Mit den Orgelpfeifen in die Dorfkneipe
Vielen Dorfgemeinden fehlt das Geld für die Reparatur ihrer Kirchenorgel. Doch John Barr weiß Rat. Der US-Amerikaner hat sich schon als Student in die deutschen Orgeln verliebt. Jetzt hilft er dabei, die Instrumente kostengünstig instand zu setzen.
John Barr spielt Bach auf der Orgel der Evangelischen Kirche von Meseberg, einem Dorf nördlich von Berlin. Bekannt geworden ist der Ort, weil das hiesige Barockschloss der Bundesregierung als Gästehaus dient. Die Kirche ist nur ein paar Schritte vom Schloss entfernt. Die Orgel wurde von Albert Hollenbach gebaut, einem Brandenburger Orgelbauer, der 1904 starb. Dass sie heute wieder so klingt wie neu, ist John Barr zu verdanken. Er ist 71 Jahre alt und lebt jeweils einen Teil des Jahres in den USA, wo er geboren wurde, und in Berlin.
Barr: "Ich interessierte mich für Deutschland, als ich Student war, weil ich hierher kommen wollte, um alte Orgeln zu sehen. Mein Vater war Pfarrer. Schon mit zwei Jahren konnte er mich gar nicht aus der Kirche kriegen, wenn die Orgel noch spielte. Ich stand da wie verklärt vor der Orgel und wollte nur zuhören. Ich stehe immer noch verklärt vor einer Orgel und will nur zuhören."
Es war um die Jahrtausendwende, als John Barr auf einer Fahrradtour zufällig nach Meseberg kam und auch die Kirche besichtigte, die in der warmen Jahreszeit tagsüber offen ist. Ein Mann aus dem Dorf fragte Barr, ob er auch die Orgel anschauen wolle. Barr wollte – und stellte fest, dass sie dringend einer Reparatur bedurfte.
Für wenig Geld geputzt und gestimmt
Während seines Studiums in Göttingen hatte Barr Kontakte zu Orgelbauern geknüpft und Praktika bei ihnen gemacht. Im Laufe der Jahre hatte er sein Netzwerk ständig erweitert. So konnte er der Gemeinde von Meseberg jetzt anbieten, das Instrument gemeinsam mit einem befreundeten Orgelbauer instand zu setzen. Die Gemeinde musste den beiden nur die Kosten für Anreise und Material erstatten.
Barr: "Erstens haben wir alle Pfeifen rausgenommen, weil es so verdreckt war, und sie zur Kneipe rüber getragen, weil: So Restaurantküchen haben große Spülen und so lange Edelstahlflächen, wo man gut Orgelpfeifen waschen kann. Und die Holzpfeifen waren zum Teil verwurmt, und die haben wir alle mit verdünntem Leim behandelt, dass die Wurmlöcher zu waren. Und dann haben wir die ganze Mechanik geputzt. Und natürlich waren die Töne schräg. Ich habe nen Freund, den ich seit 50 Jahren kenne, aus Göttingen, der hat mir geholfen, dass der Klang von jeder einzelnen Pfeife wieder auf den Originalzustand gebracht wurde."
Die Orgel holt Leute in die Kirche
Alois Demuth, der damals Bürgermeister war, schwärmt noch immer in höchsten Tönen von John Barrs Leistung. Noch zu DDR-Zeiten ist Demuth aus der Kirche ausgetreten. Trotzdem geht er heute ab und zu gern in die Kirche, etwa zu Konzerten.
Demuth: "Es ist ja so: In jeder Kirche gehört Musik dazu, wenn gesungen wird. Welcher Chor stimmt irgendwie an, ohne dass die Orgel mitspielt? Und ich hör sie einfach gerne. Viele, die nichts mit der Kirche viel am Hut haben, die hören so was gerne. Und gehen auch gern in die Kirche!"
Für John Barr war Meseberg der Anfang. Etwa 500 Dorforgeln hat er im Laufe der Jahre gesichtet, viele davon im Land Brandenburg. Er hat den Kontakt zu Orgelbauern aus seinem Bekanntenkreis vermittelt, die die Instrumente zu ähnlichen Konditionen repariert haben wie die Orgel von Meseberg. Viele Male hat der "Orgelretter", wie die Dorfbewohner ihn ehrfürchtig nennen, selbst mit Hand angelegt – alles ehrenamtlich.
Barr: "Das gehört zur deutschen Kultur! Jede Dorfkirche hat in Deutschland eine Orgel. Das ist ein Wunder auf der Welt! Du kannst eine Dorfkirche, wenn du dir ein bisschen Mühe machst, mit Besuchern füllen für ein Konzert. Und wenn sie nicht in den Gottesdienst gehen, dann kommen sie wenigstens in das Konzert."
Kritik an Pfarrern in Deutschland
Obwohl er sich so für die Orgeln einsetzt, ist der Pfarrerssohn mit vielen Pfarrern in Deutschland gar nicht zufrieden:
"Ich finde, dass der Kirchenapparat, sag ich mal, in Deutschland, die falschen Prioritäten hat. Es zieht nicht die richtigen Leute in den Pfarrberuf. Natürlich gibt es blendende Ausnahmen. Erstens muss man ein guter Seelsorger sein. Und zweitens muss man das verkörpern, was in der Bibel steht. Das heißt aber nicht, dass man perfekt sein muss oder so, aber man muss das Ganze, was in einer Predigt vorgetragen wird, das muss der Mensch glaubhaft machen durch seine Art."
Viele Entscheidungen, die er in seinem Leben gefällt hat, traf John Barr aufgrund seiner christlichen Grundwerte. Das biblische Gebot "Du sollst nicht töten" nahm er so ernst, dass er sich in den sechziger Jahren weigerte, in den Vietnamkrieg zu ziehen: "Ja, weil ich auf Menschen nicht schieße", sagt Barr, "das ist es."
Keine Steuern für Kriegsführung
John Barr plante damals, nach Schweden auszuwandern, weil das Land während des Vietnamkrieges Kriegsdienstverweigerer aus den USA aufnahm. Er lernte Schwedisch, zog aber wegen seiner Liebe zu den Orgeln erst einmal nach Deutschland. Später ging er in die USA zurück, wo sein Antrag auf Befreiung vom Kriegsdienst aus ethischen Gründen schließlich anerkannt wurde. Nach seinem Examen schlug sich Barr mit schlecht bezahlten Gelegenheitsjob durch – auch aus Angst, dass seine Steuergelder benutzt werden könnten, um Kriege zu finanzieren.
Barr: "Ja, ich habe kalkuliert, was der Satz ist im Monat, was man verdienen könnte, ohne überhaupt Einkommenssteuer zu bezahlen. Und dann habe ich eben nie mehr als diese Summe verdient. Eine einfache Idee ist das. Das habe ich mein Leben lang eingehalten. Die Steuern, die unwürdig verwendet werden könnten, habe ich nie bezahlt oder nie bezahlen müssen. Es war nichts Illegales dabei."
Das Erbe des Land-Orgelbauers
Jetzt ist John Barr Rentner, aber mit den Orgeln ist er noch nicht fertig. Zur Zeit ist er in Rosenow tätig, einem Dorf in der Uckermark. Auch dort steht eine Orgel, die Albert Hollenbach gebaut hat.
Barr: "Albert Hollenbach war ein sehr guter Land-Orgelbauer. Und er hat 80 Dorfkirchen-Orgeln in Brandenburg gebaut. Und ich denke, ich habe ziemlich viel dazu beigetragen, dass dieser Name wieder respektiert ist. Ich war schon in 44 Dörfern, die eine Hollenbach-Orgel haben. Und ich habe den Leuten allen erzählt: Das ist ein ganz toller Orgelbauer. Und jetzt sind die Leute alle ganz stolz auf ihre Hollenbach-Orgel, und vorher wussten sie gar nicht, wer das gebaut hat."