Das Parlament soll jünger und bunter werden
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Eine progressive, zukunftsweisende Politik - dafür engagiert sich die Bewegung "Brand New Bundestag". Die unterstützt acht ausgewählte Kandidatinnen und Kandidaten bei ihrem Weg ins Parlament. Das Vorbild kommt aus den USA.
"Ich bin nominiert worden. So jetzt wird’s etwas lauter, ich hoffe, das stört nicht", sagt Edwin Greve, während im Hintergrund die Waschmaschine läuft. Greve ist 27 und wohnt in Berlin. Er ist politischer Referent beim Migrationsrat, einem Verein, der sich für Interessen verschiedener Bevölkerungsgruppen einsetzt. Greve vertritt also seit Jahren Anliegen von Minderheiten, macht politische Arbeit – und oft frustrierende Erfahrungen.
"Irgendwas passiert und dann schreiben Verbände Stellungnahmen und dann schickt man diese Stellungnahme vielleicht auch noch mal direkt an irgendwelche Politikerinnen und wenn sie Glück haben, werden sie mal zu einem Gespräch eingeladen. Aber wenn sie Pech haben, passiert auch einfach gar nichts. Das ist ein Gefühl, was viele vor allem auch kleinere Verbände haben: Man redet irgendwie in den leeren Raum rein."
"Wir kämpfen für eine zukunftsweisende Politik"
Edwin Grewe hat schon länger mit dem Gedanken gespielt, sich mal stärker in die Politik einzuklinken, aber Partei-Strukturen haben ihn bisher nicht angezogen. Dann machte ihn eine Kollegin auf Brand New Bundestag aufmerksam und sagte, das wäre doch sein Ding.
"Eben auch politische Arbeit in Parlamenten und ich habe gesagt: Okay, ich würde mich mal drauf einlassen."
Brand New Bundestag ist rechtlich eine Genossenschaft, de facto aber eine Partei neuen Typs.
"Wir als Brand New Bundestag kämpfen für eine progressive, zukunftsweisende Politik", sagt Eva-Maria Thurnhofer, die Brand New Bundestag mitinitiiert hat.
"Für uns ist eine zukunftsweisende Politik zum Beispiel, das Einhalten des 1,5-Grad-Ziels oder staatliche Seenotrettung im Mittelmeer zu garantieren."
Es gebe viele Menschen, die sich in außerparlamentarischen Gruppen für die Ziele engagieren: Fridays For Future, Black Lives Matter, unteilbar.
Lust zum Engagement ist da
Brand New Bundestag sei geboren aus der Analyse, "dass es in der Zivilgesellschaft eine totale Lust und einen totalen Bedarf gibt, voranzugehen und dass es da viele, viele Menschen gibt, die sich engagieren möchten, aber weder die Themen, noch diese Menschen es ja offensichtlich in die Politik schaffen."
Das Durchschnittsalter der Abgeordneten im Bundestag liegt bei 50 Jahren – deutlich über dem Schnitt der Bevölkerung. Nicht mal ein Drittel der Abgeordneten sind Frauen und von 100 Menschen im Bundestag sind 16 Juristen. Brand New Bundestag will neue Themen und Menschen ins Parlament bringen, den Bundestag bunter, repräsentativer machen.
Das kostet auch Geld. 15.000 Euro steuert bisher die Guerrilla Foundation bei, eine Stiftung, die sich einer nachhaltigeren und faireren Gesellschaft verschrieben hat. Weitere 13.500 hat Brand New Bundestag bisher durch ein Crowdfunding eingesammelt, diese Kleinspenden sollen zukünftig das Fundament der Finanzierung bilden.
Statt aber eine Partei zu gründen, hat sich das vierköpfige Kern-Team von einer Organisation aus den USA inspirieren lassen: Mit "Brand New Congress" haben Anhänger des linken Bernie Sanders viel Geld gesammelt, um progressive Menschen ins Parlament zu bringen – etwa die populäre Demokratin Alexandria Ocasio-Cortez. Brand New Bundestag hat aus rund hundert Bewerbern und Bewerberinnen acht ausgewählt.
Großer Gestaltungswille gefragt
"Die Voraussetzung war, dass die Personen, die nominiert wurden, authentisch sein mussten und uns vermitteln mussten, dass sie den Mut haben, für die Veränderung zu kämpfen und einen sehr großen Gestaltungswillen mitbringen", sagt Eva-Maria Thurnhofer von Brand New Bundestag.
Sie macht seit Jahren PR für nachhaltige Unternehmen – aktuell nur noch Teilzeit. Die Mit-Gründer sind: Daniel Veldhoen, Künstlerischer Direktor der Münchner Kammerspiele und Maximilian Oehl, ein Jurist, der sich in der Vergangenheit für die Rechte von Geflüchteten eingesetzt hat.
"Wir haben also gesucht nach visionären Pionieren, die fähig sind, Menschen zu verbinden."
"So ein Bewerbungsverfahren ist ja immer beidseitig. Nicht nur Brand New Bundestag hat sich die Kandidaten und Kandidatinnen angeschaut, sondern auch wir als Kandidaten und Kandidatinnen haben uns angeschaut, ob Brand New Bundestag zu uns passt."
Armand Zorn will für die SPD in Frankfurt am Main in den Bundestag. Beim Auswahlverfahren musste Zorn Fragen beantworten, am Ende gab es ein zweitägiges Seminar.
"Wir hatten eine Podiumsdiskussion, wir hatten ein Interview, das gespielt wurde. Also das war durchaus vielseitig. Es hat aber auch gezeigt, wie Brand New Bundestag an die Sache rangeht: ziemlich modern, ziemlich progressiv und das macht Lust auf mehr."
Ideen außerhalb der Parteiblase durchdenken
Armand Zorn hat es geschafft, ist einer der Acht, die Brand New Bundestag unterstützt. Armand Zorn ist 32 Jahre, in Kamerun geboren, in Halle aufgewachsen und heute Unternehmensberater für digitale Strategien in Frankfurt am Main. Die Jury sagte Zorn nach seiner Auswahl, er habe sie inhaltlich überzeugt mit seinen Themen digitale und nachhaltige Wirtschaft. Außerdem sei sein Auftreten charismatisch, verkörpere einen neuen Politikstil.
In der Frankfurter SPD muss sich Zorn noch gegen zwei Konkurrenten durchsetzen – die Unterstützung von Brand New Bundestag ist da sicher kein Nachteil, schon jetzt gibt es Gespräche und Workshops.
"Brand New Bundestag ist eine gute Unterstützung, wenn es darum geht, Ideen außerhalb der Parteiblase durchzudenken. Wir arbeiten jetzt schon zusammen, aber wenn ich dann Kandidat bin, können wir gemeinsam in den Wahlkampf ziehen."
Brand New Bundestag kann seinen Kandidaten und Kandidatinnen einiges bieten: Medienberichte sorgen für Sichtbarkeit und Bekanntheit der Kandidaten. Brand New Bundestag schult die Kandidaten: Auftreten, Reden, Umgang mit Medien. Brand New Bundestag hat digitales Wissen und kann beim Online-Wahlkampf in Corona-Zeiten helfen. Und bei Brand New Bundestag melden sich täglich Freiwillige, die helfen wollen – und die dann an Leute wie Armand Zorn vermittelt werden.
Unterstützung durch Werbung, Training, Freiwillige
"Brand New Bundestag ist ein Netzwerk an verschiedenen jungen Aktivisten. Heutzutage haben sie ja viele junge Menschen, die sich politisch engagieren wollen, aber nicht Parteimitglied sind, sondern über Aktivismus engagieren sie sich. Und Brand New Bundestag hat natürlich die Möglichkeit zu sagen: Wir haben hier progressive Politikerinnen und Politiker, diese Menschen könnt ihr unterstützen."
Werbung, Training, Freiwillige – alles Dienstleistungen, die auch Parteien ihren Kandidaten bieten.
"Die Frage, die sich Parteien stellen müssten, ist: Was ist eigentlich unser Problem, dass Leute glauben, dass sie es schwer haben würden in einer Partei mit ihren Inhalten, Bedürfnissen und Interessen ernst genommen zu werden und Anklang zu finden?", sagt Edwin Greve, der Parteilose aus Berlin, der sich beim Migrationsrat seit Jahren gegen Rassismus und Diskriminierung engagiert. Und der jetzt in die Politik gehen will.
Greve kandidiert für das Berliner Landesparlament, das im nächsten Jahr neu gewählt wird. Als Einzelkämpfer wird er es schwer haben. Doch mit der Unterstützung von Brand New Bundestag, so hofft er, könnte es vielleicht klappen.