Brandenburger Bürgerinitiative geht in Ruhestand

Moderation: Liane von Billerbeck |
Seit 1992 kämpfte die Bürgerinitiative "Freie Heide" gegen das Brandenburger Bombodrom. Drei Jahre nach ihrem entscheidenden Sieg vor Gericht beschlossen die Mitglieder nun ihre Auflösung. Aus ihrem Engagement könne man lernen, "dass sich Einsatz lohnt", sagt Pfarrer Benedikt Schirge.
Liane von Billerbeck: In den Medien, auch bei uns, ist meist sehr viel die Rede von Unerfreulichem, von Untaten, Krisen, Gefahren und Fehlschlägen und viel zu selten über Erfreuliches, über einen schönen Erfolg. Aber so ein Erfolg ist jetzt unser Thema, und das hängt damit zusammen, dass ein hochgelobte Institution ihre Auflösung bekannt gibt. Die Bürgerinitiative "Freie Heide" aus Brandenburg, die sich gegen das sogenannte Bombodrom, für die friedliche Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide im Norden Brandenburgs eingesetzt hat, und das erfolgreich. Ihr langjähriger Sprecher ist Pfarrer Benedikt Schirge, mit dem ich jetzt telefonisch verbunden bin. Herr Schirge, ich grüße Sie.

Benedikt Schirge: Ja, schönen guten Tag, Frau von Billerbeck.

Billerbeck: Erst mal Gratulation noch mal nachträglich. Das ist ja 2009 entschieden worden, dass das Bombodrom, das sogenannte eben, einer friedlichen Nutzung zugeführt wird. Wenn Sie sich zurückerinnern an diese 20 Jahre "Freie Heide" - was waren denn in Ihrem Gedächtnis die größten Herausforderungen.

Schirge: Eine solch lange Strecke zu überwinden, geht, glaube ich, nur, indem man in dieser Bewegung selbst drin ist, in dieser zeitlichen Bewegung, meine ich. Als wir 1992 anfingen und ein Berliner Politologe und sagte, also wir müssten schon mit zehn Jahren mindestens rechnen, um dieses Problem zu lösen, haben wir ungläubig den Kopf geschüttelt, weil wir dachten, wenn hier alle dagegen sind in der Region, wenn das Land sich auf die Seite der Bürger gestellt hat, wenn es viele andere Institutionen gibt, dann muss das doch auch in absehbarer Zeit gehen. Wir haben dann lernen müssen, dass es ein sehr zäher Prozess war, in dem wir uns auch immer wieder neu Kraft gegenseitig geben mussten, aber das ist gelungen.

Was auch schwer war, war, wenn wir viele Gerichtserfolge hatten und hofften, dass es ein Einsehen gäbe aufseiten der Bundeswehr und es immer wieder ein neues Revisionsverfahren gab oder ein neues Verwaltungsverfahren eingeleitet wurde. Auch da war es manchmal nicht einfach, immer den langen Atem zu behalten, aber wir haben das nie infrage gestellt.

Billerbeck: Wie haben Sie es denn geschafft, dass in Ihrer Bürgerinitiative, in der ja sehr, sehr unterschiedliche Menschen vereint gekämpft haben gegen diesen Bombenabwurfplatz - wie haben Sie es geschafft, dass der Zusammenhalt erhalten geblieben ist?

Schirge: Ganz wichtig war der gemeinsame Nenner, den wir hatten. Das war die Verhinderung des Bombodroms, also die zivile Nutzung der Kyritz-Ruppiner Heide. Und da, denke ich, haben viele Menschen sehr auf das Ziel geguckt und nicht auf die ganzen Befindlichkeiten, die man natürlich auch haben kann. Wir kamen ja aus verschiedenen Provenienzen. Die einen, weil sie hier 40 Jahre das erleben mussten, die Belastung durch die Rote Armee, die ja hier Tag und Nacht geübt hat. Die anderen, die aus Gerechtigkeitsfragen gesagt haben, das geht nicht so, das ist stalinistisch enteignet worden und jetzt soll das einfach bundesdeutsches Recht sein. Die dritten, die aus friedenspolitischen Erwägungen sich hier beteiligt hatten. Und die vierten, die auch gesagt haben, hier, in dieser Region möchten wir das nicht. Woanders können wir es nicht beurteilen, aber wir wollen es hier nur für die Region jedenfalls so nicht stehen lassen.

Und bei diesen - das ist jetzt natürlich nur ein gröberer Abriss. Bei diesen verschiedenen Meinungen auf einen Nenner zu kommen, war immer wieder notwendig, dass wir uns darauf besonnen haben, um nicht zu zerfleddern, um nicht in verschiedene Richtungen auseinanderzugehen. Das war nicht immer ganz einfach, aber im Prinzip war das jedem schon klar, sodass auch eine gewisse Selbstdisziplin herrschte und man gesagt hat, wir wollen hier ein Ziel erreichen und das ist dann so eben auch gelungen.

Billerbeck: Nun gab es dann ja des Öfteren Politiker, die Ihnen versprochen hatten zu helfen, damit eben kein Bombenabwurfplatz dort weiter ist, in der Kyritz-Ruppiner Heide, aber kaum in einem bestimmten Amt, beispielsweise des Verteidigungsministers, konnten sie an ihr Versprechen sich nicht erinnern. Was war das für ein Gefühl?

Schirge: Das waren schon große Enttäuschungen. Zumal wir da das Vorbild hatten, dass in Südfrankreich, in Larzac, in den 70er-Jahren es ähnliche Auseinandersetzungen gab mit genauso viel Protesten und der Präsidentschaftskandidat Mitterand damals gesagt hat, wenn ich Präsident werde, wird der Larzac nicht zum großen Bombenabwurfplatz ausgebaut. Nun hatten wir fast das Pendant. Denn Kanzlerkandidat Scharping war vor Ort und hat gesagt: Wenn ich regiere oder mitregiere, also seine Partei, dann wird das hier kein Bombenabwurfplatz. Als er dann einige Jahre später Verteidigungsminister wurde, brach er den Kontakt abrupt ab, und das hat natürlich schon eine gewisse Verdrossenheit gebracht, aber keine Politikverdrossenheit, denn die Leute waren ja doch immer sehr engagiert und haben auch genau geguckt, worum geht es. Sondern eher eine Politikerverdrossenheit.

Das war dann eben auch, als sich das wiederholte, beim nächsten Verteidigungsminister, der sich auch einmal positioniert hatte, Herr Struck, zur zivilen Nutzung, da war das klar, wir müssen uns auf die eigenen Kräfte besinnen, wir können uns nicht darauf verlassen, was in Parteiprogrammen steht oder was Politiker uns versprechen. Sondern wir müssen die Rahmenbedingungen schaffen, dass dieses Projekt nicht mehr durchführbar wird. Dabei hat uns natürlich sehr das Gerichtsverfahren oder die vielen Gerichtsverfahren geholfen. Wir hatten insgesamt ja 27 Verfahren, die wir alle gewonnen haben. Und mit jedem Verfahren, was die Bundeswehr verlor, wurde der Druck auf die Politik auch größer, sodass dann am Ende auch im Bundestag auch eine Petition, die noch vorher, wir hatten all die Jahre immer wieder Petitionen, aber auch zum Ende, also 2008, war wieder eine anstehend, die noch kurz zuvor negativ für uns beschieden werden sollte, dann doch auf Druck vieler, vieler einzelner Politiker positiv beschieden wurde. Und damit wurde auch dem Verteidigungsministerium die Grundlage entzogen, politisch zu argumentieren, denn der Bundestag, der im Plenum diese Petition dann auch bestätigt hat, im Sommer 2009, hatte damit die politische Richtung vorgegeben.

Billerbeck: Früher war es ja so, da konnte die Bundeswehr einfach mit dem Finger auf ein Gebiet zeigen und dann bekam sie das. Da musste sie gar kein planungsrechtliches Verfahren irgendwie machen. Das war irgendwie ganz klar. Das klappte jetzt nicht mehr. Wieso hat die Bundeswehr, obwohl sie doch alle Verfahren gegen Sie verloren hat, dann nicht einfach gesagt, okay, ist vorbei?

Schirge: Wir glauben, dass es hier um eine prinzipielle Frage ging. Die Bundeswehr braucht ja diesen Platz nicht, auch wenn sie immer wieder vor Gericht argumentiert hat, ohne diesen Platz könne sie Deutschlands Sicherheit nicht garantieren, könne sie ihren Beitrag in Afghanistan nicht leisten und alles mögliche. Aber ihre eigenen Publikationen waren dann immer genau entgegengesetzt, sodass man da gar nicht argumentativ sich weiter damit auseinandersetzen musste.

Nein, ich denke, es war ja die Frage, wie die Kraft und die Gewalten im Staat verteilt sind. Und dass es da keine Sonderrechte für ein Ministerium gibt, sondern dass dieses Ministerium sich im gesamten Rechtswesen als ein sicher wichtiges, aber eben nicht herausragendes oder mit besonderen Rechten versehenes Instrument sich auch verstehen muss. Das war eine schmerzvolle und leider auch eine lange Erfahrung, die die Bundeswehr da wohl durchlaufen musste, bis sie endlich verstanden hat, es geht so nicht weiter.

Im letzten Verfahren, das wir hatten, vor dem Oberverwaltungsgericht in Berlin 2009, sagte der Richter: Wir können nicht verhindern, dass sie wieder zum Bundesverwaltungsgericht gehen, aber wir können Ihnen voraussagen, sie werden wieder verlieren. Weil die Rechtssituation ganz klar ist. Auch sie müssen sich an rechtsstaatliche Normen und Planungen halten und können nicht einfach so vor sich hin wirtschaften oder vor sich hin planen. Und ich glaube, viele Male hat das Verteidigungsministerium gedacht, sie sind an die falschen Richter geraten, und irgendwann war es dann doch klar, es waren ja immer wieder andere Gerichte, andere Senatskammern, die sich mit dem Problem beschäftigen mussten, dass es nicht an Personen liegt, sondern dass hier das Problem ihr Verhalten ist.

Billerbeck: Was können denn andere Bürgerinitiativen von Ihrer Bürgerinitiative, der "Freien Heide" aus dem Norden Brandenburgs, lernen? Aus Ihrem langen Kampf gegen das Bombodrom?

Schirge: Auf jeden Fall, dass sich Einsatz lohnt. Und man muss viele Leute und auch Parteien oder Institutionen oder andere Größenordnungen auf seiner Seite haben. Wir haben ja die regelmäßigen Protestwanderungen durchgeführt, mit denen wir praktisch permanent die Öffentlichkeit auf dieses Problem aufmerksam gemacht haben. Und diese Bewegung ist im Laufe der Zeit immer größer geworden. Wir haben viele Jahre den größten Ostermarsch in der Bundesrepublik gehabt, mit 10.000 Leuten in einem kleinen Dorf mit dem Namen Fretzdorf, wo dann auch viele Leute aus der ganzen Bundesrepublik dazu kamen, die sagten, hier geht es um ein konkretes und wichtiges Problem, da möchten wir uns engagieren.

Also das Problem konkret benennen, sich nicht verzetteln, nicht ganz viele wichtige Probleme der Welt mit auf die Agenda nehmen, die natürlich alle genauso gewichtet sind, aber man hat dann keine Kraft. Sondern sich auf das eine Thema konzentrieren und Verbündete suchen, immer wieder, überall, wo es geht. Von der Kommunalpolitik über die Landespolitik in die Bundespolitik. Und immer auch die rechtlichen Rahmenbedingungen prüfen. Ich denke, wir hatten hier auch das Glück, dass verschiedene Komponenten zusammenkamen. Eine ganz starke Bürgerbewegung, die einfach so viel Kraft gehabt hat, wie es keiner vermutet hat. Dann die gute Rechtsvertretung, die wir hatten, und letztendlich -

Billerbeck: Durch einen der renommiertesten Umweltrechtler, Rainer Geulen in Berlin ...

Schirge: ... ja, Rainer Geulen und Remo Klinger, beides klasse Anwälte, die auch mit Herzblut die Sache an sich genommen haben und nicht darauf geachtet haben, dass sie möglichst viel verdienen, sondern - die Bundeswehr hat ja doppelt so viel ausgegeben für ihre Rechtsvertretung wie wir und trotzdem waren wir erfolgreich.

Ja, und dann zuletzt eben die Politik, die ständig gebohrt werden muss. Wir brauchten hier eine politische Entscheidung, das ist oft auch in anderen Fällen so. Die Politik wollte sich oft zurücklehnen und hat gesagt, das sind rechtliche Auseinandersetzungen, da laufen Rechtsverfahren, da mischen wir uns nicht ein. Aber es war die ganze Zeit klar: Gerichte können immer nur den Status quo prüfen. Sie können nicht prüfen, ob die Bundeswehr Truppenübungsplätze braucht oder nicht, sondern sie können nur prüfen, ob sich jeweils ans Planungsverfahren gehalten wird. Das ist natürlich bei Straßen oder bei Bahnen oder bei anderen Projekten ebenso. Und deswegen war letztendlich die politische Entscheidung notwendig. Das haben auch die Anwälte uns immer gesagt. Auch die Gerichte und so.

Wenn man dieses Ziel wirklich mit aller Kraft verfolgt und immer Leute hat, die dabei sind, das ist ganz entscheidend. Dass wir da nie alleine standen. Also wenn man bei strömendem Regen losfährt, so etwas haben wir auch erlebt, und denkt, also die Demonstration heute, das kann ja nur furchtbar werden, und dann stehen da 1000 Leute - Sie können gar nicht glauben, was das für Kraft gibt. Da hat man gleich für die nächsten Monate genügend Power, um auch wieder alles mögliche zu überstehen, was an unvorhergesehenen Tatsachen kommen kann.

Billerbeck: Eine Frage zum Schluss mit der Bitte um eine relativ kurze Antwort: Was passiert mit dem großen Gelände nun?

Schirge: Das wird zu unserer Freude ein Naturgebiet. 4000 Hektar werden von der Sielmann Stiftung übernommen und ins nationale Naturerbe geführt, das heißt, dass dort eine besonders hohe Naturwertigkeit erhalten wird beziehungsweise auch weiter gefördert wird. Und auch die restlichen 9000 Hektar sollen von der BImA, der Bundesimmobilienanstalt, im Naturschutzrahmen verwaltet werden. Wir haben da wirklich Glück, dass es in diese Richtung geht. Natürlich liegen viele Aufgaben wegen der Entsorgung der Altlasten noch vor diesen beiden Institutionen, aber auch hier hat der Staat eine Pflicht, denn das sind Altlasten, die aus der großen Politik entstanden sind und deswegen sollen sie sie auch wieder beseitigen.

Billerbeck: Benedikt Schirge war das, der langjährige Sprecher der Bürgerinitiative "Freie Heide", die sich nach 20 Jahren auflöst. Ihr Kampf gegen das Bombodrom für die Kyritz-Ruppiner Heide im Norden Brandenburgs und deren friedliche Nutzung hat sich also gelohnt. Herr Schirge, Danke an Sie und an alle Ihre Mitstreiter.

Schirge: Ich danke für das Gespräch.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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