Brahms und Wagner digital

Streaming-Dienste für Klassikfans

Nahaufnahme vom Körper einer Geige.
Streaminganbieter entdecken den Liebhaber von Geigenklängen für sich. © picture-alliance/ dpa / Lehtikuva Ismo Pekkarinen
Von Philipp Quiring |
Klassische Musik fristet bei großen Streaming-Anbietern wie Spotify bisher ein Nischendasein. Nun gibt es aber Internetdienste, die ihr Angebot speziell auf Hörer ernster Musik zugeschnitten haben.
"Haben Sie noch eines von diesen 'Internetzs'?"
"Ne, tut mir leid, das Letzte ist gerade weg!"
"Hier kannst du alles finden: Auf diesem 'Go-Gle' oder diesem 'Youtup'."
Das Klischee vom Klassik-Hörer als Verstaubter - mit dem Internet fremdelnd - hat längst nichts mehr mit der Wirklichkeit zu tun. Tatsächlich findet, wer sich für klassische Musik interessiert, im Netz ein reichhaltiges Angebot. Nicht zuletzt auf der größten Musik-Plattform der Welt: Youtube.
Gezielt lassen sich hier Einspielungen mit der Suche nach Komponist, Interpret, Orchester, Dirigent oder Jahreszahl finden - etwa von Rachmaninows Drittem Klavierkonzert mit Martha Argerich. War die Videolänge bis vor einigen Jahren noch auf maximal zehn Minuten begrenzt, hat Youtube diese Sperre mittlerweile aufgehoben. Gesamte Konzerte und Opernproduktionen sind in voller Länge aufrufbar. Aus urheberrechtlichen Gründen lassen sich jedoch bestimmte Aufnahmen nicht oder nur eingeschränkt abspielen oder stehen ohne Bild zur Verfügung - wie etwa die legendäre Einspielung mit Wladimir Horowitz, ebenfalls von Rachmaninows Drittem Klavierkonzert.

Nostalgische Erinnerungen im Internet festgehalten für die Ewigkeit: Doch was ist mit den Neueinspielungen? Hier sind vor allem die auf Musik spezialisierten Streamingdienste relevant, die ihr Geld mit Abo-Gebühren und Werbeeinnahmen verdienen. Mit 30 Millionen zahlenden Nutzern ist Spotify derzeit der erfolgreichste Musik-Streamingdienst.
Während etwa von der aktuellen CD des Klarinettisten Martin Fröst im öffentlichen Internet nur Interviewmaterial, kurze Trailer und einzelne Tracks zu hören sind, steht auf Spotify sein komplettes Album bereit. Mit dem von CD gewohnten Komfort lassen sich auch einzelne Tracks nach Belieben abspielen.
Belohnt werden die Interpreten klassischer Musik - ebenso wie im übrigen ihre Kollegen aus der Pop-Branche - pro Aufruf einer Aufnahme mit Bruchteilen von Cent. Das liegt auch daran, dass die Plattenfirmen den größten Teil der Streaming-Einnahmen für sich behalten und die Künstler häufig mit einem Taschengeld abspeisen.

Sinfonie-Hörgenuss von Werbung unterbrochen

Im Vergleich zum Pop hat klassische Musik zudem ein weiteres Handicap: Die Aufnahmen werden seltener aufgerufen und sind im Schnitt deutlich länger. Das kann vor allem für Hörer nervig werden, die sich für die gebührenfreie, dafür werbefinanzierte Variante von Spotify entscheiden: Sie können dann schon mal mitten aus einer Sinfonie gerissen werden. Dem lyrischen Adagio vorausgehend erklingt dann: "Lust auf noch mehr abgefahrene Sounds" - oder einfach nur Werbung. Wer hingegen auf einen ungestörten Musikgenuss Wert legt, muss knapp zehn Euro im Monat investieren. Dafür kann man dann unbegrenzt Musik aus einer Auswahl von etwa 30 Millionen Titeln hören.
Schwer macht es Spotify seinen Nutzern auch, in dieser riesigen Jukebox die gewünschte Klassik-Aufnahme zu finden. Eine kombinatorische Suche mit Klassik-relevanten Parametern wie "Dirigent-Toscanini", "Brahms-Dritte Sinfonie" beherrscht die Suchfunktion nicht.
Jeder zwanzigste Titel auf Spotify ist ein Klassik-Titel, dennoch war es offenbar bisher nicht möglich, diese Schwäche zu beheben. Ein Berliner Start-up-Unternehmen nutzt dies für die noch recht junge Plattform Idagio. Toscanini und sein Brahms lassen sich ohne Probleme finden, zudem kann der Nutzer wählen, ob er die gesamte Sinfonie oder einzelne Sätzen hören will.

Kleine Streamingdienste speziell für Klassik

Während die Nutzer von der leichteren Bedienung profitieren, will Idagio Orchestern als Plattform dienen, gezielt eigene Konzerte als Streaming-Angebot im Internet zu verbreiten. Allerdings ist Idagio mit einer Auswahl von insgesamt nur wenigen tausend Titeln noch ein Zwerg unter den Streaming Anbietern. Das Hören von Musik ist dafür noch kostenlos. Wer monatlich fünf Euro für die Premium Version bezahlt, bekommt dafür eine größere Auswahl und eine bessere Klangqualität.
Anders verhält es sich mit Video-Streaming Diensten, die sich auf klassische Musik spezialisiert haben. Medici TV bietet nach eigenen Angaben jährlich etwa 100 Klassik-Liveübertragungen sowie Zugriff auf archivierte Opern- und Konzertproduktionen. Außerdem hat der Internet-Sender rund 540 Dokumentarfilme und 360 Künstlerporträts im Programm. Der Haken: Es kostet rund neun Euro pro Monat.
Auch die wichtigste Produktionsfirma für Konzert- und Opernproduktionen in Deutschland - Unitel Classica - möchte in den online Streaming-Markt mit einsteigen.
Und da wären ja auch noch die einzelnen Häuser, die sich auf eigene Faust im Netz präsentieren. Pioniere waren hier vor allem die Berliner Philharmoniker mit ihrer Digital Concert Hall: Für monatlich 14,90 Euro stellen sie ihre Konzerte online zur Verfügung und liefern durch ihr Archiv einen Einblick in ihre Geschichte.
Nach eigenen Angaben legt das Publikum der Digital Concert Hall jährlich um 20 bis 30 Prozent zu. Eine Zahl, die darauf schließen lässt, dass sich auch in Zukunft das digitale Klassikangebot weiter ausgebaut wird - verstaubt ist da nichts mehr!
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