Brauchen wir noch die Klassiker?

Es geht auch ohne Goethes "Faust"

Szene aus Goethes "Faust I"
Szene aus Goethes "Faust I" in einer Inszenierung von Gustaf Gründgens im Deutschen Schauspielhaus Hamburg im Frühjahr 1957 (Probenfoto). © picture alliance/dpa/Foto: Herold
Arno Orzessek im Gespräch mit André Hatting |
Muss man heute noch Klassiker lesen? Und wenn ja: welche? Der Literaturkritiker Arno Orzessek hält nicht viel von einem Literaturkanon, den man wie eine "To Do"-Liste abarbeitet. Dafür jedoch umso mehr von einem guten Deutschunterricht, der Erweckungserlebnisse beschert.
Ob und wie gerne wir unsere alten und neueren Klassiker lesen – Goethe, Schiller, Musil, Thomas Mann und Co. – hängt offenbar größtenteils davon ab, ob wir den entsprechenden Deutsch-Unterricht genossen haben.
Der Literaturkritiker Arno Orzessek sagt, er verdanke seinem Deutsch-Leistungskurs und dem Philosophie-Kurs so manches literarisches Erweckungserlebnis. Welche Autoren man nun aber wirklich lieben und lesen müsse, sei meist subjektiv. Viele liebten die "ironisch-hochgezierte Sprache" eines Thomas Mann. Er selbst wiederum empfinde Shakespeares "Richard III." als unbedingt lesenswert und gebe die Hoffnung nicht auf, dass auch im "heutigen Display-Zeitalter" weiterhin gelesen werde.

Starkstrom großer Literatur

Er sei zwar nicht von der Notwendigkeit eines literarischen Kanons überzeugt: "Sie widerstrebt eindeutig meinem Liberalismus". Man könne ein gebildeter Bürger sein, auch ohne Goethes "Faust" gelesen zu haben. "Ich hoffe jedoch, jeder Schüler hat die Chance, den Starkstrom großer Literatur irgendwann, irgendwie, irgendwo kennenzulernen. Aber, nein, per Kanon muss man das nicht regeln."
Danach gefragt, welche Bücher er auf die berühmte einsame Insel mitnehmen würde, meint Orzessek: "Ohne nationalsprachliche Scheuklappen nähme ich heute Montaignes Essays, Faulkners 'Absalom, Absalom' und Stifters 'Sämtliche Erzählungen' mit. Außerdem würde ich unter meiner Jacke möglichst viel Nietzsche schmuggeln."
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