Ein politisches Theater auf Erfolgskurs
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Die Künstler Thomas Rühmann und Tobias Morgenstern haben mit dem „Theater am Rand“ einen kulturellen Leuchtturm im Oderbruch geschaffen – eine Region, in der es auch viel Frust gibt.
Mit "Stallkino" lockt der Ziegenhof in Zollbrücke: Durch ein großes Fenster schaut der Besucher auf 120 Deutsche Weiße Edelziegen, die friedlich meckernd im Stroh liegen. Neugierig schauen die Ziegen zurück. Der Hof mit Laden ist Anlaufstelle für Touristen, die auf dem Flussdeich den Oder-Neiße-Fahrradweg entlang radeln. So auch ein Ehepaar aus Hamburg.
Sie sind jedoch nicht nur hierher gereist, um das hausgemachte Ziegeneis zu probieren: Die beiden wollen verstehen, was in Brandenburg und im benachbarten Sachsen los ist – warum die AfD so stark ist.
Michael Rubin, Inhaber des Ziegenhofes, erklärt: "Ja, das kann ich Ihnen sagen. Ganz einfach: Weil die anderen verlernt haben zuzuhören. Die geht auf die Menschen zu und hört denen zu, was die sagen und was denen nicht passt."
Berliner Geist im Oderbruch
Michael Rubin produziert nicht nur mit Hilfe seiner Ziegen Eis, Käse und Salami, vermietet Ferienwohnungen und bietet ein paar Plätze für Wohnmobile, er ist auch parteiloser Bürgermeister von Zollbrücke. Zum "Theater am Rand" könnte man von seinem Hof aus zu Fuß laufen. Aber die wenigsten Theatergäste verirrten sich in seinen Hofladen, bedauert Rubin.
"Theater ist natürlich eine kulturelle Einrichtung im Oderbruch, wo du erstmal gesagt hast ‚kiek an‘. Weil ja der Oderbrüchler zumindest in unserer Region hier so ein bisschen schwerfällig ist, und ehe du den hinterm Ofen vorkriegst, musst du schon mit was kommen. Aber kurioser Weise war das so, dass vom ersten Tage an dieses kleine Zimmer mit zwölf oder 15 Personen auf diesen schmalen Brettern von Anfang an voll war, auch durch die Einheimischen."
Im 1998 gegründeten "Theater am Rand" sei es damals gemütlich gewesen, mit Bierchen und Schmalzstullen: Rubin erinnert sich gern. "Man hat andere Leute kennengelernt! Es kamen ja auch Berliner raus. Wir haben ja auch Berliner, die hier ihr Wochenendgrundstück haben. Die bringen ja sowieso schon eine andere Denkart rein. Und wenn man das über so eine Kulturstätte machen kann, dass man die trifft und über einige Sachen reden kann, dann kann man schon im Ort auch etwas bewirken."
Bisher kein Druck von rechts
Im benachbarten "Theater am Rand" wird es schon zwei Stunden vor Beginn der Vorstellung voll: Die Bühne hat auch ein Restaurant, man sitzt gemütlich unter Bäumen. Das Glas Wein kostet allerdings 7,50 Euro. Und die Bedienung aus dem Oderbruch hat sich noch nie eine Vorstellung angesehen. Der Akkordeonist und Komponist Tobias Morgenstern, einer der beiden Gründer, hat damit kein Problem.
"Wir sind ja keine Dienstleistungseinrichtung hier draußen. Sondern das ist einfach die glücklich gelungene, erfolgreich gelungene Realisierung von künstlerischen Ambitionen und von Geisteshaltungen und von Ästhetik, die wir hier rücksichtslos, so wie wir sie wollten, für uns hergestellt haben. Und natürlich hat sich damit auch ein ganz bestimmter Geist… auch hier im Ort: Die wissen schon, wie wir ticken."
Er selbst wisse nicht, wer von seinen Nachbarn AfD wähle, sagt Morgenstern. Morgenstern und sein Partner, der Schauspieler Thomas Rühmann, spüren keinen Druck von rechts: "Wir merken nur, dass wir, ich sag mal toi toi toi, bis jetzt in gewisser Weise unbehelligt sind."
Auswahl der Stoffe politisch
An diesem Abend werden sie "Mitten in Amerika" spielen – nach dem Roman von Annie Proulx über die öden Weiten von Texas und Oklahoma. Vergleichbar mit den Weiten des abgelegenen Oderbruchs. Dezidiert geht der Spielplan aber nicht auf den sich anbahnenden Rechtsruck in Brandenburg ein. Sie seien ja keine tagesaktuell arbeitenden Kabarettisten, meint Tobias Morgenstern. Trotzdem sei das "Theater am Rand" schon mit der Auswahl der Stoffe politisch, meint Thomas Rühmann. Aber in einem größeren als dem landespolitischen Maßstab.
"Das hat viel mehr zu tun mit dem Erdball und dem, was uns umgibt, als ob wir uns nun gegen die AfD stellen. Das ist mir eigentlich zu pillepalle", erklärt er. Schließlich sei die AfD mit ihren in Umfragen rund 20 Prozent der Stimmen weit von der absoluten Mehrheit entfernt, sagt Rühmann.
Als die Vorstellung beginnt, sind die Wände des selbst gezimmerten Theaterbaus weit geöffnet: Die flache Landschaft der Grenzregion spielt eine der Hauptrollen. Die Zuschauer sitzen dicht gedrängt auf Klappstühlen und Holzbänken. Aus dem kleinen Wohnzimmertheater ist mittlerweile ein großes Unternehmen geworden: Das "Theater am Rand" besuchen im Jahr 25.000 Menschen.
Gut besucht – von Auswärtigen
Trotzdem bewertet Reinhard Schmook den Einfluss der Kultur im Oderbruch eher skeptisch. Der Regionalhistoriker ist Kurator des Oderlandmuseums in Bad Freienwalde. Außerdem sitzt er für die SPD im Kreistag von Märkisch Oderland. Auf der Terrasse des Gasthofes "Zum Alten Fritz" im etwa zehn Kilometer von Zollbrücke entfernten Altlewin rührt Schmook nachdenklich in seiner Kaffeetasse.
"Es gibt sehr viele Künstler im Oderbruch. Kunst ist ausreichend vertreten hier. Aber sie trägt eben nichts für die wirtschaftliche Durchdringung bei. Darf man sich keine Illusionen machen. Und politisch sind sie selten engagiert", erzählt er.
Natürlich brächten die Kulturbesucher den Gasthäusern und Pensionen des Oderbruchs Umsatz. "Aber es sind eben viele Fremde, die abends auch wieder weg fahren, die mit der Landschaft gar nichts zu tun haben, gerade im Theater am Rand. Das ist wie eine Blüte auf dem Sumpf", fährt er fort.
AfD lockt mit "blühenden Landschaften"
Was das Oderbruch wirklich brauche? Innovative Industrieunternehmen, schnelles Internet und eine viel bessere Verkehrsanbindung. Jürgen Dunkel stimmt zu. Seine Familie betreibt hier seit 1920 den Gasthof.
"Ich persönlich fühle mich nicht abgehängt, aber wenn man jetzt von Wriezen ausgeht, die Bahnverbindung nach Berlin, die gekappt wurde nach der Wende. Und die vielen Pendler, die bis zu zwei Stunden nach Berlin rein fahren zur Arbeit, denen fehlt diese Bahnverbindung ganz besonders. Wer frühmorgens hier um fünf losfährt, um um sieben in Berlin zu sein, die fühlen sich natürlich abgehängt."
In Zollbrücke füttert Ziegenwirt Michael Rubin seine Tiere. Die AfD locke die Menschen im Oderbruch mit den blühenden Landschaften, die man ihnen schon nach der Wende versprochen habe, sagt er. Und die dann doch nicht kamen. Stattdessen gingen Schulen am Lehrermangel zugrunde, alte Leute wüssten nicht, wie sie einkaufen sollten, weil es auf den Dörfern keinen Konsum mehr gibt, erzählt der Bürgermeister.
"Die Kommunen krauchen auf den Brustwarzen, weil wir kein Geld haben, es reicht hinten und vorne nicht. Und das ist jetzt über 30 Jahre aufgestaut. Das knirscht, das knirscht unwahrscheinlich. Und Jahre lang hat man versucht, das den Leuten zu erklären und die verstehen das einfach nicht mehr."