt.
T.C. Boyle bedient sich trickreich aus der Geschichte und greift einen schottischen Afrika-Reisenden heraus, dessen gut dokumentiertes Schicksal förmlich nach einem Roman schrie. Mungo Park heißt der Mann, furchtlos und hinreichend leutselig, jedenfalls in der Version von Boyle. Wir haben es mit einer amüsanten Variation des Pikaro-Romans zu tun, und der Autor stellt seinem Quichotte einen schwarzen Sancho Pansa namens Johnson zur Seite, der in London das Leben eines Dandys führte, bevor er bedauerlicherweise bei einem Duell einen Lord ins Jenseits beförderte und aus England verjagt wurde.
Gemeinsam werden sie von grausamen Mauren entführt, flüchten alle Nase lang vor Angreifern, geraten in Sandstürme, bis alles mehr oder weniger glimpflich in Schottland endet, wo Park endlich seine Verlobte Ailie heiratet. Schon bald bricht er zu neuen Unternehmungen auf, die aber nur noch ein fahler Abklatsch seiner ersten Reise sind und außerdem schlecht enden.
Genüsslich politisch inkorrekt
Parallel zu Parks Schicksal entspinnt Boyle schlitzohrig einen zweiten Erzählstrang, der mindestens ebenso haarsträubend ist und schließlich in den ersten mündet: Es geht um den armen Schlucker Ned Rise, einen Pechvogel. Immerhin entkommt er seiner eigenen Hinrichtung und wird auf einem Gefängnisschiff nach Afrika geschickt, wo ihn Parks für seine Tour rekrutiert. Ein bisschen Glück hat er dann doch noch.
Mit genüsslich politisch inkorrekter Haltung nimmt T.C. Boyle die Kolonialgeschichte aufs Korn und schwelgt auch sonst in der Tradition der Abenteuerliteratur. Dennoch war die deutsche Fassung in die Jahre gekommen. Schon Walter Benjamin stellte fest, dass Übersetzungen altern, während Originale keine Patina ansetzen. Werner Richters erste, verdienstvolle Übertragung erschien 1987, jetzt bringt der Hanser Verlag eine neue Übersetzung von Dirk van Gunsteren heraus. Van Gunsterens herrlich schmissige Version ist philologisch präzise, weniger pompös und syntaktisch enger an das Original angelehnt.
Sie besitzt größere Frische und Leichtigkeit, wenn statt von "bloßen Hinterbacken" nur von "nackter Hintern" die Rede ist oder wenn es heißt "sie fletschen zischend die Zähne" statt wie bei Werner "ihre Schneidezähne schließen sich zischend". Aus Werners Satz "Die Sterne strömen über das Himmelszeit wie vergossene Milch; Moskitos greinen in den Bäumen" wird bei van Gunsteren, weniger pathetisch, "Am Himmel leuchten die Sterne wie verspritzte Milch, zwischen den Zweigen der Bäume sirren die Moskitos". Schiefe Bilder oder Fehler, wie die Verwechselung von Alexander Pope mit dem Papst, wurden ausgebügelt. Eine Wiederaneignung der besten Art.