Diese Recherche-Reise nach Brasilien wurde unterstützt von Adveniat, dem Lateinamerika-Hilfswerk der Katholiken in Deutschland.
Gewinner und Verlierer im Amazonas
22:10 Minuten
Wer das Klima retten will, der braucht ohne den Amazonas gar nicht erst anzufangen. Doch in Brasilien wurde im Juli drei Mal so viel Regenwald abgeholzt wie im selben Monat des Vorjahres. Ganz im Sinne des brasilianischen Präsidenten Bolsonaro.
Träge treibt der Fluss durch den Amazonasdschungel, rechts und links am Ufer undurchdringlicher Regenwald. Das Boot tuckert durch einen der unzähligen Flussarme des wasserreichsten Stroms der Welt. Im Bug sitzt ein dicker Mann mit vernarbtem Gesicht und Sonnenhut. José Dalla Rosa ist Goldschürfer und auf dem Weg zu einem Gelände mitten im Urwald, in dem gegraben wird.
Goldschürfen ohne Skrupel
Dalla Rosa, 65 Jahre alt, lebt sein halbes Leben in Creporizao, einem Goldgräberort mitten im Dschungel. Früher hat er noch selbst nach Gold gesucht, heute lässt er suchen. Skrupel hat er nicht, wenn er den Regenwald rodet und ausheben lässt und zeigt auf eine große Brachfläche am Flußufer.
"Vor fünf Monaten wurde hier Gold geschürft, das sieht man. Aber kommt mal in zwei Jahren wieder. Da sieht man nichts mehr davon. Hier wächst alles von alleine wieder zu."
Dalla ist Vorsitzender einer Kooperative, in der sich 200 Goldschürfer der Region zusammengeschlossen haben. Alle haben angeblich eine Lizenz zum Goldsuchen. Und die, die keine haben, fühlen sich ermutigt durch ihren Präsidenten Jair Bolsonaro.
Der will die illegalen Minen sogar legalisieren. Er lobt die Goldschürfer, weil sie den Amazonas wirtschaftlich nutzen. Im Gegensatz zu den Indigenen, die angeblich nichts aus ihm machen.
"Ich vertraue Bolsonaro, der Mann wird uns helfen", sagt Dalla Rosa. "Wir wurden bisher ja geradezu verfolgt von den Umweltbehörden, die sind teilweise gekommen und haben unsere Maschinen verbrannt. Ohne irgendeine Erklärung dafür zu geben! Also wir sind hier zu einhundert Prozent für Bolsonaro, wir sind alle Fans."
Sehr wenig Quecksilber beim Goldauswaschen
Dalla und seine Kollegen sind quasi Kleinunternehmer. Sie besitzen die nötige Maschinerie zum Schürfen: Schläuche, Pumpen, Motoren, Diesel. Zuerst nehmen sie Bodenproben, checken, ob es sich lohnt den Wald zu roden und wenn ja, suchen sie sich die nötigen Arbeitskräfte für das Unternehmen. 40.000 Tagelöhner gibt es in der Region. Sechs davon stehen in einem gigantischen Krater mitten im Dschungel, nur Dalla kennt den Weg durch die Wildnis. Ameisenklein wirken die Männer von oben, bis zur Brust stehen sie im Schlamm. Aus riesigen Schläuchen schießt Wasser in den aufgeweichten Boden.
Am Kraterrand führt eine Art Rutschbahn aus Holz direkt in den Fluss. Dort hinauf pumpen die Männer die aufgeweichte Erde, die sich dann wieder in den Fluss ergießt. Ein rauer Teppich auf der Rutschbahn hält das Gold zurück. Um die letzten Goldreste auszuwaschen, wird dann Quecksilber gebraucht, räumt Dalla ein. ….aber nur ganz wenig.
Die Arbeiter wohnen zwanzig Tage lang in Zelten direkt am Krater. Eine Köchin versorgt sie. Am Ende der Schicht bekommt jeder fünf Prozent des Gewinnes in Gold. Ein Glücksspiel, denn niemand weiß, wie viel am Ende herauskommt.
Nachtclub, Bordell und Apotheke
Dafür, dass die Arbeiter nach der Schicht ihr Geld schnell wieder ausgeben, ist gesorgt.
"Ihr werdet ja heute Gelegenheit haben, das Nachtleben bei uns kennenzulernen. Die Frauen! Ihr werdet Spaß haben. Entlang der Hauptstraße gibt es Nachtclubs, ein Bordell, dann noch eine Apotheke und ein Einfamilienhaus. Alle respektieren sich gegenseitig."
Creporizao. Ein räudiges Straßendorf, 5000 Einwohner, an jeder Ecke ein sogenanntes Cabaret mit leicht bekleideten Frauen auf der Terrasse. Zehn Annahmestellen für Gold. Fünf evangelikale Tempel. Und eine Pizzeria. Sie gehört – wie vermutlich auch noch andere Etablissements im Dorf – José Dalla Rosa. In der Region gibt es 40 Landepisten, denn das Gold muss mit Propellermaschinen abtransportiert werden. Straßen existieren nicht. Auch damit lässt sich gut Geld verdienen.
"Korrupt sind halt alle"
Creporizao ist ein rundes Geschäft und dazu, so Dalla Rosa, tragen auch die guten Kontakte zu den Indigenen bei. Er selbst schürft im Schutzgebiet der Munduruku. Zehn Prozent Gewinnbeteiligung zahlt er an den Stammesführer. Korrupt sind halt alle, lacht Dalla Rosa.
Die Flussufergemeinde der Munduruku liegt idyllisch am Rio Crepori, gut anderthalb Bootsstunden von Creporizao entfernt. Kinder baden im Fluss, ein Affe turnt durch den Paranussbaum. Im Versammlungsraum der Dorfgemeinschaft wartet der Cazique, der Stammesführer des Dorfes. José Dino bestreitet nicht, dass manche der 130 Gemeinden seines Stammes Goldschürfer in ihr Gebiet lassen.
"Die Cazique selbst suchen die Weißen, damit sie in die Siedlungen kommen. Ich finde das in Ordnung, so lange die Indigenen dann auch für die Goldsucher arbeiten können. Es geht uns schlecht, also müssen wir Hilfe bei den Weißen suchen, damit wir wiederum der Gemeinschaft helfen können. Und deshalb kommen Goldsucher in unsere Gebiete."
Die Munduruku gehören zu den indigenen Stämmen im Amazonas, deren Land als Schutzgebiet ausgewiesen wurde, bevor Jair Bolsonaro im Januar dieses Jahres Präsident Brasiliens wurde. Dass sie Goldsucher in ihr Gebiet lassen, ist illegal.
Bolsonaro ist kein Freund der Indigenen
Bolsonaro ist nicht gut auf die Indigenen zu sprechen. Aber nicht wegen der Goldsucher. Eine Million Indigene leben in Brasilien, so seine Rechnung, die meisten im Amazonas. Das sind 0,4 Prozent der Bevölkerung. Sie besitzen aber 13 Prozent des Landes. Zu viel, seiner Meinung nach. Die Anträge zahlreicher indigener Gemeinden, ihr Land als offizielles Schutzgebiet auszuweisen, liegen auf Eis. Die Munduruku sind einer von rund 300 indigenen Stämmen, die es in Brasilien gibt. Weil sie ein Schutzgebiet bewohnen, dürfen sie in gewissem Rahmen selbst entscheiden, was sie mit ihrem Land machen. Dass sie es Goldgräbern zu Verfügung stellen, dürfte manche Umweltschützer schockieren.
Dabei war Greenpeace bereits vor Ort, ein Film wurde hier gedreht, erzählt Cazique José Dino. Aber einen guten Eindruck hat die größte Umweltorganisation der Welt nicht hinterlassen. "Es ging immer nur um die Pflanzen und Tiere, nie um die Menschen", klagt der Cazique. Dabei lebt die Gemeinde unter dem Existenzminimum, das wird auch Greenpeace nicht entgangen sein. Die Goldschürfer sind jetzt eine Notlösung. José Dino weiß, dass sie den Indigenen langfristig ihre Lebensgrundlage nehmen.
"Das Gefährlichste, was die Goldsucher bringen ist das Quecksilber. Das verbreitet sich in den Flüssen und die Fische sind dadurch kontaminiert. So ist das."
Viehzüchter machen den Indigenen das Leben zur Hölle
Einige Bootsstunden flussaufwärts an einem anderen Arm des Amazonas lebt das Volk der Mura in typischen Stelzenhäuser am Ufer. Hier wird kein Gold geschürft, aber Viehzüchter machen den Indigenen das Leben zur Hölle. Wasserbüffel.
CIMI, eine katholische Hilfsorganisation für Indigene, ist hier aktiv. Die Organisation ist derzeit der einzige Ansprechpartner für Indigene im Amazonas, weil die staatliche Behörde FUNAI vom neuen Präsidenten entmachtet wurde, genauso wie die Umweltbehörde IBAMA. Edina von CIMI fasst die Lage so zusammen:
"Der Büffel ist hier ein Synonym für Leiden, für die Abholzung, für Armut, für die prekäre Situation, in der die Bevölkerung hier lebt."
Unübersehbar führen gerodete Flächen im Regenwald bis hinunter an den Fluss, niedergetrampelt von den Tieren. Die Büffel stehen im Wasser, koten und urinieren hinein und nehmen den Mura ihre Existenzgrundlage.
"Den Schaden zahlt uns keiner"
"Wir können nicht mehr fischen wie früher, weil wir die Fische gar nicht mehr erkennen. Und wenn wir Gemüse anpflanzen, dann kommen die Büffel und der Schaden, den sie anrichten, zahlt uns keiner. Wir sind wie Kindermädchen für die, wir arbeiten, damit die Büffel gut essen."
Francisco Oliveira da Silva ist Stammesführer der Mura und für dreißig Familien zuständig. Ein Mura-Krieger, wie er selbst sagt: "Soy guerrero."
Das Stammesgebiet der Mura ist nicht als Schutzgebiet ausgewiesen. Ein Antrag liegt schon seit Jahren bei den Behörden. Er wird aber unter dem Präsidenten Jair Bolsonaro vermutlich genauso abgelehnt wie alle anderen Anträge. Trotzdem kämpfen die Mura. Sie lassen sich von CIMI in Workshops schulen, um ihre Rechte wahrnehmen zu können. Sie haben sogar demonstriert im nächstgelegenen Ort. Der Schamane des Dorfes klagt an.
"Hier sind viele Krankheiten entstanden. Es gibt Farmer, die haben jetzt Büffel, Wasserbüffel, und die kacken ins Wasser. Die Käsereien lassen die Abwasser in den Fluss. Aber unsere Kinder baden im Fluss und werden krank. Sie haben Bläschen auf der Haut, wenn sie aus dem Wasser kommen."
"Sollen wir jetzt Dosen essen?"
Der alte Mann wirkt ratlos. Seine Begleiterin, die Gemeindeleiterin Amelia Praga Cabral, 45 Jahre alt und Mutter von sieben Kindern, redet sich in Rage.
"Vor einiger Zeit kamen die Motorsägen. Das waren Holzfäller. Dann kamen Farmer, die haben uns unser Land genommen und ihre Tiere darauf weiden lassen. Dann die Fischer, die mit großen Netzen unsere Fische fangen. Das ist unsere Hauptnahrung. Sollen wir jetzt Dosen essen? Wie kann das sein, früher kam alles aus der Natur. Der weiße Mann ist gekommen und hat alles vernichtet. Und so geht es immer weiter. Jede Regierung betrügt uns."
Beim Namen Bolsonaro kneift sie wütend die Augen zusammen.
"Wir haben Bolsonaro doch nicht gewählt, dieser Mann ist verrückt. Er hat ja gleich gesagt, dass er nichts von uns Indigenen hält und dass er keinen Millimeter Land mehr als Schutzgebiet für uns ausweisen wird."
Bolsonaro will den Reichtum des Amazonas nutzen
Umweltschützer setzen auf Indigene wie die Mura, weil sie den Regenwald nicht ausbeuten, sondern nur mit und von ihm leben wollen. Und ihn damit schützen. Jair Bolsonaro ist gerade das ein Dorn im Auge. Der Reichtum des Amazonas muss genutzt werden, er gehört den Brasilianern, so sein Credo. Internationale Ratschläge zum Schutz der grünen Lunge verbittet er sich. Das sei eine Einmischung in innere Angelegenheiten.
Diese Position macht angesichts des Klimawandels Viele fassungslos. Sie wirkt bedrohlich, aber sie ist nicht neu. Die wirtschaftliche Nutzung des Regenwalds begann mit dem Kautschuk-Boom in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts. Von 1967 an bis heute gibt es in Manaus, der Hauptstadt des Bundesstaates Amazonas, eine Freihandelszone und Industrieparks. Ungefähr zu gleichen Zeit wurden gezielt Siedler in den Amazonas gelockt mit dem erklärten politischen Ziel, das dünn besiedelte Gebiet für Viehzucht und Holzwirtschaft zu nutzen. An den befahrbaren Straßen stehen außer Unmengen an LKW, die Soja transportieren, auch Sägewerke mit langer Tradition.
Das Sägewerk von Oberda Peronchi gibt es seit dreißig Jahren. Legal. In einer offenen Halle sägen fünfzehn Männer, alle mit Mund- und Ohrenschutz. Das Holz stapeln sie unter dem nächsten Dach, dort werden die Bretter gekennzeichnet. Der Forstingenieur zeigt auf einen Aufkleber mit vielen Zahlen und Piktogrammen und erklärt wie man die Herkunft der Hölzer nachvollziehen kann.
Der Urwald regeneriert sich selbst?
Oberda Peronchi ist stolz darauf, ein sauberes, ein nachhaltiges Geschäft zu betreiben. Kritischen Fragen begegnet er sachlich.
"Wir arbeiten im Urwald und mit dem Urwald. Ich habe eine Lizenz für 210.000 Hektar Wald, die sind unterteilt in 30 Parzellen. Wir fällen entlang dieser Parzellen, in jedem Jahr eine. Wir pflanzen keine neuen Bäume. Der Urwald regeneriert sich selbst in einem Zyklus von 30 Jahren."
In vierzig Jahren läuft sein Vertrag aus, die Menge, die er bis dahin nutzen darf – falls er es erlebt - ist festgeschrieben. Peronchi verkauft das zertifizierte und teure Tropenholz überwiegend in die USA und nach Europa, wo es im Feuchtbereich, also in Bädern oder Schwimmbädern, eingesetzt wird. In Brasilien kauft niemand so teures Holz.
"Das Ausland darf so etwas nicht kaufen"
Dass der Amazonas leidet, dass es wichtig ist, ihn zu schützen, daran zweifelt Peronchi nicht. Er selbst lebt ja vom gesunden Urwald. Die Schuldigen sind für ihn die illegalen Holzfäller, die Goldschürfer und die Viehzüchter. Und – ganz wichtig – die Verbraucher. In den USA, in Europa, in der sogenannten Ersten Welt.
"Meiner Meinung nach müsste man das gesetzlich festlegen: Zertifiziertes Holz geht in den Handel, nicht-zertifiziertes Holz darf nicht verkauft werden. Aber es darf auch keine Nachfrage dafür geben, denn es ist illegales Holz. Genauso ist es mit dem Soja und auch anderen Produkte, die in Sklavenarbeit hergestellt oder geerntet werden. Das Ausland darf so etwas nicht kaufen. Nur so kann auch Druck auf die Regierung ausgeübt werden, damit Gesetze eingehalten werden."
Warum sind die Sympathien zwischen den Goldsuchern am Amazonas und dem brasilianischen Präsidenten so groß? Darüber und über die Frage, ob der Westen Einfluß auf Bolsonaros desaströse Umweltpolitik hat, spricht Isabella Kolar mit Deutschlandradio-Reporterin Ellen Häring, die gerade von einer Reise zum Amazonas zurückgekehrt ist: