Elza Soares gestorben

Brasiliens Jahrtausendsängerin

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Eine schwarze Frau mit hellem Oberteil hält in der linken Hand ein Mikrofon und hebt den rechten angewinkelt an, so dass die Hand nach oben zeigt.
Elza Soares in den 60er-Jahren. Bis ins hohe Alters gab sie Konzerte und blieb extrem neugierig auf neue Entwicklungen in der Musik. © imago images/UIG
Detlef Diederichsen im Gespräch mit Mascha Drost · 21.01.2022
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Die brasilianische Sängerin Elza Soares ist im Alter von 91 Jahren gestorben. Sie machte bis zuletzt Musik – weit über die Grenzen des Samba hinaus – und erhob ihre kraftvolle Stimme auch für die Kritik an den Verhältnissen.
Samba, Jazz, Elektro, Hip Hop, Funk - Elza Soares hat alles gemacht auf ihren insgesamt 34 Platten, die letzte veröffentlicht im Jahr 2019.
Nun ist die in ihrer Heimat als "Sängerin des Jahrtausends" gefeiert Musikerin Elza Soares im Alter von 91 Jahren in Rio de Janeiro gestorben. Sie sei in ihrem Zuhause in Rio unter natürlichen Umständen gestorben, hieß es in einer Veröffentlichung auf dem Instagram-Account der Künstlerin. "Die Sängerin bewegte die Welt mit ihrer Stimme, ihrer Kraft und ihrer Entschlossenheit."

Zeitlebens immer extrem neugierig

Der Musiker und Journalist Detlef Diederichsen sagt, natürlich sei vor allem ihre Stimme das Besondere an Soares' Musik. "Es ist einfach eine Art zu singen und umzugehen mit einer Stimme, die einzigartig ist und die man auch nicht vergisst, wenn man sie einmal gehört hat."

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Ansonsten sei wichtig für Soares' Stil, dass sie zeitlebens extrem neugierig gewesen sei. "Angefangen hatte sie ja zwar eigentlich mit Samba, aber ihre ersten Alben wurden von der Plattenfirma eher in Richtung Bossa nova vermarktet. Bossa negra wurden sie genannt", sagt Diederichsen.
Anfang der 70er-Jahre habe sie dann auch sehr viel Funk aufgenommen. "Ihr letztes großes Comeback in den 10er-Jahren war davon geprägt, dass sie sich mit der Avantgarde-Szene Sao Paulos eingelassen hat und Post-Rock und Elektronik auf einmal Stile waren, die ihre Alben ausmachten."

Bedeutung in Brasilien über die Musik hinaus

Soares gilt als eine der größten und beliebtesten Sängerinnen Brasiliens, zugleich aber auch als mehr: In Brasilien habe sie eine enorme Bedeutung gehabt, betont Diederichsen. "Das liegt nicht nur daran, weil sie eine tolle Stimme hatte, eine tolle Interpretin und Performerin war, sondern weil sie auch Themen hatte." Sie sei zwar selber keine Songschreiberin gewesen, so der Journalist. "Aber sie hat immer sowohl die Rolle der Frau wie auch die Rolle der schwarzen Bevölkerung Brasiliens thematisiert, und zwar von Anfang an bis zu ihren letzten Platten."
Wegen ihrer fortgesetzten politischen Statements habe sie auch Ärger bekommen. "Aber das war ihr egal", sagt Diederichsen. Soares kritisierte die sozialen Strukturen und den Rassismus.
Und auch ihre Bossa-Phase, mit der sie 1959 den Durchbruch schaffte, habe einen eigenen Akzent gehabt. "Bossa nova war eine weiße Mittelschicht-Musik", sagt Diederichsen. Es gab fast keine schwarzen Interpreten oder Interpretinnen mit Ausnahme von ihr und Alaide Costa, so der Journalist. "Sie hat eine Hymne auf Martin Luther King aufgenommen und solche Dinge. Das brach ein bisschen heraus aus diesem Wohlfühlkonsens der Bossa nova, wo es immer um eine gepflegte Melancholie ging und das schöne Strandleben und solche Dinge. Das gab es bei ihr nicht so sehr."

Huldigungen an Soares aus Politik und Musik

Ihre höchste Ehrung: Beim Karneval von Rio 2020 widmete die Sambaschule "Mocidade" ihr einen eigenen Umzug im Sambodrom.
Die Ehrerbietungen nach Soares' Tod folgten ebenfalls prompt: Bürgermeister Eduardo Paes etwa, ein Samba- und Karnevalsfan, schrieb auf Twitter, dass er am Freitag drei Tage Trauer in Rio erklären würde: "Elza lebt!". Musiker wie Caetano Veloso oder Maria Rita lobten die "außerordentliche Kombination von Talent und Energie" und feierten Soares als "Lichtgestalt".
Der ehemalige brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva von der Arbeiterpartei twitterte: "Wir haben nicht nur eine der kraftvollsten Stimmen verloren, sondern auch eine große Frau, die immer die Demokratie und die gute Sache verteidigt hat."

Geboren auf dem "Planeten Hunger"

Geboren 1930 in dem Armenviertel Moça Bonita in Rio de Janeiro, wurde Elza Soares mit zwölf Jahren verheiratet, mit 13 wurde sie zum ersten Mal Mutter, mit 15 verlor sie ihr zweites Kind wegen Unterernährung, mit 21 war sie Witwe.
Von welchem Planeten sie komme, wurde Soares im Radio 1953 aufgrund ihrer geliehenen Kleidung gefragt, als sie mit der Musik anfing. "Vom gleichen Planeten wie Sie - vom Hunger-Planeten", lautete ihre berühmte Antwort, die auch ihrem 34. und letzten Album "Planeta Fome" von 2019 den Namen gab.
Die stets elegante Elza Soares sang bis ins hohe Alter und wurde dabei zu einer feministischen Ikone. Konzerte wie bei der Vorstellung von "Planeta Fome" im Circo Voador in Rio oder beim Festival "Rock in Rio" 2019, bei denen sie auf einem Sessel thronte, waren Ereignisse, fast Manifeste. Auch bei der Eröffnung der Olympischen Spiele in Rio 2016 sang sie – sitzend.

Große Liebe Garrincha

Privat machte Elza Soares mit ihrer Beziehung zu Fußballstar Garrincha Schlagzeilen, der nach der Weltmeisterschaft in Chile 1962 wegen ihr seine Familie verließ.
Fußballstar Garrincha und Musikstar Elza Soares stehen vor einem Flugzeug. Er hat auf dem Schwarz-Weiß-Bild seinen Arm um sie gelegt, sie zeigt mit ihrem linken
Fußballstar Garrincha und Sängerin Elza Soares. Er trennte sich für sie von seiner Frau.© picture alliance / AP Images
Während der Militärdiktatur in Brasilien (1964-1985) ging das Ehepaar für einige Jahre ins Exil nach Italien, wo die Sängerin im Teatro Sistina in Rom auftrat. Brasilianische Medien erinnerten daran, dass Garrincha 1983 ebenfalls an einem 20. Januar gestorben war.
Nach Einschätzung von Diederichsen wird Soares auch nach ihrem Tod weiter eine wichtige Rolle für die brasilianische Musik und für die Popmusik überhaupt spielen. "Einige Alben sind sicherlich ikonisch" – das Album von 2015 "A Mulher do Fim do Mundo", "Die Frau am Ende der Welt" beispielsweise. Außerdem spielten DJs rund um die Welt sehr gern ihre frühen 70er-Funk-Titel. "Also, da ist eine Menge noch zu entdecken", sagt Diederichsen.
(mfu/dpa)
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