Brauchtum

Kleine Kulturgeschichte des Pfingstochsen

Mit Blumen geschmücktes Ochsengespann in Grafing (Oberbayern)
Mit Blumen geschmücktes Ochsengespann in Grafing (Oberbayern) © dpa / picture alliance / Guido Meisenheimer
Von Klaus Deuse |
Der Bibel zufolge war kein Ochse anwesend, als der Heilige Geist zu Pfingsten auf die Apostel herabkam. Doch um die widerspenstigen Germanen zum Christentum zu bekehren, waren Kompromisse erforderlich. Zum Beispiel beim Pfingstochsen.
Im abendländischen Kulturkreis gibt es ein Tier, für das sich erstaunlicherweise nicht einmal Professor Bernhard Grzimek interessiert hat, obwohl es Zoologen schon vom Namen her auffallen müsste. Und zwar der Pfingstochse. Einfache Exemplare dieser gehörnten Rindviecher findet man auf Weiden, am Spieß beim Münchener Oktoberfest oder auch ganzjährig teilverwertet in Dosen als Ochsenschwanzsuppe. In der Feiertagsversion als Pfingstochse fällt das Tier allerdings ziemlich aus dem Rahmen.
In der Bibel findet Pfingsten ohne Ochsen statt
Nun kommen Tiere im Zusammenhang mit christlichen Festen nicht so selten vor. Erinnert sei nur an den Osterhasen. Und bei der Geburt Christi in einem Stall in Bethlehem war neben einem Esel auch ein Ochse zugegen. Doch für die Anwesenheit eines wiederkäuenden Artgenossen bei der Ausgießung des Heiligen Geistes auf die Apostel zu Pfingsten findet sich kein einziger Hinweis, wie der bibelfeste evangelische Theologe Jürgen Stasing klarstellt.
"Von Ochsen war nie die Rede."
Ebenso wenig von anderen Tieren, betont Theologe Stasing. Auch keine Taube, die als Verkörperung des Geistes Gottes vom Himmel hernieder geschwebt sein soll, wie so mancher aus der Darstellung des Evangelisten Lukas herauszulesen glaubt.
"Meines Wissens spricht der Evangelist Lukas gar nicht von einer Taube, wenn es um die Pfingstgeschichte geht. Die Taube ist in der Taufe Jesu zugegen. Als Jesus im Jordan von Johannes getauft wird, öffnet sich der Himmel und es kommt eine Taube zum Zeichen des Geistes Gottes. Vielleicht ist das der Bezug zum Pfingstfest."
Auch wenn sich nicht die Spur einer tierischen Teilnahme an diesem Ereignis findet, bewies der Pfingstochse über Jahrhunderte hinweg eine bemerkenswerte Vitalität. Verantwortlich dafür zeichnen letztlich die alten Germanen. Sie vermengten kurzerhand ihr Frühlings-Brauchtum aus heidnischen Zeiten ab etwa 130 nach Christus mit dem Fest, das als Geburtstag der christlichen Kirche gilt. So passte der Brauch, das Vieh vor Beginn des Sommers erstmals auf die Weiden zu treiben, jahreszeitlich wie gemalt zum christlichen Pfingstfest. Bei dieser Prozession schmückte man das stattlichste Tier der Herde mit Bändern, Blumen und Kränzen aus Stroh. Und fertig war der Pfingstochse, der vorneweg trabte.
Am Ende landet der Ochse auf dem Grill
Allerdings konnte das herausgeputzte Tier nicht ahnen, dass damit auch sein letztes Stündlein geschlagen hatte. Denn zu germanischen Frühlingsfesten gehörte als fester Bestandteil schließlich die Darbringung eines Tieropfers. Vor diesem Schicksal vermochte auch das Christentum den Ochsen nicht zu bewahren. So sicher wie das Amen in der Kirche landete er am Ende des Festes an einem Bratspieß. Zur erfolgreichen Bekehrung der Germanen gehörten für die Kirche auch Kompromisse, sagt Theologe Stasing.
"Wie es ja so oft ist: Man hat natürlich in der christlichen Tradition oft auch heidnische Bräuche versucht zu christianisieren...dass man versucht hat, mit der Verbindung auch des Namens Pfingsten und Ochse irgendwie einen heidnischen Brauch zurückzudrängen."
Das ist lange her. Trotzdem hat sich der Pfingstochse in der Umgangssprache bis heute nicht unterkriegen lassen. Gemeint ist jedoch nicht mehr der gehörnte Vierbeiner. Kulturgeschichtlich betrachtet werden nämlich längst Menschen als Pfingstochsen bezeichnet. Entweder ganz eitle Zeitgenossen, die sich übermäßig auftakeln, oder jene, die ahnungslos wie der geschmückte Ochse nur mit Verzögerung mitbekommen, was um sie herum passiert.
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden solche Spätzünder in ländlichen Gegenden von Hessen, Mitteldeutschland und Westfalen zur allgemeinen Belustigung in einer Schubkarre durch die Gemeinde kutschiert. Und es wäre auch heute ganz sicher kein Problem, zig Schubkarren mit solchen Exemplaren zu beladen. Im Grunde genommen kann man ganzjährig auf Pfingstochsen treffen. Und das auch noch konfessionsübergreifend.
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