Brasilianische Magie

Von Siegfried Forster |
Brasilien wurde zu Beginn des 19. Jahrhundert zu einem Mekka für Maler. Viele Künstler fühlten sich angezogen von der Exotik des Landes, von den Indianern oder vom Regenwald. Nun zeigt das Musée de la Vie Romantique in Paris erstmals in Europa die "Sammlung Brasiliana".
Biard, Chamberlain, Debret, Ender, Facchinetti, Hildebrandt, Landseer, Vinet… sie alle folgten Anfang des 19. Jahrhunderts dem Ruf Brasiliens. Allein die unterschiedlichen Ansichten der Bucht von Rio de Janeiro lassen die Vielfalt der Eindrücke und Einstellungen erahnen. Der topographische Stich von Johann Friedrich Vogler gleicht einem Welt-Atlas. Im naturalistischen Ölgemälde von Alessandro Ciccarelli gleiten Schiffe mit gesetzten Segeln über in tropisches Licht getauchtes Wasser. Das Aquarell von Benjamin Mary quillt über von Natur, exotischen Früchten und Schlingpflanzen. Was die Maler im Land des Zuckerhutes suchten, dazu Valeria Piccoli, Kuratorin der Ausstellung:

"Ich glaube, das war vor allem die Neugier auf Exotik, auf Indianer, den Regenwald und das alles. Eine Natur, die vollkommen verschieden von der Natur in Europa war.
Es gab auch einen politischen Grund. Die Einreise nach Brasilien war Ausländern bis Anfang des 19. Jahrhunderts verboten. Ab 1808 waren dann die Häfen für Reisende aus dem Ausland geöffnet. Viele kamen aus Neugier nach Brasilien, ein Land, das bis Anfang des 19. Jahrhunderts vollkommen unbekannt gewesen war."

Alexander von Humboldt hatte Ende des 18. Jahrhunderts Forschungsreisen von Venezuela bis Kuba unternommen, aber mehrmals vergeblich versucht, nach Brasilien einzureisen. Erst 1808 öffnete das riesige Land seine Grenzen. Viele wissenschaftliche Expeditionen aus allen Ländern Europas machten sich auf den Weg, begleitet von einigen wenigen Künstlern, denn in Mode war damals eher der Orient als Reiseziel. Doch Brasilien wurde zum Mekka der Reisemaler und zu einem Meltingpot der europäischen Malschulen, die sich dort unter dem Einfluss des so typischen Tropenlichts und des immensen Regenwaldes vollkommen unterschiedlich weiterentwickelten. Was Humboldt bereits Ende des 18. Jahrhunderts prophezeit hatte, trat ein. Das Studium der Natur unter freiem Himmel revolutioniert die Künste.

"Jeder Künstler bringt seinen eigenen Stil, seine eigene Art des Malens als Gepäck mit. Das ist sehr interessant zu sehen, wie die brasilianische Natur sich an die verschiedenen Maltechniken anpasst. Das führt zu wunderschönen Ergebnissen. Man kann die französische oder deutsche Malschule in diesen Gemälden der brasilianischen Natur wieder finden.

Wir sehen beispielsweise ein kleines Gemälde des deutschen Malers Eduard Hildebrandt, der Indianer im tropischen Regenwald malt. Oder die 30 Gemälde von François Biard, der 1861 ein Werk auf dem Pariser Salon präsentierte, wo er die brasilianischen Indianer vollkommen anders darstellt."

Hildebrandt zeigt bei seiner "Landschaft mit Indianern" 1844 Eingeborene im Dickicht des Regenwaldes versteckt, sie sind Bestandteil der Natur. Biard hingegen setzt die Indianer in Szene - mit Kopfschmuck und Sonnengott-Zeremonie. Eine Entwicklung weg von naturalistischen Skizzen wie bei Johann Moritz Rugendas, der Schwarze mit Pfeil und Bogen auf Tigerjagd zeigt oder Jean Julien Deltil, bei dem Eingeborene und Affen gleichermaßen auf Bäumen herumklettern - hin zu exotischeren, subjektiven, gefühlsbetonten, pittoresken Kunstwerken. Carlos Martins, Direktor der Brasiliana-Sammlung:

"In der Ausstellung entdecken sie einige sehr gute Gemälde von französischen und deutschen Künstlern, italienischen Malern wie Ciccarelli und Righini, letztere war beispielsweise niemals in Rio de Janeiro, sondern bewegten sich im Norden Brasiliens, im Amazonischen Regenwald, etwas, was nur ganz wenige im 19. Jahrhundert wagten."

Die zwei französischen Maler Nicolas-Antoine Taunay und Jean-Baptiste Debret werden von Pedro dem Ersten beauftragt, in Rio de Janeiro eine Akademie der Künste zu gründen - nach französischem Vorbild. Die Kirche verliert ihr Monopol als Kunst-Mäzen, die Malerei entwickelt sich von der Berufung zum Beruf und verbreitet sich in ganz Lateinamerika in rasanter Geschwindigkeit. Auch Manet war als junger Mann in Brasilien gewesen, einige Zeichnungen und Briefe aus diesem Jahr 1849 sind erhalten geblieben und Brasilien empfängt bis heute kreative Größen der abendländischen Kunst, bemerkt Carlos Martins:

"Das ist Interessant, weil Anselm Kieffer oder Richard Serra waren in Brasilien, sie lebten dort eine Zeitlang - sehr abgeschottet - und übernahmen dort etwas von der brasilianischen Lebensart. Ein Stück alltägliches Leben in Brasilien hielt dadurch Einzug in ihre Arbeit. Ich denke nicht, dass heute noch dieser exotische Blick auf Brasilien besteht. Das ist heute verschieden.
Heute geht es darum, auf eine gewisse Art die Natur zu genießen, einen angenehmen Ort zu haben, an dem man leben, nachdenken und Kunst produzieren kann. Sie suchen nicht mehr die Exotik dieses Landes."