Die Grünen wollen ein früheres Ende
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Bei den Koalitionsverhandlungen werden die Grünen versuchen, den Zeitpunkt des Braunkohle-Ausstiegs auf das Jahr 2030 vorzuziehen. In der Lausitz könnte damit das Zuhause zahlreicher Menschen gerettet werden. Viele bangen aber auch um die Arbeitsplätze.
In der einstigen Braunkohlestadt Lübbenau am Rande des Spreewalds können sich nur wenige Menschen mit einem Braunkohleausstieg vor 2038 anfreunden, wie es die Grünen wollen. Das sei für seine Begriffe überhastet, weil man lieber einen Puffer zwischen der Braunkohle und einer alternativen Energieform lassen sollte, meint der Elektriker Waldemar Quast. Wenn sich die Grünen durchsetzen sollten, sehe es für die Lausitz nicht gut aus, meint er.
Angst, dass alles den Bach runtergeht
Viele haben noch die Bilder der 1990er-Jahre vor Augen, als in der Lausitz viele Betriebe schlossen und viele Menschen auf der Straße landeten – als schon einmal alles den Bach runterging, wie die Leute sagen.
"Viele Menschen in unserer Region leben seit Generationen von und mit der Kohle", meint die CDU-Abgeordnete Jana Schimke. Sie hat jetzt ihr Direktmandat gegen die SPD-Kandidatin verloren, aber zieht über die Brandenburger Landesliste wieder in den Bundestag ein, um dort für den Kohleausstieg 2038 zu kämpfen.
"Familien werden dadurch ernährt. Die Gefahr, die jetzt besteht, ist, dass wir ein zweites 1990 erleben. Dass eine Lebensleistung vor dem Ruin steht, dass man nicht weiß, wie geht es weiter in der Zukunft. Auch das spielt in einer politischen Debatte wie dieser eine sehr große Rolle. Wir müssen alles tun, auch politisch, diese Menschen nicht zu verlieren. Und dazu gehört für mich, dass wir bei unseren verabredeten Zielgrößen bleiben."
Jeder Industriearbeitsplatz ist wichtig
Jana Schimkes Wahlkreis ist riesig. Er zieht sich vom Speckgürtel an der Berliner Stadtgrenze bis nach Lübbenau im Landkreis Oberspreewald-Lausitz. Die Region ist ländlich geprägt. Jeder Industriearbeitsplatz ist wichtig. Deshalb gibt die Christdemokratin ein Versprechen ab:
"Also ich sag, dass wir vertragstreu sind. Dass wir uns in einem langen Debattenkurs auf eine Lösung verständigt haben. Und die lautet 2038. Dieses Versprechen haben wir den Leuten vor Ort gegeben. Und dieses Versprechen werden wir selbstverständlich auch halten. Es geht um Lebensentwürfe, es geht um alles für die Menschen."
Keine Einzelmeinung, die Angst vor einem früheren Aus der Braunkohle sorgt in der Lausitz für Unruhe. Grünen-Politikerin Anna Emmendörffer kann mit der Stimmungslage wenig anfangen und wiederholt unmissverständlich die Forderung:
"Wir wissen vor dem Hintergrund der wissenschaftlichen Fakten, dass wir bis 2030 aus der Kohle aussteigen müssen. Deshalb müssen wir ehrliche Politik machen und die Menschen jetzt schon mitnehmen, ihnen klare Perspektiven aufzeigen, wo es danach hingeht. Das müssen wir frühestmöglich in Gang bringen."
In der Kommunalpolitik aktiv
Emmendörffer steht vor einem unansehnlichen Parkhaus in der Lübbenauer Neustadt. Einst stand hier ein gläserner, an die Ostmoderne angelehnter Kubus – die Tanzgaststätte "Glück auf". 1991 musste das Haus schließen, dann wurde es abgerissen. Jetzt ist dort eine Beton-Brache.
"Selbstverständlich werden wir dafür kämpfen, dass wir eine Klimaregierung bekommen, die diesen Kohleausstieg vorzieht", sagt Emmendörffer.
In einem künftigen Koalitionsvertrag – von dem sie hofft, dass die Grünen ihn mitverhandeln – müsse das fest verankert werden, sagt sie. Die Grünenpolitikerin ist 1996 geboren – am Rande des Ruhrgebietes. Aufgewachsen ist sie in Schwerin und Teltow, wo sie jetzt in der Kommunalpolitik aktiv ist.
In Potsdam studiert sie "Urbane Zukunft". Ihre Grünen konnten jetzt bei der Wahl in Brandenburg deutlich zulegen auf neun Prozent. Aber für Anna Emmendörffer reicht der Listenplatz 3 trotzdem nicht, um in den Bundestag einzuziehen. Sie wird weiter Kommunalpolitik machen und dort auf Menschen treffen, die mit einem früheren Kohleausstieg wenig anfangen können. In der Wortwahl geht es dabei in der Lausitz klar und direkt zu:
"Das ist große Kacke, ist das. Murks hoch drei", sagt ein Mann. "Die Stromspeicherung ist noch nicht gelöst. Und wenn ich keinen Stromspeicher habe, dann kann ich aus Flatterenergie, aus Sonnenenergie keine ständige Energie machen. Also ist die Kohle noch so lange gefragt, bis ich die Energie in großem Umfang speichern kann."
Bei einem verfrühten Braunkohle-Ausstieg würden noch mehr Menschen aus der Lausitz abwandern, befürchtet der frühere Bergmann, der seinen Namen nicht nennen will. Nur so viel: Er war im Braunkohle-Tagebau als Elektrosteiger unterwegs, erzählt er noch und hat sich um die elektrischen Anlagen in Tagebauen gekümmert. Er könne sich noch gut an die Zeit erinnern, als die Arbeitsämter die größten Behörden im Land Brandenburg waren. Laut Brandenburger Landesregierung hängen 24.000 Arbeitsplätze direkt oder indirekt von der Braunkohle ab.
Eine trostlose Gegend
"Die Region wird weiter absterben. Die Alten werden wegsterben, die Jungen sind ausgewandert. Es wird eine trostlose Gegend. Da können dann die Wölfe einziehen."
Wobei die Entwicklung im gesamten Land Brandenburg eine andere ist. Das Bundesland verzeichnet seit einigen Jahren wieder einen Zuzug. Die Abwanderung ist gestoppt. Auch wächst die Zahl der Arbeitsplätze im Bereich der erneuerbaren Energien stetig.
Allein in der Windkraft arbeiten inzwischen 9000 Menschen in Brandenburg. Für einen Strukturwandel müssen es noch mehr werden. Da kommt die Nachricht, dass der dänische Windanlagenhersteller "Vestas" sein Werk in Lauchhammer nach 20 Jahren schließen will, wie ein Schock für die Menschen in der Lausitz.
Verunsicherung in der Lausitz
"Das ist bedauerlich für Lauchhammer. Hier gibt es keine Industrie mehr. Ein Schlag ins Kreuz", meint eine Frau auf der Straße und ein Mann ergänzt: "Wir reden von erneuerbaren Energien und machen so ein Werk zu. Unverständlich. Nicht nachvollziehbar."
Die Lausitz als strukturschwache Region werde damit erneut abgekoppelt, heißt es. Einen Schritt weiter geht der Verein "Pro Lausitzer Braunkohle". Das Aus von Vestas in der Lausitz mache deutlich, so der Vereinsvorsitzende Wolfgang Rupieper, dass die erneuerbaren Energien mitnichten ein Exportschlager seien.
"Es wird ja immer vonseiten der Braunkohlegegner gesagt, dass unsere erneuerbare Energie ein großer Exportschlager ist. Dass wir da die Welt mit ausrüsten können und insofern auch zu einer großen CO2-Freiheit gelangen können. Ganz im Gegenteil ist es jetzt bei Vestas so, dass die Produktion aus Kostengründen ins Ausland verlagert wird. Und der Betrieb in Lauchhammer mit fast 500 Beschäftigten schließt. Das ist ein Signal, dass gerade in der Lausitz für eine große Verunsicherung sorgt."
Klimaabkommen einhalten
Ganz anders argumentiert Wolfgang Domeyer vom Bündnis "Alle Dörfer bleiben", das sich für die vom Abriss bedrohten Orte in den Braunkohlerevieren engagiert. "Also, wenn wir mit dem Braunkohleausstieg noch länger warten als 2030, dann können wir das 1,5-Grad-Ziel knicken. Das wird dann garantiert nicht mehr erreicht."
Im Pariser Klimaabkommen hat sich Deutschland verpflichtet, die globale Erwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen.
"Das Klimaziel ist eine ganz wichtige Sache. Wenn wir das reißen und eine noch stärkere Erderwärmung haben, kostet das Gelder, da macht sich heute noch keiner Vorstellungen davon. Wir hatten die Starkregenereignisse, in Tschechien ein Tornado, Hochwassergeschichten. Also wir müssen ganz dringend dort raus, um noch zu retten, was zu retten ist."
Schnellerer Ausstieg aus der Braunkohle
Wolfgang Domeyer verweist zudem auf ein – von den Grünen in Auftrag gegebenes - aktuelles Gutachten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung; in dem heißt es, dass durch die sich verschärfende Klimakrise ein "deutlich beschleunigter Kohleausstieg gegenüber dem Kohleverstromungsbeendigungsgesetz" erforderlich sei.
Domeyer vom Bündnis "Alle Dörfer bleiben" fordert daher auch einen deutlich schnelleren Ausstieg aus der Braunkohle, der in einem künftigen Koalitionsvertrag im Bund fixiert und festgeschrieben werden müsse. "Das Bundesverfassungsgericht hat ja schon festgestellt, dass es so nicht geht. Wir müssen viel schneller raus. Allein für die Jugend, für die Enkel und für die Zukunft."
Ein frühzeitigeres Ende der Braunkohle würde auch Dörfer retten, die sonst umgesiedelt werden müssten. Allein schon das Braunkohle-Aus bis 2038 reduziert massiv den Bedarf an Braunkohle. Das betrifft zum Beispiel auch den Welzower Ortsteil Proschim: 700 Menschen müssen nicht mehr umgesiedelt werden.
Das sei ein Glück, sagt Welzows Bürgermeisterin Birgit Zuchold. Aber sie ist auch SPD-Politikerin und steht deshalb zu dem verabredeten Braunkohle-Ende 2038. An dieses Datum solle sich auch eine künftige Bundesregierung halten, meint sie. "Natürlich bleibt das unsere Forderung auch für eine künftige Bundesregierung. Die Grünen saßen bei den Diskussionen mit am Tisch, sie haben genau dieses Ausstiegsszenario mit bestätigt."
Zur Erinnerung: Der Bundestag hat 2020 den viel diskutierten Kohleausstieg gebilligt. Dafür stimmten neben der CDU/CSU und der SPD auch die Grünen – weshalb die Braunkohlebefürworter in der Lausitz jetzt bei der Regierungsbildung sehr genau nach Berlin schauen und auf den verabredeten Fahrplan pochen.
2030 als Zahl der Stunde
Brandenburgs Umweltminister Axel Vogel von den Grünen dagegen ist überzeugt, dass sich die SPD in Sachen Braunkohleausstieg bewegen wird. 2030 sei die Zahl der Stunde, so Vogel weiter.
"Vor der Koalitionsbildung in Brandenburg haben wir als Grüne gesagt, ohne eine Aussage, dass es keine neuen Braunkohletagebaue mehr gibt, kein Dorf mehr abgebaggert wird, wird es keine Koalition mit den Grünen geben. Und die SPD ist sehr beweglich geworden. Und ich glaube, das Gleiche wird auf Bundesebene auch passieren."